Lukas 2,49
Andachten
Und er sprach zu ihnen: „Was ist es, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“
Wunderbares Wort, das Kind spricht sich selbst aus über seine himmlische Herkunft. Verhüllt war in ihm die Gottheit in das arme Gewand unseres Fleisches. Hier leuchtet sie hindurch wie ein Stern durch die Wolke. Die dabei waren, verstanden zwar das Wort nicht. Aber der Maria war es eine Anknüpfung an die Wunder der Verkündigung und Geburt. Sie behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Nun, mein Christ, der du deinen Herrn sucht, der du nach Frieden verlangst, geh, suche ihn in dem, was seines Vaters ist. Hast ihn in manchem Kreis gesucht: suche ihn in der Gemeinde der Gläubigen. Die ist seines Vaters. Hast ihn in manchem Haus gesucht; suche ihn im heiligen Tempel Gottes, wo die Predigt der Apostel und Propheten Worte auslegt. Dieser Tempel ist seines Vaters. Hast ihn in manchem Buch gesucht; suche ihn in Gottes Wort. Das ist seines Vaters. An einer Stätte wirst du ihn finden. Ja in allen dreien wirst du ihn endlich erkennen als den eingeborenen Sohn vom Vater. Freude wird dann in dir sein, wie du sie noch nie gehabt hast.
Herr Jesu Christe! Ob wir hier auf Erden keine Heimat mehr hätten, ob kein Vaterhaus uns mehr seine Pforten öffnete: du hast uns eine Heimat gegeben, ein Vaterhaus, aus welchem Niemand uns ausstoßen kann. Gib uns nur das rechte Kindsherz, dass wir darin uns immer recht heimisch fühlen. Ob wir einsam daständen im Leben und Eins unsrer Lieben nach dem Anderen dahinginge: du hast uns eine Familie gegeben, die uns bleibt, bist selbst unser lieber Bruder worden und hast die ganze treue Christenheit uns zu Brüdern und Schwestern gemacht, auf deren Fürsorge und Fürbitte uns ein heiliges Recht zusteht. Und ob Keiner mehr hier zu uns väterliche Worte der Liebe und Ermahnung spräche: du redest zu uns die Worte deines und unseres Vaters, Worte voll heiliger Wahrheit, Weisheit und Barmherzigkeit. O lass keinen Tag dahingehen, ohne dass wir an jener Gemeinschaft uns freuen und aus diesen Worten unsere Weisheit nehmen. Ja, lass uns immer treuer bleiben in dem, das auch unseres Vaters ist. Amen. (Fr. Ahlfeld)
Ihr Kinder, ihr jungen Herzen, vergesst nicht, dass ihr sein sollt in dem, was eures himmlischen Vaters ist. Vergesst nicht Gotteswort, Gottesgebot; vergesst nicht das Gebet. Was ihr auch sonst wäret und hättet, ihr wäret dann arme Kinder, und eurer Jugend fehlte das Beste. Aber auch ihr Eltern, seid von früh auf mit euren Kindern in dem, was Gottes ist, dann mögt ihr sie mit getrostem Mut in die Welt ziehen lassen, mögt mit getrostem Sinn eure Augen schließen: ihr wisst, sie haben eine Schutzwehr, die nimmer bricht. Was auch das Leben ihnen bringe, ihr Haus ist auf den Felsen gebaut. Und dann ruht auch ihre Liebe zu euch auf festem Grunde. Fürchtet nicht, sie würden euch dadurch entfremdet, dass ihr sie zuerst sein lasst in dem, was ihres Gottes ist. Seht es an Jesu! Weil er sein durfte in dem, was seines himmlischen Vaters ist, darum ging er mit seinen Eltern hinab gen Nazareth und ward ihnen untertan. Hört es, ihr Eltern, die ihr Gehorsam von euren Kindern wollt; hört es, ihr Kinder, die ihr Gottes Segen erfahren wollt: Er ward ihnen untertan. Aber damit auch ihr untertan seid, müsst ihr zuerst sein in dem, was eures himmlischen Vaters ist. O Herr, unser Heiland, du hast uns eine Heimat gegeben, ein Vaterhaus, aus dem uns Niemand ausstoßen kann. Gib uns Allen, den Großen und Kleinen, das rechte Kindesherz, dass wir immer treuer bleiben in dem, was unsers Vaters. ist. Segne uns dazu auch diesen heiligen, stillen Tag, dass wir unser Vaterhaus suchen, das himmlische Jerusalem. Amen. (Adolf Clemen)
Graues Haar bedeckt vielleicht euer Haupt; weit liegt die Konfirmationszeit hinter euch, ihr seid unterdes Jünglinge, Männer, Greise geworden und noch ist die Frage nach dem ewigen Beruf nie ernstlich getan, nie klar beantwortet. Ich sage euch aber in Gottes Namen, ehe diese Gnadenzeit zu Ende ist, einmal muss diese Frage getan und beantwortet werden, sonst gibt's kein Seligwerden. Je älter ihr seid, desto schwieriger wird's, und doch desto notwendiger. Es muss dazu kommen, dass ihr endlich einmal aufwacht aus dem Taumel des irdischen Lebens, dass es endlich einmal bei euch heißt: „Muss ich nicht sein in dem, was meines Vaters ist?“ Muss ich nicht selig werden? Solch heiliges „Muss“ muss noch einmal Herr werden in euch über jedes andere „Muss“ im Leben, im Verkehr, im Geschäft, in Urteil und Anschauung. Selig ist's schon, den Heiland suchen, um jeden Preis, es koste, was es wolle, und alles andere dagegen zurücksetzen. Viel seliger ist's aber noch, den HErrn finden und nun wissen: „ich muss nicht nur ein Kind Gottes werden, sondern ich bins aus Gnaden und muss darum einst ins Himmelreich kommen, weil mir's der Heiland erworben hat.“ Das gibt selige Jerusalemsstunden. Amen. (Theobald Wunderling.)
Und Er sprach zu ihnen: Was ist es, dass ihr mich gesucht habt?
Dem Verwundern der Maria setzt Jesus sein Verwundern entgegen. Sein Herz ist frei und unschuldig, sein Gewissen klarer wie der klarste Spiegel. Er kann sich gar nicht denken, wie seine Eltern sich um ihn sorgen und ihn anderswo als hier vermuten konnten. Der Gedanke, etwas Besonderes zu tun, ist ihm in seiner heiligen Einfalt gar nicht einmal gekommen. Wie der Magnet, eben weil er Magnet ist, nordwärts weist, wie die Sonnenblume ihr Angesicht immer wieder den Strahlen der Sonne zukehret, man mag sie wenden wie man will, so hat sich die Seele Jesu nach ihrer inneren Natur in die himmlischen, göttlichen Dinge eingesenkt, die alle von seinem Vater Zeugnis gaben. Hier im Tempel, wo Gott im Allerheiligsten über Cherubim thronte, hier, wo jeder Laut, jede Zeremonie, jedes Symbol, jeder Weihrauchduft himmelwärts wies, - hier, in den Vorhöfen und an den Altären des Herrn Zebaoth, hatte der Vogel sein Haus gefunden. (Ps. 84.) Und dieses Heimatsgefühl durchdringt ihn so, dass er meint, alle Menschen müssten das auch wissen. Er kann gar nicht begreifen, wie man das nicht wissen kann.
So sehen wir denn gleich hier, wo Jesus zum ersten Mal selbstständig handelnd auftritt, dass er nicht verstanden wird, nicht einmal von der hochbegnadigten Mutter, die ihn unter dem Herzen getragen hat, verstanden wird. Desgleichen, da Er in Kana sein erstes Wunder tut, wird er nicht von ihr verstanden, (Joh. 2,4), und so oft im späteren Leben wird er von ihr und allen seinen Getreuesten und Geweihtesten doch nicht verstanden in seinem Tun und Lassen, Lieben und Leiden, Reden und Schweigen, Freuen und Weinen. Ganz und gar missverstanden wird sogar seine Hingabe in den Tod, nicht verstanden wird sein Auferstehen, nicht verstanden seine Auffahrt zum Vater. Trostlose Trauer und inneres Ärgernis, Zweifel, Unglauben und starres Staunen sind die Antwort, die Ihm von den Besten zu Teil wird, da Er unser Heil erwirbt.
Wenn aber selbst die so wunderbar geheiligte Maria ihren zwölfjährigen. Knaben nicht verstand, wie können wir so viel fleischlicheren, unheiligeren Menschen verlangen, dass wir den verklärten, himmelerhöhten Menschensohn verstehen wollen? Dürfen wir uns wundern, wenn uns sein Geben und Nehmen, sein Leiten und Regieren oft wie eitel Wirrwarr und Finsternis erscheinen? Sollen wir an Ihm irre werden, wenn oft unsere heißesten Gebete, unsere, wie mir meinen, edelsten und reinsten Hoffnungen, Gelübde, Entschlüsse und Pläne bei Ihm keinen Eingang und keine Antwort zu finden scheinen? Sollen wir uns wundern, wenn er uns wunderbar erscheint, da doch schon vor 3000 Jahren der Seher Jesaja das Wort „wunderbar“ als den ersten Namen des Messias nennt? - O, lasst uns doch an der Maria lernen, nicht verstehen und dann doch so viel inniger lieben, so viel inniger glauben und hoffen, dulden und harren, bis der Tag kommt, da Er Alles offenbar macht und alle Dunkelheit in eitel Sonnenschein wandelt.
Lass ruhn zu deinen Füßen
Dein armes Kind,
Ich will die Augen schließen
Und folgen blind. (Otto Funcke)
Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in Dem, das meines Vaters ist?
Mit diesen einfach - hohen Worten schreibt der Knabe, ohne es zu ahnen, die Überschrift über sein ganzes, gottmenschliches Heilandsleben. Er spricht damit recht eigentlich das Leben seines Lebens, die Seele und die innere Signatur seines Lebens aus, das, was ihn von allen seinen Mitmenschen unterschied und wodurch Er fähig wurde, aller seiner Mitmenschen Heiland zu sein. Während Er seine Seele eintauchte in die heiligen Dinge des Tempels, durchleuchtete es ihn ahnungsvoll, dass der Gott, dem man hier diente, zu Ihm in einem einzigartigen Verhältnis stehe, dass Gott in ganz einziger Weise sein Gott und sein Vater sei. Darum nennt er auch den Tempel seines Vaters Haus.“1)
Jesus war so ganz und gar teilnehmend an dem, was auf Erden vorging; er war mit seinem ganzen Herzen, mit allem seinem Sinnen und Tun, Reden und Schweigen, Lieben und Leiden so gänzlich versenkt in der Menschen Wohl und Wehe, wie nie ein Mensch auf Erden war. Nichtsdestoweniger, wo er auch war und was er auch tat auf Erden - mit seinem tiefsten innersten Ich war er doch allewege bei dem Vater, mitten in der Zeit dennoch mitten in der Ewigkeit, mitten im Gewühl der Menschen und im Gebrause der Welt dennoch in der heiligen Stille des himmlischen Vaterhauses. „Sein in dem das des Vaters ist,“ das blieb seine Losung auch da, als ihm das irdische Haus seines Vaters wie eine Mördergrube erschien; denn, was er eigentlich mit dem Worte meinte, war doch nur dies: Ich muss vor seinem Angesicht wandeln, ich kann nur leben in seiner Gegenwart, Nähe und Liebe; seinen Willen auszurichten, sein Werk zu treiben, Ihm in Allem zu dienen, das ist mein Leben. Dies, den Willen des Vaters auszurichten, nennt Jesus seine Speise, also das, wovon er innerlich lebt und genährt wird, wodurch er wächst und erstarkt. (Joh. 4,34; 9,4; 17,4.)
Ach, dass Jesu Geist immer mehr unser Geist würde, dass doch auch wir von Stufe zu Stufe mehr dazu gelangen möchten, mit unseren innersten Lebenswurzeln zu sein und zu haften (an jedem Orte, zu jeder Zeit, in allem Werk und Leid) „in dem was des Vaters ist“. Darnach müssen wir ringen, dass wir immer etwas von Ewigkeitsluft um uns spüren, gleichviel, ob wir auf dem Krankenbett elend darniederliegen oder im Konzert sitzen, gleichviel, ob wir beten oder in fröhlicher Gesellschaft sind, gleichviel, ob wir im Geschäft sind auf dem Comptoir, in der Waschküche, in der Werkstätte, oder ob du deinen Kindern biblische Bilder zeigst oder Speckters Fabeln erzählst, gleichviel, ob du einen Kondolenzbrief schreibst oder im grünenden Wald spazieren gehst. Der Vater muss immer gegenwärtig sein, Ihn muss man in Alles hineinschauen lassen können, seine Nähe muss immer erwünscht, auf die Ausrichtung seines Liebeswillens müssen wir überall bedacht sein. So hat man Frieden, so ist man ein Kind Gottes.
Unser Unglück ist die Trennung des alltäglichen äußeren Lebens von dem geistlichen Leben. Dass das Geschäft, das häusliche Leben, der Beruf, die Erholungsstunden usw. etwas für sich sind, abgelöst von dem religiösen Leben, dieses dagegen eingepfercht in eine Reihe einzelner Akte, frommer Werke, Andachten, Kirch- und Abendmahls-Gänge, Bekenntnisse und Zeugnisse, keineswegs aber der Sauerteig, der das Gesamtleben durchdringt, - das ist unser Unglück! Und doch ist das gerade das Charakteristische des Christentums, dass es ein Geisteswesen ist, welches bei dem Menschen, der sich ihm ergibt, alles durchleuchtet und in Allem dargestellt wird, als neues höheres Leben von Oben und dadurch auch Frieden- und Freuden-Leben mitten in einer Welt voll Streit und Tränen. Was man tote Orthodoxie nennt, ferner aller Fanatismus, Verketzerung, vornehmlich auch alle Spaltung der Jünger Jesu um einzelner Lehrunterschiede willen, - das Alles wäre unmöglich gewesen, wenn man sich immer klar gemacht hätte: Das Christentum ist die wirkliche Darstellung des Lebens aus Gott, es ist das, dass man überall und immer in Dem sich bewegt, was des Vaters ist.
Das würde auch der Welt imponieren und uns innerlich beglücken und uns innerlich zur wahren Entfaltung bringen.
O, wer nur immer bei Tag und Nacht
Dein zu genießen wär' recht bedacht!
Der hätt' ohn' Ende von Glück zu sagen,
und Leib und Seele müsst immer fragen:
Wer ist, wie du? (Otto Funcke)
Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in Dem, das meine Vaters ist?
Kehren wir noch einmal zu diesem ersten Wort unseres Heilands, das uns überliefert ist, zurück, so erkennen wir hier schon, was sein ganzes späteres Leben uns predigt, nämlich, dass die Dinge, die wir die übernatürlichen nennen, für ihn die natürlichsten von allen sind. Das Göttliche, das Himmlische ist für ihn die Sphäre, die Ihn auch mitten im Getümmel der diesseitigen Welt allenthalben umgibt, die Sphäre. darin er allein ganz frei und fröhlich Atem holen kann. Auch der Mann Jesus, der mitten im Sturm des Lebens drin steht, spricht von dem Vater im Himmel so vertrauensvoll, so natürlich wie ein Kind. Er ist ihm nichts Fremdes und Fernes, sondern das Nächste und Natürlichste von Allem. Das geoffenbarte Wort ist ihn der Liebeshauch aus Gottes Mund. Mit dem Vater zu reden, ist ihm das Selbstverständlichste von Allem; ein höheres Bedürfnis gibt es für ihn nicht. In allem seinem Leiden war dies, dass der Vater bei ihm war, was ihn tröstete, und alle Wunder, die er verrichtet, beruhen auch nur auf der immerwährenden Verbindung zwischen ihm und seinem Vater. wurde Jesus auch, allezeit erhört“ (Joh. 11,42.), weil sein Herz allezeit Eins war mit Gottes Herzen.
Wir dagegen ach, ach! wie müssen wir uns herausreißen und herausquälen aus uns selbst, bis wir uns einigermaßen versetzt fühlen „in Das, was des Vaters“ ist! Das Übernatürliche ist uns schier das unnatürliche geworden! - Die Sünde hat unser Angesicht in den Staub der Erde gelehrt, so dass wir von Haus aus dem göttlichen Licht- und Freuden-Leben gar entfremdet sind. ja auch, nachdem Jesus einen neuen Lebenstrieb und Lebensgrund in uns eingesenkt hat, - wie furchtbar wirkt der fleischliche Natursinn in Alles hinein! Wie schwer wird es, auch nur einige Minuten mit wahrer Sammlung zu beten, so dass unsere ganze Seele Gebet ist! Wie fliegen, gleich wildem Gevögel, alsobald aus unserer Phantasie und Gedankenwelt allerlei fremde Gedanken in das Heiligtum des betenden Herzens hinein! - Wie sauer wird es uns, auch einer guten, kurzen und praktischen Predigt vom Anfang bis zu Ende zu folgen, - wie sauer wird es uns daheim, eine einzige stille halbe Stunde dem Wort Gottes ganz zu schenken, ohne abzuschweifen! In eine interessante Reisebeschreibung oder Kriegsgeschichte dagegen können wir uns leicht Stunden lang versenken, ohne irgendwie abzuschweifen. - Wie schwer kommen wir ferner dazu, Anderen gegenüber von göttlichen und geistlichen Dingen in einer natürlichen, ungezwungenen Weise zu sprechen, zumal wenn diese Anderen noch nicht mit uns denselben Weg gehen! Ist's nicht so? Wir geraten dann entweder so leicht in einen falschen Eifergeist oder gar in ein gesetzliches Poltern, oder aber unsere Worte sind so geschraubt, so peinlich, so unnatürlich, als ob wir gestohlene Ware an den Mann bringen wollten; es ist, als schämten wir uns das auszusprechen, was uns doch der süßeste Heimatlaut sein sollte.
Wem ist das schwer, wen drückt das, wen quält das, dass er so ein elender Mensch ist, so „fleischlich unter die Sünde verkauft“? Nun, Der trete zu Jesu hin, immer wieder hin, immer kindlicher, immer näher, immer aufrichtiger, immer sehnsuchtsvoller hin und rufe dann aller Natur zum Trotz: „Ich danke Gott durch Jesum Christum!“
Sieh' doch aber uns're Ketten,
Wie wir mit der Kreatur
Seufzen, ringen, schreien, beten
Um Erlösung von Natur,
Von dem Dienst der Eitelkeiten,
Der uns noch so harte drückt,
Ungeacht der Geist in Zeiten
Sich auf etwas Besseres schickt. (Otto Funcke)
Und er sprach zu ihnen: Was ist es, dass ihr mich gesucht habt! Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?
In diesem Worte spricht Jesus nicht nur den erkannten Ernst seiner Lebensaufgabe, sondern auch das ihm aufgegangene Glück seines Lebens aus. Er hatte es ja schon genossen im Schoße gottseligen Familienlebens mit der Harmlosigkeit eines frommen Kindergemüts. Aber nun, an den hehren Stätten, zwischen den wunderbaren Bildern göttlicher Wahrheit und Weisheit, nun tat sich unter dem gelüfteten Schleier kindlicher Unbefangenheit seinem entzückten Geistesblick das Paradies auf, welches in dieser gottesfernen Erdentiefe seinem gottesbedürftigen Innersten stille, selige Feierstunden der Erquickung in Aussicht stellte. - So viel anders es nun auch mit uns getan ist, das Glück des Lebens ist doch für uns dasselbe wie für ihn: Sein in Gott“. Die Menschen wissen anderes als das Glück zu preisen, vor allem Fülle und Reichlichkeit des Daseins. Und ja, es ist wohl schön und wohltätig, des Genusses goldene Fäden in das dunkle Gewebe dieses Daseins zu flechten und mit dem frischen Springquell des Vergnügens die dürre Wüste dieser Welt zu befruchten. Aber Glück ist's nicht, Befriedigung nicht. Das Herz hat nichts davon. Denn das Herz ist für Gott geschaffen. Gottes Tempel, Gottes Hütte zu sein, das ist des Herzens einzig wahres Glück. Ein kleines, schwaches Gefäß, kann es doch nicht von aller Herrlichkeit der Welt, sondern nur von unendlicher seliger Lebensfülle Gottes wirklich ausgefüllt werden. Versuchs nur, schaff dir die feinsten Genüsse, tauche dich in die reinsten Freuden immer wird dir aus dem Innersten eine Stimme leise klagend rufen: mich dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott! Muss ich nicht sein in dem, das meines Vaters ist?
Mancher meint's denn auch besser zu verstehen und preist Ruhe und Frieden als das Glück des Lebens. Schön und recht. Aber hab alle Sorge und Mühe des Daseins hinter dir und alles leidenschaftliche Eifern tief unter dir- dennoch wirds in dir von wechselnden Stimmungen, Eindrücken, Wünschen unruhig auf- und niederwogen. Und ob wir älter und stumpfer werden, es trägt seine Unruhe bis in die Sterbestunde hinein. Ruhe kommt nur, wo die Heimat gefunden ist, und unsere Heimat ist Gott. Ruhe ist erst, wenn das Lebensschifflein in festem Grund Anker geworfen hat, und fester Grund ist nur Gott. Ruhe haben wir nur, wenn wir von uns selbst los sind, und von uns selbst frei werden wir nur, wenn wir hängen an Gott. Friede ist im Herzen nicht eher, bis es das Höchste, Alles hat, und das Höchste, Alles ist Gott. Wenn das Herz in seines Gottes Gemeinschaft liegt, wie ein Kind in seines Vaters Arm und Schoß, dann ist es zufrieden; in Gottes Liebe ists zufrieden, glücklich.
Liebe, die feiert man als das höchste Glück. Aber wahr ist das nur von der Gottesliebe. Alle Liebe von Menschen bekommt ihre sonnige Wärme, ihren fruchtbaren Regen, ihre beglückende Kraft erst als Wiederschein der Liebe Gottes. Gottes Liebe also muss das Herz in sich tragen, um der Liebe der Menschen recht froh zu werden. Hinwiederum alle Liebe zu Menschen hat ihren süßen Kern nur daran, dass sie im letzten Grunde auf Gott gerichtet, Liebe zu Gott ist. Das hebt sie über die bloße sinnliche Leidenschaft, das gibt ihr ihre edle Weihe, legt den Zauber der lauteren Einfalt, die Kraft der selbstverleugnenden Hingebung in sie hinein. Die Liebe zu Gott muss das Herz beglückend erfüllen, damit es in der Liebe zu Menschen sein Glück finden kann. Gottes Liebe, die das Herz geschaffen, die hat es zu ihrem Heiligtum geschaffen; und darum kann das Herz nur in Gottesliebe wohlig leben, wie die Pflanze im warmen Sonnenlicht. Auf alles Suchen und Fragen nach dem Glück gibt das Herz immer nur eine Antwort: muss ich nicht sein in dem, das meines Vaters ist?“(Schott.)
Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?
„Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen des, der mich gesandt hat, und vollende Sein Werk.“ Dieser Eine Zweck brachte den Herrn Jesum vom Himmel hernieder, diesen Einen Zweck verfolgte Er mit unwandelbarer Beharrlichkeit, bis Er sagen konnte „Es ist vollbracht.“
So wenig sonst der Mensch seine Bestimmung erfüllt, so war doch die „Ehre Gottes“ die Regel und der Zielpunkt Seines wunderbaren Lebens. Der Magnet unserer Herzen, auch wenn er schon fest geworden in Christo, wendet sich oft schwankend von dem großen Pol der Ehre Gottes ab. Der Seinige kannte nicht das leiseste Abweichen von diesem herrlichen Ziel. Bei Ihm gab es keine Ebbe und Flut, keinerlei Schwankung. Er konnte in den Worten des prophetischen Psalms, welcher hauptsächlich von Ihm spricht, sagen: „Ich habe den Herrn allezeit vor Augen!“
Leser! fühlst du, dass in einem, wenn auch geringen Grade, dieser hohe Wahlspruch des sündlosen Gottessohnes auf deinem Herzen und deinem Hause geschrieben steht? deine Handlungen ordnend, deine Freuden läuternd, deine. Hoffnungen belebend, deinem ganzen Sinn Kraft und Richtung verleihend, alle die Neigungen deiner menschlichen Natur ihrer hohen Bestimmung unterwerfend? Bist du bereit, Alles, was du hast, Rang, Name, Talente, Reichtümer, Einfluss, Auszeichnungen - nur in sofern als schätzbar zu betrachten, als sie zur Ehre dessen beitragen, der der Erste und der Letzte und Alles in Allem ist? Trachte danach es zu fassen, dass es die Hauptaufgabe des Lebens ist, „in dem zu sein, was deines Vaters ist.“ „Des ich bin, und dem ich diene.“ Dies sei die Losung deiner Gedanken und Handlungen, deiner Beschäftigungen und deiner Freuden, deiner schlafenden und deiner wachenden Stunden.
Bleibe nicht, wie die Fixsterne, kalt und fern; sondern tauche dich immer aufs Neue in den Sonnenschein der fühlbaren Gegenwart dessen, der die Sonne und der Mittelpunkt aller Seligkeit ist.
Ein Jeder hat ein bestimmtes Werk zu vollenden, einen bestimmten Platz in dem geistlichen Tempel auszufüllen. Von dir werden vielleicht keine außerordentlichen Dinge verlangt, keine leuchtenden oder glänzenden Taten, die vor menschlichen Augen strahlen. Dir kann ein stilles, unscheinbares Werk zugedacht sein, das Gebet im Verborgenen, die Unterdrückung der bösen Lust, das Verzeihen des Unrechts, eine unscheinbare Selbstaufopferung für die Ehre Gottes und das Wohl deines Nebenmenschen, wovon das Auge allein, das ins Verborgene sieht, eine Ahnung hat. Es schadet dir nicht, wie gering auch. immer diese innerlichen Dienste sein mögen. Vergiss es nur nicht, dass vor Ihm der Beweggrund die Tat heiligt. Es kommt nicht darauf an, was wir tun, sondern wie wir es tun. Er kann durch Kleines sowie durch Großes verherrlicht werden, und am allermeisten durch den täglichen Wandel, auch das alltägliche Leben.
Hüte dich vor Allem, was die Übergabe deines Herzens und deiner Seele zu Seinem Dienste verhindern möchte, weltliche Verwicklungen, eine im Geheimen gehegte Sünde, ein ungleicher Gang, ein geteiltes Herz, ein Anklammern an irdische Güter, ein sich Zurückziehen vom Kreuze. Wie Manche sehen, indem sie Müßiggänger im Weinberge sind, ihre ewigen Hoffnungen aufs Spiel, wenn sie nicht gar Schiffbruch an ihnen leiden; Zauderer wie Lot; Liebhaber der Welt, wie Demas; untätige Christen, wie die Bewohner von Meros! (Richter 5,23.) Hört es: Der Befehl ist „Gehe, und arbeite!“ Worte sagen, was du sein solltest; Taten sagen, was du bist. Lass Alle um dich her es erkennen, dass es eine Seligkeit ist, mit Gott zu wandeln und für Ihr zu wirken!