Römer 12,18
Andachten
Ist es möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.
Wehe denen, die um jeden Preis den Frieden wollen, auch um den Preis, dass sie das Böse gut, und das Gute bös nennen, dass sie Gott und die Wahrheit verleugnen. Darum mahnt hier der Apostel: Ist es möglich, so viel an euch ist, so weit ihr es dürft und könnt, ohne Gott und die Wahrheit, euren Glauben und euer Gewissen zu verleugnen, habt mit allen Menschen Frieden. Mit allen Menschen. Nicht bloß mit denen, die du nur selten siehst, und vor denen du dich wohl schon zusammennimmst, sondern auch mit den Hausgenossen, vor denen du dich gern gehen lässt. Nicht bloß mit Denen, die dir lieb und angenehm sind, sondern auch mit Denen, deren Wesen dich abstößt. Nicht bloß mit den Friedfertigen, sondern auch mit den Empfindlichen und Heftigen. Mit allen Menschen habt Frieden. Und damit ihr es könnt, haltet euch nicht selbst für klug. Daher kommt der meiste Streit: Aus dem Hochmut, dem Eigensinn und Eigenwillen, dem Dünkel, der hohen Meinung, die man von sich selbst hat. Daher, dass Jeder auf seinem Kopf besteht und seiner Meinung; daher, dass keiner nachgeben mag. Daher der Streit im Hause, der Unfriede unter den Nächsten. Daher der Ungehorsam der Kinder, der Trotz der Einen gegen die Andern. Daher die vielen Beleidigungen, die Einer dem Andern zufügt. O darum haltet euch nicht selbst für klug. Demütigt euch vor Gott. So werdet ihr auch demütig vor den Menschen, so lernt ihr schweigen und nachgeben. Vergeltet nicht Böses mit Bösem. Wenn dich Einer schilt, schilt nicht wieder. Wenn der Andere gegen dich heftig wird, werde nicht wieder heftig. So dämpfst du den Streit und erstickst ihn im Keime. Und ob solches Leiden vor der Welt wie Schmach ist, das ist Gnade bei Gott, so Jemand um des Gewissens willen das Übel erträgt und leidet das Unrecht. (Adolf Clemen)
Ist es möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.
Hat dir jemand Böses getan, so darfst du ihn nicht bloß deinerseits unangefochten und ohne Erwiderung seines eigenen Benehmens und Handelns stehen lassen, du darfst ihn nicht meiden, sondern du musst, so viel dir möglich ist, mit ihm Frieden halten. Du hast allerdings ganz recht, zu glauben, dass in manchem Verhältnis und gegen manchen Menschen dem Worte des Apostels nur dadurch genügt werden kann, dass man sich von ihm scheidet und ihn meidet. Du magst dabei vielleicht gerne auf den Frieden, der zwischen Abraham und Lot bestand, hinweisen. Doch wird die Berufung auf dieses Beispiel nicht völlig statthaft sein. Zwischen den beiden Männern gab es wohl ein Scheiden, aber wie sich's nachher auswies, kein Meiden. Sie hielten nicht den Frieden der lieblosen, grollenden Feindschaft, ihre Scheidung war nicht durch Hass verursacht, sondern im Gegenteil durch Liebe; sie reichten sich nicht allein über die Scheidewand hinüber die Hände, sondern es wandelte auch ein und derselbe Gott und Herr mit seinen heiligen Engeln zwischen ihnen; und das ist es eben, was wir in den Worten des Apostels ausgesprochen sehen. Er will nicht bloß, dass der Christ das Böse nicht erwidere, sondern dass er Liebe gegen diejenigen übe, die ihm Böses tun, und so den Frieden der Liebe baue. Die Liebe soll so vollständig alles Böse und jede Beleidigung in ihren Folgen aufheben und austilgen, dass man mit dem Beleidiger zusammenlebt, als hätte er nicht beleidigt, ja dass man in der Beleidigung einen Grund mehr finden kann, in Liebe und Frieden mit ihm zusammenzuleben.
Es lässt sich das allerdings leicht sagen, oft aber sehr schwer üben, auch wenn man selbst in sich den Willen und die Kraft des heiligen Geistes dazu spürt. Der Apostel selbst erkennt und lehrt das; er sagt ja nicht geradezu: habt Frieden mit jedermann, sondern: ist's möglich, so viel an euch ist. Der Christ soll zu einem solchen Leben der Liebe und des Friedens allerdings Kraft und Willen haben, das liegt in den Worten: so viel an euch ist; aber es liegt ja bei Liebe und Frieden nicht bloß an einem Teil, sondern mindestens an zweien, ja zuweilen an mehreren. Du kannst mit deinem Beleidiger in Fried und Liebe zu leben bestrebt sein; wie oft aber geschieht es, dass ein Mensch über gar nichts mehr empört wird und gar nichts so übel nimmt, als wenn der Mensch, den er vielleicht mit Wissen und Willen beleidigt hat, ihm wie ein Engel Gottes in Friede und Liebe entgegenkommt. Es ist ein tödlicher Stich ins Fleisch des alten Adams, mit Menschen umzugehen, die man nicht beleidigen, nicht in Unruhe und Aufregung versehen kann, die bei allem, was man ihnen antue, doch in ihrem göttlichen heiteren Frieden verharren. Benimm dich nur so, und du wirst's oft genug inne werden, dass du dafür gehasst wirst, je klarer und unverkennbarer dem andern dein heiliger, seliger Zustand ins Auge tritt. Wer unüberwindlich in Lieb und Frieden ruht, der wird zwar selbst manchen überwinden und zu Lieb und Frieden bringen, zuweilen aber wird er es schon erfahren müssen, dass die Bosheit nichts in der Welt schwerer vergibt, als die Tugend und sich gegen niemand feindseliger abschließt, als gegen die friedfertige Liebe des Christen. Schon daraus kann man erkennen, dass es für einen Menschen ein sehr zweifelhafter Vorwurf ist, zu sagen, er habe Feinde; es kann das ebenso wohl ein Zeichen sein, dass er von der edelsten und heiligsten Gesinnung durchdrungen ist. (Wilhelm Löhe.)