2. Könige 20,5
Andachten
(Und Gott sprach zu dem Propheten Jesaja): Kehre um und sage Hiskia, dem Fürsten meines Volks: So spricht der Herr, der Gott deines Vaters Davids. Ich habe dein Gebet erhört und deine Tränen gesehen. Siehe, ich will dich gesund machen… und will fünfzehn Jahre zu deinem Leben tun… um meinetwillen.
Das ist eine merkwürdige Geschichte. So eben hatte der Prophet dem totkranken Hiskias sein bevorstehendes Ende verkündet. Da aber der fromme König Gott mit heißem Flehen anlag, er möge ihn doch gesund werden lassen, so bekommt nun Jesaja einen Gegenbefehl und darf dem Kranken die Botschaft bringen, dass er noch fünfzehn Jahre leben werde. Fünfzehn Jahre Leben, nicht mehr und nicht weniger, sind ihm garantiert, er weiß es, so lange hat er Frist, ehe er in die Tore der Ewigkeit eintreten wird. Man denke sich das aus! Es war das eine Gnade Gottes, aber es lag auch eine schwere Versuchung darin. „Wieso,“ sagst du, „eine schwere Versuchung? Diese Gewissheit war doch außerordentlich angenehm.“ Vielleicht ja, aber jedenfalls auch höchst gefährlich; so gefährlich, dass selbst der so fromme Hiskias die Probe nicht wohl bestanden hat.
Wir wollen Gott danken, dass wir nicht wissen, wie viele Tage, Jahre oder Jahrzehnte uns von unserem Tod trennen. Wir leichtsinnigen Menschenkinder würden gewiss in den meisten Fällen noch viel leichtsinniger werden, wenn wir erst für gewiss wüssten: die Ewigkeit ist mir noch fern; so werde ich ja immer noch Zeit und Gelegenheit haben mich darauf vorzubereiten. Wenn wir erst auf zehn oder zwanzig Jahre das Lied:
„Wer weiß, wie nahe mir mein Ende,
Hin geht die Zeit, her kommt der Tod,
Ach, wie geschwinde und behende
Kann kommen meine Sterbensnot“
in unserem Gesangbuch verkleben, wenn wir erst singen könnten: „Es kann vor Nacht nicht anders werden, wie es am frühen Morgen war“, - O, wo wollte es da mit den Meisten hinaus? Der König Hiskias ist innerhalb der garantierten 15 Jahre allzu sicher geworden auf Erden, hat sich über Gebühr eingerichtet und eingelebt in den Kreatur, hat mit seinem Mammon, mit seinem Gold und seinen Schätzen, statt mit seinem Gott und dessen Gnaden sich groß gemacht vor den Heiden Babylons und vor ihrem Könige Merodach Bal Adan, und hat dann, schon längst vor Ablauf jener 15 Jahre, harte Worte hören müssen aus dem Munde Jehovas; - wie solches Alles im 2. Buch der Könige, Kap. 20 zu lesen ist.
Der liebe Leser ist nun freilich nicht der König Hiskias, aber vermutlich doch noch etwas weniger stark im Glaubensgehorsam wie er. Denn Jener war einer der frommsten Fürsten in der langen Reihe aus Davids Stamm. Es war ja freilich nicht nötig, dass der König in jener Probe erlag, aber sein Beispiel lehrt, dass die Gefahr zur Fleischessicherheit groß ist in solchem Fall. Darum wollen wir Gott danken, dass wir es nicht wissen, wenn unsere Stunde kommt. Wir würden sonst leicht aufhören die Zeit auszukaufen für die Ewigkeit, würden in Gefahr sein zu verweltlichen, unwachsam zu werden und die Sorge um unsere Seele ein wenig zu chloroformieren, - würden, wohl ohne es zu merken, die Waffen unserer geistlichen Ritterschaft auf eine Zeit lang in das Antiquitätenkabinett verweisen.
So wollen wir denn, weil wir einmal sind, wie wir sind, darüber froh sein, dass wir uns mitten im Leben vom Tod umfangen wissen, dass wir am Morgen nicht wissen, was am Abend sein wird, - wollen nach der Klugheit der Gerechten trachten, die Moses erbittet: „Lehre uns bedenken, Herr, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Die Zeit muss uns zur Ewigkeit werden; wir müssen uns üben Alles vor Gottes Augen zu tun, Alles mit Ihm zu tun und zu lassen, Alles so zu tun, dass Er, der heilige Gott, hineinschauen kann. So mögen denn unserer Tage viele noch oder nur wenige sein; es mag der Tod plötzlich kommen oder nach langem Siechbett, er mag uns im Gebetskämmerlein oder im heiteren Freundeskreis treffen, wir werden nicht zittern noch zagen. Da heißt's dann: „Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder wir sterben so sind wir des Herrn.“ (Otto Funcke)