Matthäus 26,15
Andachten
Und Judas sprach: Was wollt ihr mir geben? Ich will ihn euch verraten. Und sie boten ihm dreißig Silberlinge.
So tief war also Judas gesunken, weil er, ja, auf allen Punkten dem Willen Jesu sich fügen wollte, nur nicht verzichten auf Eins, auf zeitlichen Besitz, Reichtümer und Ehren! O wie hatte einst dieses Herz, das jetzt von Finsternisgedanken erfüllt ist, dem Herrn zugejauchzt, welch eine entzückende weite Aussicht hatte sich einst vor den Augen des Judas aufgetan, als er Jesu Worten lauschte und seine Werke voll Liebe und Herrlichkeit schaute! Aber er erwartete, dass Jesus seine Jünger nicht nur zu einer geistigen Erneuerung führen, sondern dass er auch bald schon ein sichtbares Herrlichkeitsreich, worin er dann eine große Rolle spielen könne, gründen werde. Wir wissen, auch die andern Apostel trugen sich mit diesem Wahn. Auch sie waren sehr hartnäckig darin. Was Jesus auch dagegen sagen mochte, sie schlugen es in den Wind; wie wir so geschickt sind nicht zu hören und zu behalten, was uns nicht passt. Die Folge war, dass auch die elf Apostel sich alle an dem leidenden Christus ärgerten, alle von ihm flohen, dass Petrus sogar durch schmähliche Verleugnung seinen Namen („der Fels“) schier zum Spott machte. Aber sie besannen sich bald wieder. Weinend und betend und tief beschämt kehrten sie um, und nicht erst am See Genezareth, nein, am Grabe Christi schon hätten sie, trotz allen Unglaubens sagen dürfen: „Herr, du weißt, dass wir dich lieb haben.“
Früher und schärfer wie seine Mitjünger hatte Judas durchschaut, dass seine Hoffnungen nicht erfüllt werden sollten. Wenn Jesus zu dem Schriftgelehrten sprach: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege,“ so empfand er das wie einen vernichtenden Blickschlag in das Ideal seines Lebens. So oft Jesus von den Gefahren des Reichtums sprach, so oft er - und wie oft tat er es - zeigte, dass man nicht Gott dienen könne und dem Mammon, eben so oft erkannte Judas, dass er nichts zu hoffen habe. Es war ihm schrecklich, dass Jesus mit den Reichen und Mächtigen der Erde es je länger je mehr verdarb, statt sie an sich zu ziehen; es war jedesmal eine Todeserklärung seiner Wünsche, wenn Jesus die Zukunft seines Reiches aufs Harren, Warten, Dulden, Leiden, Kämpfen, Opfern und Lieben stellte.
Da war nur ein Weg zur Hilfe: Er hätte seine eigene Gesinnung verfluchen und sich die ganze gräuelhafte Hässlichkeit seiner Sünde klar machen, hätte weinend und betend zu Jesu kommen, ihm seine furchtbaren Anfechtungen entdecken, ihn um Hilfe, Licht, Kraft anflehen müssen:
„Jesu hilf siegen! Wenn in mir die Sünde,
Eigenlieb' Hoffart und Missgunst sich regt;
Wenn ich die Last der Begierden empfinde,
Und sich mein tiefes Verderben darlegt:
So hilf, dass ich vor mir selbst mag erröten,
Und durch dein Leiden mein sündlich Fleisch töten.“
Aber von solcher Aufrichtigkeit war Judas weit entfernt. Er schürte im Stillen das Feuer der Lust und so kam er mählig und mählig zu einer immer größeren Herzensentfremdung und Erkältung Jesu gegenüber, ja diese Kälte wurde der Natur der Sache nach zu einer bitteren Feindschaft. Denn wer Jesu so nahe gekommen ist, der kann ihn nur lieben oder hassen; etwas mittleres gibt es da nicht. Für Solche gilt: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich“. Da Jesus seinen Weg grade durch ging und Judas seinen Willen nicht lassen wollte, so blieb für ihn, dem jeder Blick und jedes Wort Jesu eine furchtbare Strafpredigt war, nichts übrig, als sich grimmig von seinem Heiland abzuwenden. Er beschloss also, den alten Weg wieder aufzusuchen. Nach Allem, was wir wissen, wundern wir uns nicht mehr. Dass er, der selbst der bitterste Feind Jesu war, in das Lager der offenen Feinde Jesu überging, um Jesum zu verraten, wundert uns nicht, auch nicht, dass er seinen Verrat zu einem kaufmännischen Geschäft stempelte, das ihm dreißig Silberlinge und große Ehre bei den Vätern der israelitischen Kirche eintrug. Etwas wollte er doch davon haben, dass er drei Jahre hinter Jesu hergelaufen war. Mochte Dieser sehen, wie Er aus der Klemme heraus kam!
Alles Weitere berühren wir nur: dass Judas sich nur selbst betrogen und verraten hatte, da er Jesum verriet; dass ihm das ersehnte Blutgeld nun doch sein Sehnen nicht stillte, sondern wie höllisches Feuer in seinen Händen wurde; - dass die Freunde aus der Welt, die ihn erst so fein gehoben und umschmeichelt hatten, den Verzweifelnden nun kalt und herzlos seiner Verzweiflung überlassen und in seiner Verzweiflung zu Grunde gehen lassen, diese ganze Geschichte ist nichts Neues, sie kommt alle Tage wieder vor. Wer die Welt kennt, könnte über dieses Thema dicke Bücher schreiben. Wer auf Dank und liebe der Welt rechnet, der ist ein Narr.
Will im Kampf die Kraft verschwinden,
Werden meine Hände matt,
So lass mich dein Herz nur finden.
Das für mich noch Kräfte hat.
\\Gründe, stärke und vollende
Mich im Kämpfen bis ans Ende;
Förd're selber meinen lauf
Und hilf meiner Schwachheit auf. (Otto Funcke)
Und sie boten Judas dreißig Silberlinge. Und von dem an suchte er Gelegenheit, dass er ihn verriete.
So weit hatte es also der Feind mit ihm gebracht. Ei! ruft da der HErr im Propheten aus - „ eine treffliche Summe, deren ich wert geachtet bin von ihnen“ (Sachar. 11, 13.). Dreißig Silberlinge! man sollte es nicht glauben. Wie leicht müsste es dem Judas geworden sein, sich auf eine andere, ehrliche Weise diese Summe zu verschaffen, wenn er so große Luft zu diesem Geld gehabt hat. Aber der Teufel hatte seine Augen verblendet, dass er sonst nichts mehr dachte, nichts mehr sah. So geht es, wenn man einer einzigen Leidenschaft Raum gibt und auf die Stimme des HErrn nicht merkt. Da kann es geschehen, dass man nicht um Silberlinge, sondern um ein paar Kreuzer, um ein gutes oder schlechtes Wort Christum verrät und seine Liebe mit dem schändlichsten Undank ihm vergilt. O wie nötig ist es, dass wir uns an den Heiland anschließen, wie Johannes an seine Brust uns hinlegen, uns von ihm unseres Herzens Tiefen aufdecken und vor dem Argen bewahren lassen! Wie sehr haben wir zu wachen, wenn wir nicht durch die Macht der Finsternis gefällt werden wollen! Jeder Mensch hat seine Lieblingsneigung, seine Lieblingssünde. Bei Judas war es der Geiz, bei anderen ist's eine andere Leidenschaft. An dieser Lieblingsleidenschaft greift uns der Teufel besonders gern an, durch diese sucht er uns am liebsten zu fällen, weil wir hier am schwächsten sind. So lange wir uns nun vom HErrn diese Schoßsünden nicht aufdecken lassen und ernstlich bemüht sind, dieselben abzulegen durch seine Kraft, so lange können wir zwar vielleicht den HErrn suchen, aber wir suchen ihn nicht recht, sondern mit Heuchelei, und es kann zu einem erschrecklich tiefen Fall bei uns kommen, wie bei Judas. Und wenn es auch nicht zu solch einem offenbaren Fall kommt, so wird unser ganzes Leben den Heiland verraten und verleugnen, weil es vielleicht christlich aussieht, aber doch kein Leben in ihm ist, sintemal wir noch insgeheim der Sünde dienen. (Ludwig Hofacker)