1. Mose 50,19
Andachten
Ich bin unter Gott!
Das Wort des Joseph: „Ich bin unter Gott!“ kann uns als Leuchte dienen. Lasst uns dasselbe nach drei Seiten hin ansehen!
I.
So spricht ein Mann, der im Äußeren sehr emporgekommen ist. Es ist Joseph, der aus einem gefangenen Sklaven zum höchsten Regierungsbeamten in Ägypten emporgestiegen war. Er, der früher nichts hatte, besaß jetzt Ehre und Vermögen wie kaum irgendein anderer außer Pharao.
Solchen Wechsel kann nicht jeder innerlich vertragen. Viele, die sich früher zu Gott hielten, fingen an, ihm den Rücken zu kehren, als sie es in der Welt zu etwas brachten. Es ging mit ihnen äußerlich aufwärts und innerlich abwärts. Anders war es bei Joseph. Obwohl er in der Lage war, ganze Wagenladungen voll der herrlichsten Geschenke verteilen zu können (1. Mose 45,21), blieb er doch klein, demütig und von Gott abhängig.
In unserer Zeit sind auch manche Christen in äußerer Hinsicht emporgekommen. Freunde, lasst uns die innere Gefahr solchen Aufstiegs im Auge behalten! Wenn wir in dem Wichtigsten, in der Gemeinschaft mit Gott, rückwärtsgehen, so ist aller äußere Gewinn nur Trug und Wind. Wohl allen Gotteskindern, die trotz aller äußerer Verbesserung ihrer Lage sprechen: Ich bin unter Gott!“
II.
So spricht ein Mann, der eine Entscheidung zu treffen hat. Es handelte sich um die Frage, ob Josephs Brüder bestraft werden sollten oder nicht. Die Entscheidung darüber lag in Josephs Hand. Wie traf er sie? Mit dem Worte: Ich bin unter Gott!“ Damit wollte er sagen: Ich habe überhaupt keine Macht, nach meinem Sinn und Willen zu entscheiden, sondern muss mich nach Gottes Fingerzeigen und Winken richten. „(Die wörtliche Übersetzung: „Bin ich denn an Gottes Statt?“ drückt fast ein gewisses Entsetzen aus vor dem Gedanken an ein selbständiges, eigenmächtiges Vorgehen, das nicht mit dem göttlichen Führen übereinstimmt.) Joseph wollte sagen: „Es steht nicht bei mir, irgend etwas zu tun, was im Widerspruch zu dem göttlichen Walten steht. Gott hat euer Tun zum Guten gewendet (Vers 20), also darf ich auch nicht darüber erzürnt sein.“
Dieses demütige Verzichten auf allen Eigenwillen, dieses sorgfältige Achten und Eingehen auf Gottes Willen und Fußspuren zeigt uns die richtige Herzensstellung bei allen Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Die Stellung Josephs ist genau das Gegenteil von dem Hochmut und Eigenwillen unseres natürlichen alten Menschen, der an eigenmächtiger Selbstherrlichkeit seine Freude hat.
III.
„Ich bin unter Gott!“ So spricht der Mann, der die empörendste Behandlung gegen seine eigene Person verzeihen sollte. Die Entscheidung, welche Joseph zu treffen hatte, musste allerlei Erinnerungen in ihm wachrufen. Seine Brüder waren mit der erneuten Bitte um Vergebung an ihn herangetreten. Ihr Vater Jakob war gestorben. Nun fürchteten sie, dass Joseph vielleicht nur aus Rücksicht auf diesen verstorbenen Vater zu dessen Lebzeiten ihre Bosheit nicht weiter gestraft habe, jetzt aber die Bestrafung nachholen werde. Deshalb fallen sie vor ihm nieder mit der Bitte um Gnade. Tatsächlich hätte Joseph gerade jetzt, wo der Vater gestorben war, die beste Gelegenheit gehabt, sich an seinen Brüdern furchtbar zu rächen.
Aber er hatte seinen Brüdern nicht etwa nur um des Vaters willen verziehen. Joseph hatte ihnen vergeben, weil er „unter Gott“ war. Deshalb ändert auch der Tod des Vaters gar nichts an seiner Stellung und seinem Verhalten zu den Brüdern. Joseph sah in all den vergangenen (für ihn selbst schweren) Ereignissen nicht die sündige Menschenhand, sondern die wunderbar treue, göttliche Vaterhand. Das befähigte ihn, auch die schändlichste Handlungsweise zu verzeihen.
Hier kommen wir an einen wichtigen Punkt im Christenleben. Mancher behauptet, die Stellung Josephs einzunehmen und unter Gott zu sein, aber er will gewissen Personen nicht restlos verzeihen, die sehr übel an ihm gehandelt haben. Aber das Wort „Ich bin unter Gott!“ schließt in seinem ganzen Zusammenhang die völlige Vergebung auch der schändlichsten Handlungen ein. Wer mit Joseph „unter Gott“ sein will, der beweise dies auch, indem er wie Joseph verzeiht und wohltut denen, die sich an ihm versündigten. (Alfred Christlieb)