1. Mose 3,2
Andachten
Predigten
Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Zweite Predigt. Der Zweifel.
Herr, weise uns Deine Wege, dass wir wandeln in Deiner Wahrheit (Ps. 86, 11.).
Dein Wort ist unsers Herzens Trutz
Und Deiner Kirche wahrer Schutz.
Dabei erhalt uns, lieber Herr,
Dass wir nichts anders suchen mehr. Amen.
Text: 1 Mose III., V. 2. 3.
Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten. Aber von den Früchten des Baums mitten im Garten hat Gott gesagt: Esst nicht davon, rührts auch nicht an, dass ihr nicht sterbt.
In der ganzen Weltgeschichte haben augenfällig nie wieder zwei so grundverschiedene Wesen in vertraulicher Unterredung einander gegenübergestanden, als hier Eva und die Schlange; Jene, Adams Weib, des Beherrschers der Erde, dem Gott alle Tiere unterworfen hatte, dass sie ihm gehorchen sollten; diese, berufen, dem Menschen zu dienen und seine Zwecke erfüllen zu helfen. Jetzt stehen sie aber in einer entgegengesetzten Stellung einander gegenüber: die Schlange fragt Eva aus, und Eva muss ihr antworten, und antwortet ihr; die Schlange stellt das Weib zur Rede, und Eva steht ihr Rede; die Schlange verleugnet ihre dienende, Eva ihre herrschende Aufgabe; die Schlange schwingt sich zu einer höheren Würde empor und Eva gibt ihre Würde als Königin und Gebieterin preis. Wie war das möglich? Das machte, dass die Schlange hier gleichsam als Doppelwesen erschien, sichtbar als eine gewöhnliche Schlange, aber zugleich als Werkzeug des gefallenen Engels, der unsichtbar und verborgen durch sie redete und handelte. Aber wie merkwürdig, Geliebte! So oft Gott in der heiligen Schrift erscheint, offenbart Er sich den Menschen und sie wissen gleich, mit wem sie es zu tun haben; dagegen, so oft Satan auftritt, verhüllt er sich, man merkt seine Nähe nicht und ahnt nicht, wer vor Einem steht. Es ist überall Gottes Absicht, dass Sein Dasein und Seine Wirksamkeit geglaubt, und Satans Absicht, dass an seinem Dasein und an seiner Wirksamkeit gezweifelt werde: der Teufel liebt die Anonymität und reist am liebsten inkognito durch die Welt. Und wenn man ihn fragt: Wie heißt du? so hat er freilich die Gnade nicht, geradeheraus zu antworten: „Der bin ich!“, sondern verallgemeinert sich gern, wie Gott sich vereinzelt, und sagt: „Legion, denn unserer sind Viele!“
Hier hatte er das Weib gefragt: „Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten? Sollte Gott das verboten haben? Sollte Gott daran etwas liegen, euch das zu verbieten? Sollte Gott das Gegenteil so hoch aufnehmen?“ Es war diese Frage im Ausruf der Verwunderung und der Undenkbarkeit gehalten, hatte keine andere Absicht, als Eva zum Misstrauen und Zweifel an Gottes Wort zu verführen. Und siehe da, sein höllischer Plan gelingt; denn Eva antwortet: „Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: „Esst nicht davon, rührt es auch nicht an, dass ihr nicht vielleicht sterbt“. In dieser Antwort spricht sich der beginnende Zweifel, der Gedanke aus: Am Ende hat es Gott so ernst nicht gemeint, oder wir haben Ihn missverstanden; nein, das kann Er weder verboten, noch solche Drohung hinzugefügt haben. Wir betrachten demnach heute den Zweifel an Gottes Wort, 1) wie er in der Seele erwacht, und 2) wie er sich äußert.
I.
Bei Eva erwachte der Zweifel durch die Frage der Schlange: „Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?“ Es war dies eine verfängliche Frage. Ihr kennt diese Fragen aus dem Neuen Testament, wenn die Pharisäer und Schriftgelehrten Jesum fragten: „Aus welcher Macht tust Du das? und wer hat Dir diese Gewalt gegeben?“ Oder: ,Was dünkt Dich, ists recht, dass man dem Kaiser Zins gebe, oder nicht?“ Oder: „Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz?“ Oder: „Meister, dies Weib ist ergriffen auf frischer Tat im Ehebruch, Moses hat uns im Gesetz geboten, solche zu steinigen, was sagst Du?“ Solche Fragen sind wie gemacht, arglose Gemüter zu verwirren, sie lassen durch ihre Doppelsinnigkeit ebenso sehr ein Ja wie ein Nein zu, und ehe man sichs versieht, fängt man an zu grübeln, das Für und Wider zu überlegen, und kommt in der Verwirrung dazu, Nein statt Ja, Ja statt Nein zu antworten. Es gibt Menschen, die neigen mehr zum Zweifeln und Bezweifeln als Andere, es ist bei ihnen eine angeborene Unart, bei Allem, was sie hören, gleich ein bedenkliches „Aber“ hinzuzusetzen und zu fragen: Ists möglich? Ists wahr? - Es gibt wiederum Andere, die sind in solche uns natürliche Zweifelsucht erst durch verkehrte Erziehung, durch fehlerhaften Unterricht, durch ungläubigen Umgang, durch gottlose Lektüre hineingekommen, und nun sind sie ebenfalls offenbare Leugner und Skeptiker geworden. Indes das Eine, wie das Andere, woraus gehts hervor? Beides ist doch an sich unnatürlich, denn natürlich und menschlich ist es, dass das Kind seinen Eltern, der Schüler seinem Lehrer, und noch vielmehr der Mensch seinem Gott glaubt, und nicht erst fragt: Warum? Ists auch wirklich so? Kann ichs glauben? Geliebte, wie kommen wir zu dem Gegenteil unserer ursprünglichen Natur? Es gibt dazu verschiedene Gründe.
Der eine beruht auf einseitiger Verstandesentwicklung, wenn Kopf und Herz nicht gleichmäßig in uns Hand in Hand gehen und die Verstandestätigkeit stärker ist, als die des Gemüts, letztere beherrscht oder bestimmt, oder ganz allein hervortritt. Unser Verstand bedarf allezeit, um nicht zu weit zu gehen und beschränkt, stolz, kalt, schroff, abstoßend zu werden, zu seiner Ausgleichung des Herzens, sowie andererseits das Herz zu Schwärmerei, Phantasterei, Aberglauben nur zu sehr neigt, wenn es nicht vom Verstand sich berichtigen und ernüchtern lässt. Besonders in einer Zeit, wo der Stolz auf den Verstand oft noch größer ist, als die Bildung desselben, wo der Verstand auf jede Weise überschätzt und vergöttert wird, wo ein verständiger, aufgeklärter Mann zu heißen der größte Ruhm ist und man den oft als Toren verlacht, der noch an etwas unbegreifliches glaubt, tut es vor Allem not, sich vor Einseitigkeit zu bewahren. Wer daher beim Unterricht und bei der Erziehung der Jugend es vorzugsweise darauf anlegt, ihren Geist zu entwickeln auf Kosten des Herzens, wer überall nach den Gründen der Dinge fragen lehrt und das Warum? und Wie? mehr ins Auge fasst, als das Was? und Wozu? - erzieht sie methodisch zu lauter Zweiflern, die bald gar keine höheren übersinnlichen Geheimnisse mehr anerkennen und dem falschen Thomasgrundsatz huldigen werden: „Was ich nicht sehe und begreife, das glaube ich nicht“, und er wird seine Verkehrtheit einmal bitter bereuen.
Ein anderer Grund ist die weitverbreitete und hochmütige Beschränktheit, als sei die Vernunft das einzige Werkzeug, die göttlichen Dinge zu erfassen, und gebe es kein anderes und besseres, als könne sie durch sich selbst in alle göttlichen Geheimnisse einbringen und habe gar keine Grenzen für ihr Wissen und Erkennen, während doch die kürzeste Erfahrung schon Jedermann lehren kann, dass unser Wissen und Weissagen Stückwerk ist, dass wir schon in Beziehung auf die Natur und deren Erforschung überall auf Grenzen geraten, die wir weder zu erklären, noch zu überschreiten vermögen, vollende aber für göttliche Dinge der Vernunft alles Licht fehlt, und sich auch leicht einsehen lässt, warum sie hier blind sein muss. Die göttlichen Dinge sind ja unendlich, unsere Vernunft ist aber eine endliche; die göttlichen Dinge sind ewig, wir aber erkennen in der Zeit; die göttlichen Dinge fallen nicht ins Auge, wir aber begreifen nur, was in die Sinne fällt; kurz, wir wissen von göttlichen Dingen nur soviel, und nur soviel gewiss, als uns ist geoffenbart worden. Würde es nicht Jedermann für eine Torheit erachten, wenn er mit dem Ohr sehen oder mit dem Auge hören wollte, und würde er auf dem Weg jemals etwas zu hören und zu sehen bekommen? Nicht minder groß ist die Torheit, die mit der Vernunft die göttlichen Dinge erspähen, zerlegen, zurechtlegen, annehmbar machen will. Der Glaube ist ein Auge weit über die fünf Sinnen, das sieht, von Zweifeln frei, was in dem Himmel drinnen. Wer aber alles begreifen will, wer für Alles vernunftgemäße und mathematische Beweise verlangt, wer mit neun Beweisen noch nicht zufrieden ist, sondern noch einen zehnten herbeigebracht wissen will, ehe er glaubt, der ist auf dem besten Weg, alle und jede Wahrheit, ja die Wahrheit der Wahrheit zu bezweifeln und in Abrede zu stellen. Wenn irgend Etwas ein schlagendes Zeugnis für unseren Abfall von Gott ist, so ist es diese Tatsache, dass in unserm jetzigen Stand die ewige Wahrheit unserer Natur so fremd ist, dass wir für sie erst Beweise über Beweise fordern, ehe wir glauben, da, wären wir selbst aus der Wahrheit, die Wahrheit uns das nächste und Natürlichste, die Lüge aber etwas Fremdes, Unnatürliches, überstreng zu Beweisende sein würde, und wir aus innerem Instinkt, aus innerer Verwandtschaft unseres Herzens mit der Wahrheit, den großen Hauptbeweis von vornherein verstehen würden; Es muss wahr sein, denn es ist wahr.
Ein dritter Grund, weshalb in vielen der Zweifel erwacht, sind die von Kindheit an oft durch Ammen und Dienstboten, oft durch Umgang mit anderen Kindern, durch gelehriges Achten auf die irreligiösen Gespräche der Alten, durch Zeitungen und Bücher eingesogenen Vorurteile und falschen Voraussetzungen gegen Kirche, Bibel, Altar, geistlichen Stand und Amt, die alle Unbefangenheit des Urteils rauben und überall nur durch eine gefärbte Brille sehen lassen, so dass sie die Wahrheit nicht mehr erkennen können, wie sie ist, sondern wie sie ihnen durch jene Brille erscheint, unfähig werden, Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden. Ihr erkennt, um nur ein Beispiel anzuführen, die hindernde Macht solcher Vorurteile und vorgefassten Meinungen an Natanael. Er ist einmal eingenommen gegen solchen jammervollen Ort wie Nazareth; darum kann nach seiner Meinung der Messias aus Nazareth nicht kommen, und wenn Jesus daher gekommen ist, so kann Er der Messias nicht sein. Als nun sein Freund Philippus ihm die frohe Botschaft bringt: „Wir haben Den gefunden, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesum, Josephs Sohn von Nazareth“, weist er sie sofort mit der bestimmten Erklärung ab: „Was kann aus Nazareth Gutes kommen?“ Wenn man sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat oder hat in den Kopf setzen lassen, wenn man überall gleich Pietismus, Jesuitismus, Pfaffenbetrug, Priesterherrschaft, Intoleranz, und wie die schreckhaften Modenamen und Gespenster alle heißen, wittert, wenn man, von früh an an ein sogenanntes spießbürgerliches, maustotes Christentum gewöhnt, mit Misstrauen erfüllt ist gegen Alles, was nur ein wenig rumort und vom Alltagsschlendrian abweicht: dann ist es kein Wunder, wenn man selbst der einfachsten christlichen Wahrheit, der leisesten Lebensspur des Geistes Gottes gegenüber, gleich die Achseln zuckt, abspricht, und mit dem Verwerfen fertig ist, ohne irgend einmal die Sache näher untersuchen zu mögen.
Wir würden vielleicht auf der abschüssigen Bahn zur vollen Zweifelsucht innehalten, wenn wir die verhängnisvollen Folgen der Grübelei und der Wissensüberschätzung bedächten. Bei Eva gings mit Riesenschritten weiter vom Zweifel zum Unglauben und vom Unglauben zum entschiedensten Abfall von Gott. Und fragt ihr nach dem ersten Geburtskeim aller Sekten und Parteiungen, aller Schwärmerei, alles religiösen Wahnsinns, aller Ausgeburten des Aberglaubens, alles toten Maulglaubens ohne Werke der Liebe, aller Heuchelei und fleischlichen Sicherheit, - es ist immer der Stolz, der in göttlichen Dingen mehr wissen will, als Gottes Geist der Gemeinde aus seinem Wort geoffenbart hat, der sich tiefere Erkenntnisse, als die der Kirche, einbildet, seine eigenen Einbildungen für göttliche Offenbarungen hält, und wähnt, es sei genug mit dem Wissen ohne Nachsorge. Fragt ihr andererseits nach dem ersten Grunde aller jener Behauptungen des Leichtsinns und der Unsittlichkeit, wie z. B. die: ein gedankenloser Fluch, ein erzwungener Eid habe nicht viel auf sich, die Heiligung des Sabbats sei den Juden, aber nicht den Christen vorgeschrieben, man müsse sich selbst helfen und gegen die Obrigkeit empören, wenn sie nicht die Wünsche der Untertanen erfülle, ein kleiner Betrug sei kein Unrecht, Eigentum sei Diebstahl, eine Notlüge sei erlaubt, und der Geneigtheit, dann tausend Lügen für Notlügen anzusehen, so liegt er wieder in der Klügelei und der eigenmächtigen Selbstüberhebung über Gottes Wort. Wo dagegen der Mensch, die Grenze seines Wissens erkennend, sich, ohne zu grübeln und zu zweifeln, kindlich dem Worte Gottes unterordnet, - welche Demut! und den Demütigen gibt Gott Gnade; welche Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe! und den Aufrichtigen lässts der Herr gelingen; welche Selbstverleugnung, die ihre Vernunft gefangen nimmt unter den Gehorsam des Glaubens und glaubt, ohne zu sehen; welcher Gehorsam! das Wissen bläht auf, aber die Liebe bessert und die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens; welche Eintracht! Alle haben eine und dieselbe Quelle ihrer Erkenntnis: die heilige Schrift, und einen und denselben Inhalt ihres Glaubens: Gottes Gnade und Christi stellvertretendes und genugtuendes Verdienst; welche Seligkeit endlich durch das Wandeln in der Gegenwart Gottes, und welche Wonne der gewissen Hoffnung des ewigen Lebens!
Wie? Sind das nicht Gründe und Ursachen genug, warum soviel Zweifel und Unglaube ist? Wo der Verstand so einseitig ausgebildet wird auf Kosten des Herzens, wo man die Grenzen des menschlichen Wissens gänzlich verkennt, wo tausenderlei Vorurteile, von Kindheit an beigebracht, befangen machen und gegen die Wahrheit einnehmen, wo man die unvermeidlichen Folgen dieser Verirrung gar nicht berechnet, da wuchert das Unkraut der Zweifel auf dem Herzensacker üppig empor, und es gibt zuletzt keine einzige Wahrheit der heiligen Schrift mehr, die nicht in Frage gestellt würde; nicht bloß die besonderen geoffenbarten christlichen Wahrheiten von der Dreieinigkeit, von der Menschwerdung des Sohnes Gottes, von der Erlösung durch Sein Leiden und Sterben, von Himmel und Hölle, fallen unter dem Schermesser des richtenden und sichtenden Wissensdünkels, sondern selbst die allgemein religiösen Wahrheiten vom Dasein eines Gottes, von Seinen Eigenschaften und Werken und von des Menschen ewiger Bestimmung. Zuletzt endet die Untersuchung und Scheidung mit dem einzigen Glaubensartikel, der übrig bleibt, mit dem Glauben an sich selbst, an seine eigene Existenz und Herrlichkeit.
II.
Wie äußerte sich nun der erwachende Zweifel bei Eva auf die verfängliche Schlangenfrage? Er äußert sich sowohl in dem, was sie unterlässt, als in dem, was sie tut.
Was lag näher, Andächtige, als bei der zweideutigen, von Gottes Wort abführenden Frage stutzig zu werden, Unrat zu merken, und sogleich die Flucht zu ergreifen? Kein sichereres Mittel gibt es, der Versuchung aus dem Weg zu gehen, als sofortige Abwendung vom Versucher. Will dich ein Teufel in Menschengestalt zur Lüge, zum Betrug, zur Unzucht, zur Verleumdung Anderer verführen: wende ihm auf der Stelle verächtlich den Rücken. Wer sich mit ihm nur eine Minute einlässt, wird bald Stunden und Tage ihm opfern müssen. Wer ihm einen Finger gibt, dem nimmt er alsbald die Hand, und dann die unsterbliche Seele. Allen Schwachen, Anfängern, Ungeübten, ist nichts dringender in Gefahren solcher Art anzuraten, als: Eile hinweg, und errette beine Seele! So machte es Joseph in der Stunde der Gefahr; er sprach: „Wie sollte ich ein solch großes Übel tun und wider Gott sündigen?“ und suchte dann seine Sicherheit durch die Flucht. Nur nicht still stehen! Nur nicht Rede und Antwort geben! Nur sich nicht auf Unterhaltung und Unterhandlung mit der Hölle einlassen! Nur nicht die hingeworfenen bösen Gedanken aufnehmen und ihnen nachhängen! Es gab ja so Viele, zu denen Eva Schutz suchend hätte fliehen können: da war Adam, ihr Mann, da waren die heiligen Engel, da war Gott, der Herr, selbst, der mit den ersten Menschen ebenso eng und innig umging, wie ein Vater mit seinen Kindern. O, wenn der Mensch nicht allein steht in der Stunde der Versuchung, sondern einen Bruder neben sich hat, dann gehts ihm wie dem Baum im dichten Wald, der Sturm prallt an der gemeinsamen Stärke ab, Einer steht für Alle und Alle für Einen, Einer schützt und stützt den Andern.
Indes Eva ergreift die Flucht nicht, sie bleibt stehen; sie ruft auch keine Hülfe herbei, sie ist allein klug und stark genug, sie lässt sich mit der Schlange in eine Unterredung ein, sie antwortet. Immerhin! Wenn sie nur streng und genau an Gottes Wort sich hält und keinen Finger breit abweicht, sie hat an diesem Wort einen mächtigen Schild, dies Wort stellt uns immer sicher vor Verwirrung und Betrug, und sagt uns jederzeit, was wahr und falsch, recht und unrecht ist, es ist eine Leuchte für unsere Füße und ein Licht auf allen unseren Wegen, es ist ein scharfes Geistesschwert, womit wir den Satan schlagen. Auch Jesus kannte keine siegreichere Waffe als die; Es steht geschrieben: Hebe dich weg von mir, Satan! „Die zehn Gebote schon“, sagte Jemand, „wenn sie in unser Herz geschrieben sind und wir sie gegen ihn aussprechen, können ihn vertreiben“.
Bleibt aber Eva bei dem Wort Gottes stehen? Sie antwortet: „Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten, aber von dem Baum mitten in Garten hat Gott gesagt: Esst nicht davon“. So weit ist ihre Rede wortgetreu bei der Wahrheit geblieben. Gott hatte nämlich im Paradies den Baum der Erkenntnis Gutes und Böses gestellt und den Menschen verboten, davon zu essen; nicht etwa, weil die Frucht des Baumes an sich schädlich und giftig war, denn Alles, was aus Gottes Schöpferhand hervorgegangen war, war gut und auch von diesem Baum heißt es ausdrücklich: „Er war lustig anzusehen und gut zu essen“, das heißt, ein Baum von schönem Ansehen und essbaren Früchten; sondern um die Menschen, die Gott, zu Herren der sichtbaren Welt eingesetzt hatte, in der Abhängigkeit von sich und im Gehorsam gegen Seine Gebote zu erhalten, damit dann auch alle Kreaturen im Gehorsam gegen die Menschen verharrten und so die Ordnung in der Schöpfung nicht unterbrochen würde. Das Verbot, von dem Baum zu essen, sollte Adam und Eva zur Stärkung und Übung in eben jenem Gehorsam dienen. Nicht der Baum also war das Schädliche, wohl aber die Nichtbeobachtung des göttlichen Verbots, der Ungehorsam, der Missbrauch der ihnen verliehenen Wahlfreiheit zum Dienst des Bösen, die Aufgebung des Verhältnisses freier Liebe zu Gott. -
War bis dahin Eva treu beim Wort Gottes geblieben, so kommt dagegen nun das Bedenkliche; sie gestattet sich nämlich einen erweiternden Zusatz zu dem göttlichen Gebote: „Esst nicht davon, rührt es auch nicht an!“. Das hatte der Herr gar nicht gesagt, anrühren konnten und durften sie ihn, soviel sie wollten, so gut wie sie ihn auch ansehen durften; das Eine wie das Andere war keine Sünde; nur essen sollten sie nicht die verbotene Frucht. Dieser eigenmächtige Zusatz zu Gottes Wort ist vom Übel; denn war sagt die heilige Schrift? Sie sagt: „Ich bezeuge Allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch: So Jemand dazu setzt, so wird Gott auf ihn zusetzen die Plagen, die in diesem Buch geschrieben sind.“ In dieser Erweiterung offenbart sich schon eine gewisse Unruhe und Unsicherheit, eine Verwirrung des Geistes, ein Gefühl harter und drückender Strenge Gottes gegen sie. Sie fängt an zu übertreiben und recht starke Ausdrücke zu gebrauchen, wie oft diejenigen tun, die innerlich schon aus der Fassung herausgekommen sind und damit die geheimen Schrecken ihrer Seele niederzukämpfen denken. -
Ist dieser Zusatz bedenklich, noch bedenklicher ist die Verringerung, Abschwächung und teilweise Weglassung der angedrohten Strafe; Eva spricht nicht felsenfest gewiss, wie es Gott gesagt hatte: „Dass ihr nicht des Todes sterbt“, sondern nach dem hebräischen Urtext: „dass ihr nicht etwa, nicht vielleicht sterbt.“ In diesem „Vielleicht“ liegt noch stärker ihr inneres Wanken und Schwanken ausgesprochen; der Gedanke liegt darin: „Am Ende ist es doch nicht ganz so arg, wie es Gott angedroht hat, am Ende hat Er die Gefahr übertrieben und wir bleiben leben, wenn wir auch vom Baume essen“. Genug, mit dieser Abschwächung der Strafe ist offener Zweifel in Evas Seele eingekehrt, und es ist dem Teufel gelungen, das Weib wankend zu machen; der Fall der ersten Menschen ist vorbereitet; wir ahnen im Geist schon, dass die Schlange nicht wird auf halbem Weg stehen bleiben, dass sie wird weiter und immer weiter gehen, Schritt vor Schritt dem völligen Abfall und Verderben entgegen.
Nichts Köstlicheres gibt es für uns arme Menschen, als Festigkeit im Guten; wir sind aber nur so lange fest darin, als das Band zwischen uns und Gott hält, als keine Scheidewand zwischen den sündigen Herzen und dem Vater im Himmel besteht. Nichts Traurigeres dagegen gibt es, alle Zweifel. Was Jakobus 1,6. vom Zweifel im Gebet sagt, gilt von allen Zweifeln überhaupt: „Wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und geweht wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas vom Herrn empfangen werde. Ein Zweifler ist unbeständig in allen seinen Wegen“. Der Zweifel ist ein Wurm, der den Keim des Glaubens in unserem Herzen anfrisst und ihm allen Saft entzieht, dass er endlich verdorrt; ist ein Gift, das unerwartet in alle Adern des geistigen Lebens eindringt und wie ein schleichendes Fieber alle Kraft verzehrt und endlich den Menschen dem geistigen Tod preisgibt. Wie können solche Zweifel den Menschen plagen und ihm die Hölle heiß machen! Wie können sie den Schlaf in der Nacht uns stehlen und am Tage um allen Frieden und alle Besonnenheit bringen! Wie führen sie immer tiefer ins Verderben, unaufhaltsam, unmerkbar und zerschmetternd hinein! Und wie viele Schlachtopfer sind ihnen schon gefallen! Ein Bedienter, der vor längerer Zeit seinen Herrn bestohlen, hat vor Gericht ausgesagt: „Als ich zu meinem Herrn kam, glaubte ich noch, dass ein Gott im Himmel lebe, und zitterte vor Seinen Strafen. Aber mein Herr hats mir weggelacht und weggespottet. Da schloss ich dann bei mir selbst: Nun, wenn es denn keinen Richter im Himmel mehr gibt und keinen allwissenden Gott, vor wem sollte ich mich fürchten? und begann unterzuschlagen und zu stehlen“.
Flieht daher vor allen Zweifeln und vor allen Zweiflern wie vor der Pest! Erzittert vor dem ersten wankenden, Gottes Wort unterwühlenden Gedanken in eurer Brust! Hat ein Zweifel sich erst eures Herzens bemächtigt, so öffnet er bald dem zweiten und dritten Tür und Tor. Hat ein böser Geist erst festen Fuß in euch gefasst, so zieht dieser eine Geist bald sieben andere nach sich, die ärger sind wie er. Wenn das tobende Meer erst an einer Stelle den schwachen Damm durchbricht, häufen sich alsobald Wogen auf Wogen, und unaufhaltsam ergießen sich dann immer neue Fluten durch den Deichbruch mit zerstörender Kraft. Einen Funken kann man leicht löschen; tun wir es aber nicht, so ist er hinreichend, die ganze Welt in Flammen zu setzen. -
Drei Mittel gibt es, durch welche wir uns schützen vor der verführenden Macht der Zweifel und den Glauben in unserer Seele befestigen. Das Eine ist das Forschen in der Bibel: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige leben darinnen, und sie ists, die von mir zeugt“; das Andere ist das Gebet: „Bittet, so werdet ihr nehmen, sucht, so werdet ihr finden, klopft an, so wird euch aufgetan“; das Dritte ist die Gemeinschaft der Heiligen, der Besuch des Gottesdienste: „Verstehst du auch, was du liest?“ „Wie kann ichs, so mich nicht jemand anleitet?“ Bibellesen ohne Gebet ist wie wenn ein Bergmann in den Schacht hinabsteigen will und hat kein Licht; Gebet ohne Gottes Wort ist wie wenn ein Vogel fliegen will und hat keine Flügel; Gebet und Bibellesen ohne Gemeinschaft der Gläubigen ist wie wenn ein Wandersmann sich im dichten Wald verirrt hat und keinen Menschen findet, der ihn zurechtweist. Den Segen dieser drei Schutz- und Bewahrungsmittel erfuhr im reichen Maß Justinus der Märtyrer am Anfang des zweiten Jahrhunderts. Mit heiligem Verlangen suchte er die Weisheit, die nicht nur den Verstand erhellte, sondern auch dem Herzen Frieden gäbe; lange begab er sich als Schüler von einem heidnischen Weltweisen zum andern, aber bei keinem fand er die Ruhe der Seele, nach der er sich sehnte. Da begegnete ihm einst am Strande des Meeres ein alter ehrwürdiger Mann - es war ein Christ, mit dem er bald in ein Gespräch kam. Die Gestalt und die Rede des Greises flößte dem Jüngling soviel Zutrauen ein, dass er ihm bald sein ganzes Herz und alle seine vergeblichen Bemühungen entdeckte. Der Alte zeigte ihm, dass die Quelle der Weisheit nicht in dem Menschen liege und er sie daher durch bloßes Nachdenken und Betrachten nicht finden könne; er wies ihn aber auf die Schriften der Propheten hin, erzählte ihm von Jesu Christo, und ermahnte ihn zum ernsten Gebet: dann würden ihm geöffnet werden die Tore der Wahrheit. „Ich habe ihn nicht wiedergesehen“, schreibt Justinus später, „aber es war ein Feuer in meiner Seele angezündet worden und ich fühlte mich hingezogen zu den Propheten und zu den Freunden Christi“. Justinus lernte nun das Christentum und die Christen kennen, und fand in ihrem Umgang unter Gebet und Bibelforschen die christliche Wahrheit, verteidigte sie gegen die ungerechten Anklagen der Heiden, schrieb mehrere Schutzschriften für die verfolgten Christen, und starb zuletzt freudig und mutig den Märtyrertod. Lasst uns in seine Fußtapfen treten! Du aber, o Herr, weise uns Deinen Weg, dass wir wandeln in Deiner Wahrheit.
Dein Wort ist unseres Herzens Trutz
Und Deiner Kirche wahrer Schutz ;
Dabei erhalt uns, lieber Herr,
Dass wir nichts anders suchen mehr. Amen.