Lukas 15,2
Andachten
Dieser nimmt die Sünder an.
Diese Schmähung der stolzen und tadelsüchtigen Pharisäer verherrlichte den, der gekommen war, nicht die Frommen, sondern die Sünder zur Buße zu rufen. Zöllner und Verstoßene, Solche, die von einem tiefergehenden Aussage, als dem des Körpers, bedeckt waren, entblößten ihre Wunden vor dem großen Arzt; und, indem die Schuldbewussten und von Reue zerknirschten sich zu Seinen Füßen niederwarfen, wurden sie nie anders als gnädig und vergebend empfangen! Seine Wege waren nicht wie eines Menschen Wege! Die Hüter im Hohenliede schlugen die trostlos ihren verlorenen Herrn Suchende; sie nahmen ihr ihren Schleier und spotteten mit schneidender Härte ihrer Tränen. Nicht also der Erzhirte und Bischof unserer Seelen. Dieser nimmt die Sünder an! Sehen wir Nikodemus, wie er im Schatten der Nacht einherschleicht, um der Beobachtung zu entgehen; ein Bild der vielen Tausende in jedem Zeitalter, die sich in der Nacht der Sünden und der Leiden bange zitternd an diesen himmlischen Freund gewendet haben! Straft Jesus seine Verzagtheit, indem Er die Türe gegen ihn schließt und ihn aus Seiner Gegenwart verstößt? Nein! Das zerstoßene Rohr wird Er nicht zerbrechen und das glimmende Docht wird Er nicht auslöschen!
Und Er ist noch derselbe! Er, der einen Verfolger inmitten seiner Gotteslästerungen anhielt, der die Lippen eines sterbenden Missetäters mit Glaube und Liebe überfließen ließ, steht heute noch, mit den Schätzen der Erlösung in der Hand und ruft: Wer zu Mir kommt, den werde Ich nicht hinausstoßen!
Sollen wir darum die Sünde gering achten, oder ihre Größe durch unser Beispiel und Benehmen bemänteln? Nicht also; die Sünde, als solche, kann nie genug durch unser Verdammungsurteil gebrandmarkt werden. Doch müssen wir vorsichtig in der Unterscheidung zwischen der Übertretung und dem Übertreter sein. Von unserer Seite sollte Nichts durch Wort oder Tat geschehen, das die reuigen Seufzer einer schuldbeladenen Seele verhöhnen oder den zitternden Sünder mit dem verzweifelnden Gedanken: Es ist keine Hoffnung für mich vorhanden, hinwegschicken könnte. Dieser nimmt die Sünder an; und sollten wir es nicht tun? Erlaubt Er es nicht dem Auswurfe menschlicher Verworfenheit, sich ungerufen an Seine Füße anzuschmiegen und mit dem Blick der Hoffnung in Sein vergebendes Angesicht aufzuschauen, und sollen wir es wagen, über einen gefallenen (vielleicht tief gefallenen) Bruder ein herbes, strenges, kränkendes Urteil auszusprechen? Sollen wir blutrote und rosinfarbene Sünden und Sünder als von der Gnade ausgeschlossen betrachten, wo es Jesus nicht tut? Nein, vielmehr wenn der Elende, der Verworfene, der Abgefallene uns begegnet, wollen wir ihn nicht durch bitteren Hohn oder ironischen Vorwurf verscheuchen. Nein, Lasst uns tragen, dulden, ermahnen, liebreich handeln, wie es Jesus tat und noch tut! Ach! trügen wir in uns Seine unüberwindliche Liebe zu den Seelen, Sein erbarmendes Verlangen für das ewige Wohl der Sünder, so würden wir öfter an diejenigen eine ernstliche Ermahnung oder eine liebreiche Aufforderung ergehen Lassen, die bisher nur herbe Gedanken, nur abweisende Worte erhielten. Wäre dieser Sinn in uns, welcher auch in Ihm war, so würden wir uns öfter fragen: Habe ich Alles getan, was ich hätte tun können, diesen Brand aus dem Feuer zu erretten? Habe ich vergessen, was die Gnade an mir getan hat und an ihm tun kann?
Liebe Brüder, so Jemand unter euch irren würde von der Wahrheit und Jemand bekehrte ihn, der soll wissen, dass, wer den Sünder bekehrt hat von dem Irrtum seines Weges, der hat einer Seele vom Tode geholfen und wird bedecken die Menge der Sünden!