Jesaja 61,1
Andachten
Der Geist des HErrn HErrn ist über mir, darum hat mich der HErr gesalbt. Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden.
Als Jesus gleich nach dem Antritt seines Lehramts nach Nazareth kam, ging Er nach seiner Gewohnheit in die Schule am Sabbattag, und da Ihm das Buch des Propheten Jesaias gereicht wurde, las Er die obigen Worte und sprach: „Heute ist diese Schrift erfüllt vor Euren Ohren.“ (Luc. 4,16-21.). Da Er es selber sagt, so haben wir hier gewiss eine klare und deutliche Weissagung auf Ihn, und welch eine liebliche und tröstliche! Wie hat nun jeder düstere Name, den wir von Natur an uns tragen, seine Schrecken verloren! Der Name: Gottlose; denn Gott spricht uns gerecht. Der Name: Verlorne; denn Jesus sucht sie. Der Name: Elende; denn Er leitet sie recht. Der Name: Betrübte; denn Er tröstet sie. Der Name: Gefangene; denn Er macht sie frei. Kurz, wir brauchen nur Jesum bei seinem Verdienste zu fassen, so wandeln wir alle jene Namen in lauter mutige und hoffnungsreiche um. Fragt Jesus uns also: wie heißest du? – und wir können in Einfalt mit gründlicher Zustimmung antworten: Sünder, so wird’s uns wie dem Jacob ergehen, dem bei Nennung seines Namens ein liebliches Licht aufging. – Wahre Christen können demnach keine niedergeschlagenen und melancholischen Leute sein; sie haben vielmehr lauter Ursache, sich zu freuen wie Bräute, denn sie dürfen sich rühmen eines Kleides der Gerechtigkeit, mit welchem sie angekleidet sind und ihre nackte Seele bedeckt ist. Es ist dies die vollkommene Gerechtigkeit Jesu Christi, welche allein vor Gott gilt, und die ihren größten und herrlichsten Schatz und Schmuck ausmacht. Fehlt uns diese Gerechtigkeit, so fehlt uns Alles. Haben wir sie aber, so sind wir herrlicher als die Engel Gottes; aller Verlust des Sündenfalles ist uns in Jesu ersetzt. O beflecke dies dein Kleid nicht, meine Seele! Durch jede mutwillige Sünde beweisest Du eine Geringschätzung desselben, und verwundest aufs neue das rein gemachte Gewissen. O Jesu, erhalte mir Dein Kleid, in welchem ich mich allein für geschmückt ansehe. Ich weiß oft nicht, wo ich vor Wehmut und Angst hin soll, wenn ich einen Augenblick auf mich allein sehe; aber da Du mir einmal die süße Erkenntnis gegeben hast: Dein Schmuck sei mein Schmuck, so halte ich mich daran durch alle Zeit bis in die Ewigkeit. Erhalte Du mich Dir selbst rein durch Deine allmächtige Gnade. Amen. (Friedrich Arndt)
Warum lässt sich der Heiland so gerne zu dem Niedrigen herab? Wo kommt es her, warum geschiehts? Was ist der Grund, was ist die Quelle? Siehe, der Mensch, der doch nichts ist als Staub und Asche, tritt, so lange er nicht Sanftmut in der Schule Jesu gelernt hat, so gerne, wenn er es vermag, mit stolzem Fuß auf den Nacken seiner Brüder; er übersieht so gerne das kleine über dem Großen, das Einzelne über dem Ganzen; er ist so unbarmherzig, so zurückstoßend gegen diejenigen, welche nicht die gleichen Ansichten mit ihm teilen; er verachtet Andere so gerne, ob er wohl selbst des Verachtens wert ist. Aber Der, der über Cherubim thront, der Ewigkeiten König, Der, welcher heilig ist und ist keine Finsternis, kein Flecken in ihm - der verachtet nicht, der geht so sanft, so schonend und liebevoll mit dem Sündigsten und Elendesten um, das sich um seine durchgrabenen Füße schmiegt; er erbarmt sich aller seiner Werke, er zerbricht das zerstoßene Rohr nicht. Warum aber tut er also? Ich weiß feinen anderen Grund als seine Liebe, sein ewiges Erbarmen, das Erbarmen, das ihn in dieses Elend, in Fleisch und Blut hereingetrieben und gezogen hat; die Liebe, wonach er sich entäußerte, wonach er ein Knecht wurde auf dieser Welt, die ihn bewog, sich dahinzugeben für mich. Die Liebe, die ihn an den Kreuzesstamm und in das Meer von Schmerzen und Pein hineinzog, diese Liebe gibt ihm die zarten, die heiligen, die sanftmütigen Empfindungen gegen seine armen Brüder und Schwestern ein; diese Liebe, in welcher sein Herz nach dem Heil einer jeden Seele brennt, die Liebe, die mit unaustilgbarer Flammenschrift in das Kreuz eingegraben ist, - diese Liebe lässt ihn, den Getreuen und Heiligen, unsere Schwachheit und Sünde übersehen. Er sehnt sich eben nach eurer und meiner Seligkeit; er möchte uns zur Beute seines Todes und Blutes dahinnehmen. Darum lädt er so freundlich ein: wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen! Darum will er, wie eine Henne ihre Küchlein, also auch uns unter seine Flügel versammeln; darum erfährt es Jeder, der sich in seinem Elend zu ihm wendet: der Heiland hat das erbarmendste, das großmütigste, das demütigste Herz noch jetzt. (Ludwig Hofacker)