2. Korinther 12,7
Andachten
Auf dass ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf dass ich mich nicht überhebe. Dafür ich dreimal den Herrn gefleht habe, dass er von mir wiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.
Gott hat keinen Ruhm lieber als den unserer Schwachheit. Zwar kann man auch sündlicher Weise seiner Schwachheit sich rühmen, nämlich wenn man zu dem Zweck die eigene Schwäche hervorkehrt, dass man sich seiner Sünden entschuldige, um darin zu verharren. Solcher Ruhm taugt nicht und er wird seinen Richter finden. Aber die aufrichtige Demut, bei der kein Falsch wohnt, ist der köstliche Schmuck der Seele, an dem Gott so sehr seine Lust hat, dass er ihn mit den edelsten Gaben vermehrt und verherrlicht. Die Welt kennt diesen Schmuck nicht. Sie rühmt sich wohl ihrer Stärke, aber nimmer ihrer Schwachheit; denn sie ist beides: hoffärtig und blind. Ein Mensch aber, dem Gottes Geist das Herz gebeugt, und dem derselbige Geist lebendig zu erkennen gegeben hat, dass er nichts ist, denn Staub und Asche, dass seiner Sünden mehr sind als Haare auf seinem Haupte, und dass das Dichten und Trachten seines Herzens war böse von Jugend auf und ist böse immerdar, dem vergeht es ebenso sehr, als Paulo, sich seiner Stärke zu rühmen, und wenn er sich ja rühmen soll, kann er in höchster Demut sich nur seiner Schwachheit rühmen. Gott aber gebe uns seinen Geist, dass wir zu solcher Erkenntnis kommen, damit wir wirklich mit Paulo am allerliebsten uns unserer Schwachheit rühmen.
Doch soll es bei diesem Ruhm nicht gänzlich bleiben. Paulus fleht zu dem Herrn, in höchster Schwachheit, dass des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlägt, von ihm weiche. Da antwortet der Herr ihm: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig.“ Der sich seiner Schwachheit rühmt, wird mit der Gnade getröstet, welche als eine Kraft Gottes sich in dem Schwachen erweist. Hätten wir neben unserer Schwachheit uns nicht der Gnade zu rühmen, so müssten wir vergehen. Wenn Gott aber auch dem Hoffärtigen widersteht, so gibt er dem Demütigen Gnade; und je mehr der Sünde, desto mehr der Gnade, je größer die Schwachheit in uns, desto größer die Kraft von Gott. Gottes Kraft ist so groß, dass sie keine andere Kraft neben sich leiden kann, und die Fülle seiner Gnade so unermesslich, dass sie nur in leeren Gefäßen Platz hat. Darum aber sollen wir uns auch an seiner Gnade genügen lassen und sollen nicht Geld noch Gut, nicht Hoheit und Ehre, nicht gute Tage und hohe Offenbarungen begehren, sondern völlig und ganz zufrieden sein, wenn wir einen gnädigen Gott im Himmel haben, und uns der Gnade rühmen können, die allezeit in den Schwachen sich mächtig erweisen wird. So lasst uns denn beides zusammenfassen, die Schwachheit und die Gnade in Buße und Glauben, und mit dem Apostel sprechen: Darum will ich mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. Der Ruhm wird bei uns bleiben. (Franz Emil Bogislaus Westermeier.)
Auf dass ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf dass ich mich nicht überhebe.
Was der Apostel in vorstehenden Worten von sich berichtet, wiederholt sich in kleinem Maßstabe an allen, welche aus Gnaden gerecht geworden, nun Jünger und Diener Christi sein wollen; es wiederholt sich an ihnen in allen Leiden dieser Welt, es wiederholt sich in Erfahrungen, die vorzugsweise an jenen Pfahl im Fleisch des Apostels erinnern. Diese Erfahrungen hängen bei allen Jüngern Christi, wie bei Paulus, mit den vorhergehenden hohen Offenbarungen zusammen; außerordentlicher Gesichte und Entzückungen können sich zwar die meisten Christen nicht rühmen, aber hohe Offenbarungen kann man ihnen deshalb nicht absprechen. Wenn Gott in Wort und Sakrament seine heilsame sündenvergebende Gnade erscheinen und sie uns schmecken und fühlen lässt, wenn er Erquickungsstunden schenkt, wo sein Friede das Herz erfüllt, wenn er sein Licht und seine Wahrheit sendet, dass wir hineinschauen durchs Wort in die Tiefen seiner Weisheit, in die Herrlichkeit seiner Ratschlüsse, wenn er Kraft gibt, die Sünde zu lassen und freudig in seinem Dienst zu wirken, so kann man doch wohl von hohen Offenbarungen reden. Aber wenn diese Gnadenerweisungen des Herrn wirklich zum Siege über Welt, Sünde und Teufel führen sollen, dann bedarf es des Kreuzes, welches, wenn willig aufgenommen und Christo nachgetragen, das Zeichen des Sieges wird. Nun ist ja gewiss alle Trübsal für die Christen ein heilsames Kreuz, an welchem der alte Mensch den Tod finden soll; welche der Herr lieb hat, die züchtigt er; er stäupet aber einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt (Hebr. 12, 6). Aber die eine Grund- und Ursünde, der Hochmut, ist so tief in das natürliche Wesen des Menschen eingewurzelt, dass sie sogar an den hohen Offenbarungen Gottes sich emporrankt und zum geistlichen Hochmut sich entwickelt und daher zu ihrer Ausrottung ganz besondere Maßregeln erforderlich sind. Bei jenen herrlichen Gnadenerweisungen Gottes trat an Paulus, tritt an die Christen die Versuchung heran, sich selbst ein Verdienst dabei zuzuschreiben, in dem Gefühle eigener Kraft zu schwelgen, der eigenen Weisheit sich zu rühmen, kurz sich zu überheben und dadurch alles Gnadensegens verlustig zu gehen. Paulus berichtet, dass ihm gegeben ist ein Pfahl ins Fleisch, um ihn in dieser Versuchung und Gefahr zu bewahren. Wir können den Worten des Apostels nur so viel entnehmen, dass es sich für ihn um ein Leiden handelte, das als gleichsam mit seinem Fleisch verwachsen ihn dauernd peinigte, und durch welches eine dämonische, versuchliche Macht ihn immerwährend die Schwachheit seines Fleisches, seines natürlichen Wesens empfinden ließ. Solche Leiden gibt es auch heute für die Christen, und je mehr hohe Offenbarungen ihnen zu Teil werden, desto weniger kann der Pfahl im Fleisch fehlen, auf dass sie sich nicht überheben, sondern die Gnade siegreich walten kann. Ein schwieriges, peinliches Verhältnis zu bestimmten Menschen oder eine quälende Sorge und Not, die immer wieder die Freudigkeit des Glaubens zu stören, die sanftmütige Liebe zu verdrängen drohen, eine Krankheit, ein dauerndes Nervenleiden etwa, die beim Hören und Lesen des Wortes Gottes einen beständig hemmenden Einfluss ausübt und den Aufschwung der Seele zum Lichte lähmt, eine Versuchlichkeit in irgend welcher Beziehung, die trotz Beten und Ringen nicht weichen will, das alles sind Erfahrungen, in denen sich ein Satans-Engel, eine anfechtende Macht oder ein Pfahl im Fleisch darstellt, der als im Fleisch steckend dieses uns in seiner sündigen Schwachheit fühlen lässt. Gilt's nun schon von allem Kreuz des Christen, dass es ihm anzeigt, wie sein Heiland und Hirt ihm helfen will, die Krone des Lebens zu erlangen, so kann man solchen Pfahl im Fleisch erst recht ein Siegeszeichen für den Christen nennen. Dieser Pfahl muss ihm unter der Leitung des Herrn helfen, stets im Gedächtnis zu behalten: ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleisch wohnet nichts Gutes, und in den hohen Offenbarungen immer mehr die überschwängliche Barmherzigkeit Gottes zu erkennen. Durch den Pfahl im Fleisch wird der Christ immer wieder in die Buße getrieben, zu immer herzlicherem Verlangen nach neuer, reichlicherer Gnade erweckt, wird er fähig gemacht, den Trost zu verstehen und zu erfassen, den Paulus empfangen hat, da der Herr zu ihm sprach: lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig. Und wenn der Jünger Christi diesen Trost erfasst, so kann er ja nicht mehr den Pfahl im Fleisch und die von ihm bewirkte Schwachheit für ein Zeichen des Unterliegens ansehen, sondern muss sein Kreuz als ein Siegeszeichen preisen, indem er mit Paulus bekennt: darum will ich mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. (Thomas Girgensohn)