Matthäus 5,19
Andachten
Wer nun Eins von diesen kleinsten Geboten auflöst, und lehrt die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich.
Das Gesetz ist für die in dem Herrn Wiedergebornen eine Anweisung, wie sie zu seiner Ehre wandeln sollen. Da heißt es denn für uns: „Wir haben das Gesetz zu erfüllen!“ Es ist aber den Kindern Gottes kein Gesetz mehr, sondern es ist der gute und gnädige Wille ihres lieben Vaters im Himmel. Wir aber antworten in unserer Schwachheit: „Wie soll ich es erfüllen? Mag es ein Gesetz oder väterlicher Wille sein, ich bin, wenn auch ein Kind, doch ein armes schwaches Kind. Wer gibt mir Kraft zu solchem Leben in Gott?“ Hier stehen wir an den offnen Weihnachtspforten. Er, von dem es heißt: „Ich bin gekommen“, ist nicht allein gekommen, er kommt noch. Die Christzeit ist vor der Tür. Der Herr hat das Gesetz und die Propheten vor dir und für dich erfüllt, er erfüllt sie auch in dir und durch dich. Seine Kraft ist in dem Schwachen mächtig. Was dem Gesetz unmöglich war, nämlich ein neues Herz zu schaffen zu fröhlichem Gehorsam, das tut der Sohn Gottes, der heilige Erneuerer. Der Herr will es in dir tun, wenn du nur glaubst, wenn du nur seine Gnadenmittel fleißig brauchst, wenn du nur fleißig bittest um seinen heiligen Geist. Er ist deine Stärke. Er ist es, welcher in dir wirkt Beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.
Herr Jesu Christe, du bist der, der da kommen soll. Wir wollen und können keines Andern warten. Durch deine gnädige Zukunft soll das Land der Gerechtigkeit voll werden wie Wasser, die das Meer bedecken. So komm denn, zeuch ein zu deinen Toren, sei meines Herzens Gast, Der du die ganze arme Erde nicht verschmähet hast, verschmähe auch diese arme Welt nicht. Erfülle unsere Herzen mit deinem köstlichsten Gut. Gib Gnade, dass wir dich im Glauben annehmen und in dir ergreifen die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Und dann feiere in uns deinen Advent auch damit, dass diese Gerechtigkeit immer mehr unsere eigne werde, und unser Leben erneuert und gestaltet werde in dein heiliges Leben. Ja komm, Herr, führe uns und die Unsern auch heute auf deinen Wegen. Amen. (Fr. Ahlfeld)
Wer nun eins von diesen kleinsten Geboten auflöset, und lehrt die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Schrift: gelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Wie das Herz wünscht und will, so denkt und urteilt auch der Verstand. Das ungöttliche, böse Herz wird daher das Gesetz stets böse und falsch auslegen. Denn es hat kein Wohlgefallen an dem göttlich reinen und tiefen Sinne des Gesetzes, spürt auch weder Neigung nach Vermögen bei sich, dasselbe im wahren und ganzen Sinne zu halten, und daher muss ihm der Verstand zu Diensten sein und es so auslegen, dass es ihm nicht ein Bußspiegel, sondern ein Mittel zur Nahrung seiner Selbstgerechtigkeit wird. Denn das natürliche Menschenherz kennt und will auch keine andere Erlösung als die Selbsterlösung. Damit nun dieselbe nicht allzu schwer oder gar unmöglich werde, unterscheidet es im Gesetz zwischen großen und wichtigen Geboten, als da sind: Du sollst nicht töten, ehebrechen, stehlen, falsch Zeugnis geben, und zwischen kleinen, unwichtigen Geboten, die sich nur auf die Begierden und Gemütsbewegungen beziehen, und hält somit zwar Mord, Ehebruch rc. für eine Gesetzesübertretung, aber Zorn, Hass und Neid für so geringfügig, dass es sich dieselben nicht als Gesetzesübertretung anzurechnen braucht. Weil nun der, welcher gesagt hat: du sollst nicht töten! derselbe ist, welcher gesagt hat: lass dich nicht gelüsten! und also ein Unterschied zwischen der Bedeutung dieser Gebote im Gesetze selbst nicht vorhanden ist, sondern von dem Herzen bloß zu seiner eigenen Entschuldigung hineingetragen wird, so ist offenbar, dass auf solche Art das Herz nicht Gott, sondern sich selbst als Gesetzgeber anerkennt. Wer nun über das Gesetz also denkt und die Leute also lehrt, dass es unwichtigere Gebote gebe, mit denen man es so genau nicht zu nehmen brauche, der wird im Himmelreiche der Kleinste heißen, von dem werden die Reichsgenossen eine sehr geringe Meinung haben, wenn auch sonst die Menschen ihn seiner Gelehrsamkeit wegen vielleicht sehr hoch halten. Und ins Himmelreich selbst kommen kann er nur dann, wenn er aufhört Gottes Gesetz zu fälschen und abzuschwächen und sein Herz sich rechtschaffen zu Gott bekehrt. Denn die Gerechtigkeit der Pharisäer, d. h. ihre Gesetzeserfüllung, ihr Halten der göttlichen Gebote, entsprach damals und entspricht heute noch ganz ihrer Herzensstellung zum Gesetz und ihrer Lehre. Sie war und ist verwerflich, weil sie sich nur auf die äußere Beobachtung des Buchstabens beschränkt, den Geist des Gesetzes aber unbeachtet lässt. Wenn das Herz, der Quell, unrein ist, wie könnten dann Gedanken und Taten rein sein, da sie doch daraus fließen? Das natürliche Herz ist aber voller Hoffart, Selbstgerechtigkeit und Eitelkeit; weshalb auch die bloß äußere Beobachtung des Buchstabens des Gesetzes nicht in der Absicht geschieht, um Gott Gehorsam zu leisten, sondern um vor den Menschen und auch vor sich selbst den Schein der Frömmigkeit zu erwerben. Und die Folge hievon ist der weitere Selbstbetrug, dass das Herz meint, Vorzüge zu besitzen, welche anderen Menschen abgehen - die Selbstüberschätzung und die Geringschätzung Anderer. Daher das lieblose Aburteilen über den Nebenmenschen und das Splitterrichten über seine Fehler. Das Kleid der eigenen Gerechtigkeit prangt in strahlenden Farben, aber nur vor den Augen der Menschen, nicht auch vor den Augen des Herrn. Wenn aber der, der Augen hat wie Feuerflammen und Herz und Nieren prüft, im Glanze seiner Gerechtigkeit zum Gericht erscheinen wird, dann werden die strahlenden Farben der Selbstgerechtigkeit bis zum Verschwinden erbleichen und nichts nachbleiben als ein beflecktes Gewand. Mit solcher Gerechtigkeit geht man wahrlich nicht ins Himmelreich ein. Wer nicht allen Willen Gottes als wichtig erkennt und mit ganzem Herzen bereit ist, mit Darangabe allen eignen Willens, ihn zu erfüllen, ja, wer nicht vorher allen eignen Willen gänzlich verloren hat, was sollte der wohl im Himmel? (Anton Camillo Bertoldy)