Galater 6,10
„Als wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes tun.“
Andachten
Die Zeit ist kostbar, aber man kennt ihren Wert nicht; man wird ihn jedoch erkennen, wenn es nicht mehr am Platze ist, davon Nutzen zu ziehen. Unsere Freunde verlangen sie von uns, wie wenn es nichts wäre, und wir geben sie hin in derselben Weise. Oft ist sie uns zur Last, wir wissen nicht, was damit anfangen, wir sind verlegen darum. Der Tag wird kommen, wo uns keine Viertelstunde schätzbarer und wünschenswerter erscheint, als alle Glücksgüter der Welt. Gott, der freigebig und herrlich in allem ist, lehrt uns durch die weise Einrichtung Seiner Vorsehung, mit welcher Umsicht wir unsere Zeit ausnützen sollten, da er uns niemals zwei Augenblicke zusammen gibt, und uns den zweiten nur so bewilligt, dass er den ersten zurückzieht und den dritten in seiner Hand behält mit der gänzlichen Ungewissheit, ob wir ihn erlangen werden. Die Zeit ist uns gegeben, um auf die Ewigkeit vorzubereiten, und die Ewigkeit wird nur zu lange sein, um den Verlust der Zeit zu beklagen, wenn wir sie missbraucht haben.
Unser ganzes Leben gehört Gott ebenso wie unser ganzes Herz. (Das eine wie das andere) Beide sind nicht zu viel für Ihn; Er hat sie uns nur gegeben, um Ihn zu lieben und Ihm zu dienen. Entreißen wir ihm also nichts davon. Wir können nicht in jedem Augenblick große Dinge ausrichten, aber wir können doch immer solche tun, die unserem Zustand angemessen sind. Durch Schweigen, Leiden und Beten, wenn wir nicht gezwungen sind, nach außen hin zu handeln, bringen wir Gott viel dar. Ein widriger Zufall, ein Widerspruch, ein Murren, eine Ungerechtigkeit, die man im Hinblick auf Gott auf sich nimmt und erduldet, sind wohl eine halbe Stunde Gebetes wert, und man verliert seine Zeit nicht, wenn man inzwischen Sanftmut und Geduld übt. Aber dazu muss ein solcher Verlust unvermeidlich sein und wir dürfen ihn uns nicht durch unsern Fehler verschaffen. So ordne also deine Tage, und kaufe die Zeit aus, wie St. Paulus sagt, fliehe die Welt und überlasse ihr die Güter, die die Zeit nicht wert sind, die sie uns kosten. Lass dahinten die Vergnügungen, die unnützen Verbindungen, die Herzensergüsse, die der Eigenliebe schmeicheln, die Unterhaltungen, die den Geist nur zerstreuen und (zu nichts führen) nutz- und zwecklos sind. Du wirst Zeit für Gott finden und nur diejenige ist wohl angewandt, die für Ihn verwendet ist. (Francois Fenelon)
Es gibt Menschen, die so viel Zeit haben, dass sie mit ihrer vielen Zeit nichts anzufangen wissen, und sich recht eigentlich darauf legen, die Zeit zu vertreiben. Das tun sie aber, nicht, weil sie ein so großes Verlangen nach der Ewigkeit hätten, sondern weil sie diese, wie so manche andere teure Gabe Gottes gering achten und nicht bedenken, wie bald ihre Zeit verflossen sein wird. So sollen aber Christen nicht tun. Die Zeit ist kurz, und in dieser kurzen Zeit haben wir viel zu tun, zumal wenn wir ganz oder zum Teil die vergangene Zeit unseres Lebens nach heidnischem Willen zugebracht haben. Da ist es nötig, mit der Zeit hauszuhalten; alles, was noch hinterstelliger Zeit im Fleische ist, dem Willen Gottes zu leben, und in der Zeit sich vorzubereiten auf die Ewigkeit. Gottlob, dass wir noch Zeit haben, unsere Seligkeit zu schaffen, der Heiligung nachzujagen, und mit Geduld in guten Werken zu trachten nach dem ewigen Leben. Darum schreibt der Apostel (Gal. 6,10.): „Als wir denn nun Zeit haben, so lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.“ Das ist der beste Zeitvertreib. Denn wir sind Gottes Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, zu welchen Gott uns zuvorbereitet hat, dass wir darinnen wandeln sollen. Wir sollen uns erinnern, dass es uns als den Gläubigen geziemt, in einem Stande guter Werke erfunden zu werden. Wer diesem seinem Stande gemäß leben will, der findet genug zu tun, und hat allen Grund auf die Ladungen zur Eitelkeit oder die Ladungen zur Sünde zu sagen: „Ich kann nicht kommen, ich habe dazu keine Zeit.“ Aber wo es gilt, Gutes zu tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen, da soll er nie sagen: „Ich habe keine Zeit!“ sondern gegen alle Einreden des trägen Fleisches und selbstsüchtigen Sinnes darob halten, dass er gerade dazu Zeit habe. O wie übel steht die Trägheit dem Jünger dessen, der in den Tagen seines Fleisches gesprochen: „Ich muss wirken die Werke dessen, der mich gesandt hat, so lange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann“ (Joh. 9,4.)! Darum lasst uns Gutes tun und nicht müde werden, so lange es Tag ist. Ja, frühe säe deinen Samen, und laß deine Hand des Abends nicht ab; denn du weißt nicht, ob dies oder das geraten wird; und ob es beides geriete, so wäre es desto besser (Pred. Sal. 11,6.). (Carl Johann Philipp Spitta)
Als wir denn nun Zeit haben, so lasst uns Gutes tun.
Obgleich Paulus in dem Brief an die Galater und in allen seinen Predigten und Schriften deutlich und nachdrücklich gelehrt hat, dass der Sünder nicht anders, als durch den Glauben an Christum, Gnade bei Gott erlangen könne, so hat er doch mit einem nicht geringeren Ernst auch auf einen heiligen Wandel und auf das Gutes tun gedrungen. Er hat aber nicht so darauf gedrungen, dass es das Ansehen gehabt hätte, als ob er dadurch seine Lehre vom Glauben und von der Gnade umstoße, ja er hat dasjenige, was er vom Gutes tun lehrte, nicht einmal als eine von dem übrigen Evangelio abgesonderte Lehre vorgetragen, sondern er hat das Gutes tun aus dem Glauben und aus der Gnade hergeleitet, und deswegen meistens am Ende seiner Briefe, worin er die Glaubenslehren vortrug, von jenem Tun gehandelt. Nach seiner Lehre empfängt nämlich ein Christ, dem seine Sündenschuld und tiefe Verderbnis aufgedeckt worden, durch den Glauben an Christum nicht nur die Vergebung seiner Sünden, sondern auch Licht, Leben, Segen, die Kindschaft Gottes und das Siegel derselben, den Heiligen Geist. Ein gläubiger Christ ist in Christo Jesu, und Christus Jesus wohnt und lebt in ihm: wie kann es also anders sein, als dass ein Gläubiger auch Seine Gebote halte und Gutes tue? Diejenigen, die ohne den Glauben an Jesum mit des Gesetzes Werken umgehen, folglich aus eigenen Kräften fromm sein wollen, beschreibt Paulus als zänkische und bissige Leute, Röm. 2,8. Gal. 5,15., als Leute, welche die Schmach Christi fliehen, und überhaupt fleischlich gesinnt seien: da er hingegen die Gläubigen immer als geistliche und geistlich gesinnte Leute, die sich im Gutes tun üben, schildert. Doch war auch Paulus nicht von denjenigen, welche sagen: bei dem Glauben an Christum Jesum gibt sich Alles selber; die Gläubigen bedürfen also keine Gebote, Warnungen und Ermahnungen. Er wusste wohl, dass auch in ihnen das Fleisch noch wider den Geist gelüste, und dass neben der Aufmunterung zum Glauben ihnen zuweilen ein Zuspruch, welcher die Form einer Ermahnung, eines Gebots oder einer Warnung und Drohung hat, nötig und nützlich sei. Er schrieb deswegen auch den Galatern, von denen er hoffen durfte, dass sie durch das erste Kapitel seines Briefs wieder auf den Glaubensweg zurückgeführt worden seien, scharfe Warnungen, die Gal. 5,20.21. und K. 6,7.8. stehen, und nach denselben die Ermahnung: als wir nun Zeit haben, so lasst uns Gutes tun. Man hat nicht immer Zeit dazu, darum soll man sie dazu anwenden, alldieweil sie da ist. Auch so lange die Zeit des irdischen Lebens währt, entwischt demjenigen, der sich lange besinnt und träg ist, zuweilen eine Zeit oder Gelegenheit, Jemand Gutes zu tun, und er fühlt hernach deswegen eine scharfe Bestrafung in sich selber. Übrigens geht die ganze Zeit, Gutes zu tun, und dadurch auf den Geist zu säen, mit dem Tod, der von keinem Lebendigen weit entfernt ist, zu Ende. Die kurze Lebenszeit, die man auf Erden zubringt, ist die Saatzeit: denn wenn die Seele von dem Leib weggenommen ist, so fängt bei ihr schon die Ernte an. (Magnus Friedrich Roos)