Jeremia 3,22
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Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Vierte Predigt - Die Gnadenstunden
Text: Jerem. III, V. 22.
“So kehret nun wieder, ihr abtrünnigen Kinder: so will ich euch heilen von euerm Ungehorsam.“
So sprach der Herr zu Israel, als es ihn verlassen und zu den Götzen sich gekehrt hatte, und Israel, überwunden durch die lockende Heilandsstimme, antwortete: „Siehe, wir kommen zu Dir; denn Du bist der Herr, unser Gott. Wahrlich, es ist eitel Betrug mit Hügeln und mit allen Bergen. Wahrlich, es hat Israel keine Hilfe, dann am Herrn, unserm Gott.“ (V, 23.) So kehret nun wieder, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam,“ spricht Er noch unaufhörlich zu jedem Menschen, und Er spricht es. schon früh, am Morgen des Lebens, an der Mutterbrust, durch das Werk der Erziehung, in der Schule, und durch alle freudigen und lehrreichen Ereignisse des kindlichen Lebens. Insbesondere wird diese Stimme aber laut in den Tagen, die unbedenklich die schönsten Tage der Jugend ausmachen und in denen der Geist Gottes stärker als früher am Herzen arbeitet, in den Tagen der Konfirmation.
Lasst uns denn die Gnadenstunden des Lebens näher betrachten, wie sie sich zeigen 1) bei der Konfirmation und 2) nach derselben.
I.
Selten ist es der Fall, dass der Mensch schon als Kind sich dem Heilande übergibt und sich entschließt, in seinem Dienste zu bleiben und zu leben. Die rechten Anfassungen und Erweckungen kommen in der Regel erst später und zwar zunächst in den Tagen der Konfirmation und der Vorbereitung zum Genüsse des heiligen Abendmahls. Es sind das wichtige, heilige Tage, so wichtig, wie sie vorher nie da gewesen sind. Unterrichtet zwar in der Religion sind die Kinder bereits früher im Hause und in der Schule, aber meist ist ihnen der ganze, volle Zusammenhang der Heilslehre nicht aufgegangen, oder die Wahrheit ist mehr Sache des Verstandes als des Herzens geblieben, und die Wichtigkeit derselben ihrem Herzen nicht fühlbar geworden. Damm sind Wochen, Monate, Jahre erforderlich, in denen die ewige Wahrheit zur Gottseligkeit ihnen näher gebracht wird, und ihre Seele, der Welt sich verschließend, vorzugsweise mit dem Einen, was Not tut, sich beschäftigt, in denen das Reich Jesu Christi vor ihren Augen aufgeht und sie die Freude und den Frieden und die Herrlichkeit in demselbigen schauen, in denen ihr Herz brennt auf dem Wege bei der Eröffnung der heiligen Schrift und gerührt und erweicht wird, Gottes Liebe zu erkennen und zur Gegenliebe gegen ihn sich gedrungen fühlen zu müssen. Wenn nun endlich der hochwichtige Tag herankommt, an welchem der Glaube der Christenheit in Mitten der Gemeinde öffentlich bekannt werden soll, und die selige, großartige Verheißung: „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich wieder bekennen vor meinem himmlischen Vater, wer sich aber mein und meiner Worte schämet, des wird sich des Menschensohn auch schämen, wenn er kommen wird in seiner Herrlichkeit und seines Vaters und der heiligen Engel“ (Matth 10, 32. Luc. 9, 26.) segnend der Seele sich vergegenwärtigt: wie wechselt da Furcht und Hoffnung, Wehmut und Rührung, Freude und Entzücken in dem jugendlichen Gemüte, wie ist die Seele da durch und durch erfüllt von dem Hochgefühle, sich einen Christen nennen zu dürfen, und von dem Glück, Christo, dem Herrn, auf immer anzugehören und sein Eigentum zu sein; wie wallt es über von der Lust, ihn zu bekennen, von der ersten Liebe zu ihm und dem seligen Leben in seiner Gemeinschaft! Wahrlich, kein Tag sieht so hoch in unserer ganzen Jugendzeit, als der Tag dieses öffentlichen Bekenntnisses, und es darf uns nicht Wunder nehmen, wenn er nun auch so hoch und so allgemein gefeiert wird.
Indes der Konfirmationstag ist nicht allein der Tag, an welchem wir unsern Glauben an den dreieinigen Gott in der Gemeinde öffentlich bekennen, er ist zugleich der Tag der Erneuerung unseres Taufgelübdes. Denn nicht nur haben es damals, in den ersten Tagen unseres Daseins, Andere an unserer Stelle abgelegt: wir selbst haben es auch mannigfach übertreten und gebrochen, sind nicht in der Taufgnade geblieben, sondern, wie unser Text sagt, abtrünnige Kinder geworden. Unzählige Sünden in Gedanken, Worten und Werken haben unsere Kindheit befleckt und verunstaltet; weit, weit haben wir uns verirrt von den Wegen des Heils; Leichtsinn, Weltsinn, Eigensinn, Eitelkeit, Hoffart, Ungehorsam, Trägheit sind eingedrungen in das Mark unseres Lebens, und mit hohem Nachdruck ergeht fortan an uns die entscheidende Stimme des Herrn: „So lehret nun wieder, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von euerm Ungehorsam.“ Darum ist ein Tag in den Jahren, wo Kindheit und reiferes Alter sich scheiden, notwendig, dass wir an demselben wieder anknüpfen den abgerissenen Faden, wieder erneuern selbstständig und mit eigner, fester Willensüberzeugung unser Taufgelübde, wieder aufrichten den Bund des Herzens mit dem Herrn, den einst andere für uns schlössen, und unser geistliches Geburtsfest, unser wahres Pfingstfest feiern. O wie ist das jugendliche Gemüt da voll heiligen Geistes, voll frommer Gedanken, seliger Gefühle, guter Vorsätze und Entschließungen, und wie glüht es vor Liebe und Begeisterung, sich den, Herrn ganz hinzugeben und mit au“ seinem Denken und Verlangen, Sehnen und Fühlen aufzugehen in seine Gnade und Gemeinschaft! Nie hat Gott und der Mensch sich so nahe berührt und so geistig umfasst als in diesen gesegneten Tagen.
Gleichwohl sind wir noch nicht am Ende mit seinen hohen Bedeutungen. Nicht bloß seinen Glauben bekennen und sein Taufgelübde erneuern will der Konfirmand, er will auch den Segen des Herrn empfangen zur Treue im Glauben und im Leben. Ach, er steht ja in derjenigen Zeit, wo der gefahrvolle Übertritt geschieht aus dem kindlichen Alter ins männliche, und der schwache Jüngling, die schwache Jungfrau eines Geleites bedarf, um jeglichen Kampf wohl zu bestehen und das Feld siegreich zu behaupten. Eine neue, ihnen bisher völlig unbekannte Welt tut sich auf vor ihnen, eine Welt voll Reize und Lüste, voll Gefahren und Abwege. Im Herzen wachen Begierden auf, sie lernen nach Freuden haschen und fragen oft nicht, woher sie kommen und wohin sie führen. Sie suchen Genossen auf dem Lebenswege, finden aber leicht solche, die, anstatt sie zu befestigen im Guten, sie nur wankend machen in ihren bessern Überzeugungen, und, was das eigne Herz noch nicht erkannt hat von den Wegen der Sünde, durch die lockende Stimme der Verführung ihnen beizubringen sich bemühen. Sie bekommen Schriften in die Hände, die die Phantasie erhitzen, das Laster schmücken, das Heilige lächerlich machen und allen Geschmack an den ernsten Wahrheiten verderben. Es tun endlich die unseligen Orte sich ihnen auf, wo die Wollust ihre Tempel gebaut hat und wo der Freudendurst in der Befriedigung wächst. Einen innern Halt an Gottes Wort haben die Ungeübten und Unerfahrenen noch nicht gewonnen; Gutes und Böses, Schein und Wesen können sie noch wenig unterscheiden. Die törichten Eltern selbst können oft nicht genug eilen, ihre erwachsenden Töchter in die Welt einzuführen, sie mit allen Lustbarkeiten und Genüssen und mit der Kunst, sie zu genießen, vertraut zu machen, und sie damit der stillen Häuslichkeit und der einfachen Sitte, dem ernsteren Umgange und dem Gott ihrer Jugend zu entreißen. Wie bald kann da die schwache Stimme des Gewissens übertäubt werden, die letzten guten Eindrücke der Kindheit schwinden, das Gebet und die Liebe zum Worte Gottes erkalten, und wie müssen sie angetan sein mit Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, damit sie den Gefahren begegnen, die ihnen drohen! Welches Gefühl der Ohnmacht von der einen, welches Vertrauen auf die Gnade des Herrn von der andern Seite muss sie durchbeben, und wie muss beides sie treiben ins Gebet um Kraft aus der Höhe und um Gnade und Hilfe in jeglichem Streit, dass Eingang und Ausgang wohlgelinge und sie aus Gottes Macht durch den Glauben bewahret werden zur Seligkeit! Selig, wer in der Blüte seiner Tage die Perle des ewigen Lebens findet und mit Petro sprechen darf: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, dass Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Er wird Leid tragen, und wird getröstet werden. Er wird hungern und dürsten, und wird gesättigt werden. Er wird arm sein und wird Alles inne haben. Er wird gehen aus Licht in Licht, aus Kraft in Kraft, aus Seligkeit in Seligkeit. Die Gnadenstunde seines Lebens hat geschlagen, und, was auch weiter komme, er hat gefunden, was er bedarf, denn er hat die Salbung des Geistes empfangen.
II.
Nicht immer findet der Mensch in der Zeit seiner Konfirmation und des ersten Abendmahlsgenusses das Heil in Christo; die meisten Menschen sogar finden es da nicht, und der Herr muss daher später noch einmal zu ihnen sprechen: So kehret nun wieder, ihr abtrünnigen Kinder; so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam. Das tut er denn auch mit unermüdlicher Gnade und Treue.
Er sagt es selbst in seinem Worte: Des Menschen Sohn ist gekommen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist (Matth. 18, 17.). Ihr habt mich nicht erwählet, sondern ich habe euch erwählet (Joh. 15, 18). Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volke, des seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist. (Jes. 65,2). Siehe,“ das Alles tut Gott zwei oder drei Mal mit einem jeglichen, dass er seine Seele herumhole aus dem Verderben, und erleuchte ihn mit dem Licht der Lebendigen. (Hiob. 33, 29, 30). Siehe, ich siehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werbe ich eingehen und das Abend, mahl mit ihm halten, und er mit mir. (Offenb. 2, 20). Jerusalem, Jerusalem, die du tobtest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind: wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt! (Matth. 23, 37.). Lauter Erklärungen, die seine Hirten, treue und sein Nachgehen nach dem Verlorenen aufs unwidersprechlichste bekunden!
Was Jesus sagt, bestätigt die Geschichte. Denkt an die Berufung Johannis, wie Jesus den Jünger, der beim Täufer am Jordan sich aufhielt, zu sich einlud, und derselbe, von der Kraft seiner Worte, von dem Zauber seines Umgangs gefesselt, bei ihm blieb denselben ganzen Nachmittag bis zum Abend. (Joh. 1, 35 - 40.) Johannis Stunde hatte geschlagen! Denkt an Zachäus. Jesus kam nach Jericho, und das Gerücht seiner Ankunft zog eine Masse Menschen hinaus auf den Weg ihm entgegen; unter ihnen ist auch Zachäus, und, sei es aus Neugierde, sei es aus Sehnsucht, er steigt auf einen Maulbeerbaum, um den Herrn desto besser sehen zu können. Da kommt Jesus heran und ruft ihm zu: Zachäus, steig eilend hernieder, denn ich muss heute zu deinem Hause einkehren. Zachäus nimmt den Herrn auf mit Freuden und bekennt in der tiefen Bewegung und Erschütterung seines Innern über die große Gnade, welche ihm widerfahren: Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich nun den Armen, und so ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder. (Luc. 19, 1 - 10). Seine Stunde hatte geschlagen! Denkt an den Kämmerer aus Mohrenland. Einsam fuhr er in der Wüste, mit dem Lesen des Propheten Jesaias beschäftigt, auf seinem Wagen; er stand still vor den dunkeln, prophetischen Stellen und konnte ihren Sinn nicht enträtseln, weil er das große Wunder der Gnade nicht kannte, das in Jerusalem sich begeben hatte. Da kam Philippus zu ihm heran mit der Frage: Verstehest du auch, was du liest? Er erwiderte: Wie kann ich's, so mich nicht jemand anleitet? Darauf tat Philippus seinen Mund auf und predigte ihm das ganze Evangelium von Jesu, und der Kämmerer hörte zu und ward überzeugt und bekannte: „ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist,“ und ließ sich taufen, und zog dann seine Straße fröhlich. (Ap. Gesch. 8, 27 - 41). Seine Stunde hatte geschlagen! Denkt an Saulus. Eben war er im Begriffe, nach Damaskus zu ziehen, um Alle, die der neuen Lehre folgten, zu binden und nach Jerusalem zu schleppen; er befand sich auf sündlichem Wege und schnaubte mit Dräuen und Morden wider die Jünger des Herrn: da, mitten in seinen Sünden, ergriff ihn die Gnade, es umleuchtete ihn plötzlich nahe bei Damaskus ein Licht vom Himmel, und er fiel auf die Erde, und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgest du mich? Ich bin Jesus, den du verfolgest; es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu lecken. Saul fragte mit Zittern und Zagen: Herr, was willst du, dass ich tun soll? und ließ sich dann nach Damaskus führen, war drei Tage nicht sehend und aß nicht und trank nicht, bis endlich Ananias zu ihm kam, ihn im Christentum unterrichtete, taufte, und Saulus alsbald Christum predigte in den Schulen, dass derselbige Gottes Sohn sei. (Ap. Gesch. 9, 1 - 20.) Seine Stunde hatte geschlagen. Denkt an Kornelius. Lange hatte er gesucht und viel Almosen gegeben und immer zu Gott gebetet; aber nicht gefunden. Da schickte ihm eines Tages der Herr Petrum ins Haus, dass er ihm verkündige Frieden und Vergebung der Sünden durch den Glauben an den Namen des Herrn Jesu; und als Petrus noch redete, fiel der heilige Geist auf alle, die dem Worte zuhörten, und Petrus befahl sie zu taufen im Namen des Herrn. (Ap. Gesch. 10, 42-48). Seine Stunde hatte geschlagen.
Dasselbe große und mächtige Wirken wiederholt der Herr tagtäglich unter uns unzählige Male. Zuerst und hauptsächlich im Werke unserer Bekehrung und Erweckung. Eintreten muss dieses Werk einmal in unserm Leben, wenn wir selig werden wollen, und es tritt dann ein, wenn uns Barmherzigkeit widerfährt. Barmherzigkeit widerfährt uns aber nur, wenn wir aufhören lernen, uns selbst zu vertrauen, und unser Heil allein bei Christo finden. Mannichfach sind die Wege, welche der Herr einschlägt, um uns diese Erfahrungen machen zu lassen; aber wie mannichfach sie auch sind, das Wesen, der innere Kern dieser Erfahrungen ist bei Allen derselbe; es ist immer: Nichtigkeit des Menschen und Herrlichkeit Christi. - Sehet ihr jenen Jüngling? Er sucht die Wahrheit mit großem Eifer, Tag und Nacht liegt er seinen Studien ob, alle Schulen der Weltweisen besucht er, die Bücher der Gelehrten weiß er sich anzueignen, mit seiner Vernunft steigt er immer höher, bis zu den höchsten Stufen des Erkennens und Wissens empor, schon meint er gefunden zu haben und freut sich des mühsam aufgeführten Gebäudes. Aber nicht lange währt das Triumphgeschrei; neue Fragen, neue Einwürfe, neue Zweifel steigen auf in seiner Seele, er fängt von neuem an zu forschen, und je länger er forscht, desto verwickelter wird die Untersuchung; hier fehlt die Begründung, dort der Zusammenhang, überall Dunkelheiten und Lücken, da kommt er denn endlich zur Einsicht, dass der Mensch aus seinen eignen Fingern die Wahrheit nicht saugen könne, dass er einer höheren Offenbarung, einer ewigen Wahrheit bedürfe, und dass er diese allein bei Christo finden könne, der in die Welt gekommen ist als das Licht der Welt, auf dass, wer an ihn glaube, nicht in Finsternis bleibe, sondern das Licht des Lebens habe. Und nun ist's gefallen von seinen Augen wie Schuppen, er weiß, woran er ist mit den unsichtbaren Gütern und Geheimnissen des Reiches Gottes; er weiß, woher er kommt und wohin er geht; es tagt in seiner Seele, und was sich ihm nicht ausschließt, das, weiß er, gehört zu den Gegenständen, über die ihm später, sei es hier, sei es dort, noch Aufklärung werden soll. Sein Stolz hat sich in Demut, seine eigne Weisheit in ein Wissen von Christo dem Gekreuzigten verwandelt. - Sehet ihr dort jenen Andern dahingehen in seinen Sünden, in den Werken der Finsternis, und von einer Ungerechtigkeit zu der andern? Stimmen genug sind an ihn ergangen, die ihm hätten das Herz erweichen können; aber er hatte für diese Stimmen kein Gehör, und er fuhr fort, im Schlamme seiner Sünden sich zu wälzen. Da schlägt ihn der Herr mit den Folgen seiner Missetaten, entsetzliche Krankheiten wühlen in dem durch die bösen Lüste und die Leidenschaften aufgelösten Körper, Schande vor der Welt, Verachtung seiner ehemaligen Genossen, Zurückziehung seiner besten Freunde, einbrechende Verarmung überzeugt ihn von seiner Verworfenheit, sein Gewissen beginnt zu reden und klagt ihn laut und unaufhörlich an, bei Tag und bei Nacht hat er keine Ruhe mehr, und überall, in der Einsamkeit wie unter Menschen, fühlt er sich verfolgt von den Gespenstern seiner Sündengräuel. Vergebens, dass er sich den Anmahnungen des Geistes Gottes zu entwinden bestrebt, sein Elend ist zu groß und zu augenfällig, als dass er es leugnen könnte, und er muss sich nun beugen in den Staub, er muss bekennen, dass er ein elender, verworfener Sünder sei und mit seinem bisherigen Leben Gottes Ungnade und Zorn verdient habe, er muss Gnade und Vergebung suchen, damit er Ruhe finde für seine Seele. Seine Stunde ist gekommen, und aus dem Sünder ein Kind Gottes geworden, das da sprechen darf: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir, und was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich bargegeben hat.“ Die Werke der Finsternis hat er abgelegt, und er trägt nun die Waffen des Lichts. - Betrachtet dort jenes Weltkind, wie es schwelgt in unaufhörlichen Genüssen und Lustbarkeiten und den Bauch zu seinem Gott macht. Lange währt die Freude und die Genusssucht an, aber endlich bricht plötzlich der Taumel, der Becher der Lust will nicht mehr schmecken, der Körper versagt den ewigen Ausschweifungen seinen Dienst, Widerwille und Ekel bemächtigt sich der armen, leeren Seele, und Lebensüberdruss nagt an dem Mark des Lebens. Was soll ich anfangen, ich Unglückseliger, und wohin soll ich mich wenden? ruft der Betörte aus, dem nun die Augen sich öffnen über sein wüstes Leben, wo finde ich Ruhe für meine Seele und den Frieden, den ich bisher vergebens in der Welt gesucht? Er fragt's, und die Stimme vom Kreuze spricht: „Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich Will euch erquicken; nehmet auf euch mein Joch, und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele; denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ (Matth. 11, 28. 29) Er wendet sich hin, woher die Stimme erschallt und findet in Christo Leben und volle Genüge und Freuden, wie er vorher sie nie geahnt, und wie die Welt sie ihm nimmer geben und bieten konnte. - Betrachtet endlich jenen Vierten, damit wir die Hauptwege wenigstens alle bezeichnen, auf denen der Herr die Seelen zu sich zieht. Es ist ein Mann, der sich der Rechtschaffenheit und Tugend befleißigt, wie nur irgend Einer; seine Dienstfertigkeit, seine Arbeitsamkeit, seine Wohltätigkeit zeichnen ihn aus vor Hunderten seiner Mitmenschen; vom frühen Morgen bis späten Abend ist er bemühet, Gutes zu stiften und um sich her zu verbreiten, und er darf sich das Zeugnis geben: Mein Gewissen beißt mich nicht meines ganzen Lebens halber. (Hiob. 27, 6.). Wie kommt es, dass derselbe Mann plötzlich ganz anders geworden ist, dass, während er früher so gern von sich selbst redete und seinen Verdiensten, er jetzt verstummt, wenn man ihn auf seine Werke führt, als schämte er sich derselben, und um so fleißiger von Gott und seiner Gnade spricht? O es ist ihm ein Ereignis) begegnet, in welchem der Abgrund seines Innern sich ihm auftat und er sich überzeugte, dass allen seinen Werken Stolz, Selbstsucht, Eitelkeit, Ehrgeiz, Ruhmsucht zum Grunde lag, dass er überall nur sich selbst suchte und liebte und nicht Gottes Ehre und der Brüder Heil; der Tod ist ihm nahe gerückt und hat ihn erschreckt mit seinen ernsten Zügen und dem drohenden Gerichte, und da ist denn die Decke von seinen Augen gefallen, da hat er eine andere Gerechtigkeit gesucht, mit der er besser könnte vor Gott bestehen, und seitdem singt er: „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn.“ - Bei allen diesen Menschen ist eine Änderung vorgegangen, die ihr ganzes Leben, Sinnen und Trachten, Wollen und Fühlen umgekehrt hat, und nun heißt es bei ihnen: „Seitdem ich im Glauben zu Christo mich hingewendet habe, ist eine ganz neue Welt mir aufgetan worden. Was ich früher liebte, hasse ich nun; was ich früher hasste, liebe ich nun. In jeder Dunkelheit meines Lebens habe ich jetzt Licht, in jeder Not Hilfe und Beistand, in jedem Kampfe einen Arm, der mich hält und trägt, im düstern Todestal selbst einen Stecken und Stab, der mich führt auf die grünen Auen des Paradieses.“ Wahrlich, es war eine große Stunde, als wir zum ersten Mal unser Auge aufschlugen an das Licht dieser Welt; aber größer noch ist die Stunde, in der wir mitten in dieser Welt das Dasein einer neuen, höheren Welt glauben und erfahren lernten; das ist die wahre Weihe- und Konfirmationsstunde unseres Daseins, wo wir erhielten die Feuertaufe des Heiligen Geistes.
Meinet indes nur nicht, Geliebte, dass der Mensch nur einmal solche Gnadenstunden im Leben hätte; sie kehren wieder, immer wieder. So oft uns Gott im Leben seine Herrlichkeit offenbart, so oft er aus großen Gefahren uns befreit, so oft er unsere Gebete erhört, so oft er sein heiliges Wort an unserm Herzen segnet, so oft er im Genüsse des Abendmahls uns schmecken lässt, wie freundlich er ist, so oft die Natur uns erhebt auf den Schwingen der Andacht zu ihm- selbst, so oft im Kreise der Freundschaft und Liebe uns unaussprechlich wohl ist: so oft kehren seine Gnadenstunden wieder. Und wenn er uns heimsucht, wenn das Schicksal uns ergreift wie ein gewappneter Mann, wenn trübe Wolken am Lebenshimmel stehen und die Sonne unterzugehen scheint, wenn er uns sein Angesicht entzieht auf eine Zeitlang: auch das ist Gnade, und er ist uns nie näher, als wenn er uns recht fern zu stehen scheint; es geht uns da wie den Jüngern nach Emmaus, gegen die er sich stellte, als wollte er weiter gehen, und bei denen er doch so gerne blieb, als sie ihn baten, mit ihnen das Brod zu brechen.
So gehen sie fort die Gnadenstunden, bis die Gnadenzeit aus ist, und durch die Himmel rauschen wird das Wort des Herrn: „Es ist keine Zeit mehr!“ Benutzet, ergreifet sie denn, die Zeit euers Heils, kaufet aus ihre einzelnen Stunden und Minuten, geizet mit ihnen soviel ihr könnet, ach, sie eilen schnell dahin, und kehren nicht um, wenn sie einmal vorüber sind, und an diesen Stunden und Minuten hängt eure Ewigkeit. Kaufet sie aus, und versäumet nicht die Verheißung, einzukommen zu seiner Ruhe, damit unser Keiner dahinten bleibe. Sehet, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils; heute, so ihr Gottes Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht. Vielleicht habt ihr schon Gnade gefunden: suchet sie von neuem und nehmet aus seiner Fülle Gnade um Gnade. Vielleicht ist sie euch bisher fern geblieben, und euer Herz ist heute noch das alte, ungeduldige, unzufriedene, lieblose und stolze Herz, weil ihr bei der rechten Tür nicht angeklopft, die rechte Stimme nicht gehört habt und dem treuen Freunde eurer Seele aus dem Wege gegangen seid. O suchet sie, suchet sie heute: es könnte morgen zu spät sein; und ringet danach, dass ihr durch die enge Pforte eingehet, denn Viele werden, das sage ich euch, darnach trachten, wie sie hineinkommen, und werden es nicht tun können. Von dem an, wenn der Hausvater aufgestanden ist und die Tür verschlossen hat, da werdet ihr dann anfangen, draußen zu stehen und an die Tür klopfen und sagen: Herr, Herr, tue uns auf; und er wird antworten und zu euch sagen: ich kenne euch nicht, wo ihr her seid.“ (Luc. !3, 24. 25.) Darum: „So kehret nun wieder, ihr abtrünnigen Kinder, so will ich euch heilen von eurem Ungehorsam.“ Amen.