1. Johannes 4,19
Andachten
Lasst uns ihn lieben; denn Er hat uns zuerst geliebt.
Vom Himmel kommt Sonnenschein und Regen auf das Feld, und es ist natürlich, dass es nun sein Gewächs gibt. Es müsste denn Wüste oder Fels sein. Gott hat uns zuerst geliebt, und wenn unser Herz nicht der Wüste oder dem Fels gleicht, so müssen wir ihn wieder lieben. Er hat uns zuerst geliebt. Ehe Vater und Mutter uns liebten, hat er schon seine Arme nach uns ausgestreckt. Da wir noch fern von ihm in der Irre gingen, da wir ihn noch nicht liebten, sondern seine Gebote verachteten, da ist er uns schon nachgegangen mit seinen Wohltaten und Züchtigungen. Darin steht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden. Er hat uns zuerst geliebt, alle die Jahre unseres bisherigen Lebens bis heute, und wenn wir ihn etwa noch meiden und betrüben mit unseres Herzens Feindschaft, er liebt uns dennoch, liebt uns zuerst. Sollte es denn nun nicht ganz von selbst und notwendig bei uns Allen heißen: Lasst uns ihn wieder lieben? Wir sollten alle die Jahre unseres Lebens täglich Liebe und Güte von ihm empfangen haben, Schutz und Hilfe, Erhörung unserer Gebete, Vergebung unserer Sünde, Geduld und Langmut, und sollten ihn nicht wieder lieben? Wir sollten immer wieder hören: Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir sollen Gottes Kinder heißen, und unser Herz bliebe doch kalt, und wir liebten ihn doch nicht wieder? Lasst uns ihn lieben, nun ist es eine selige Pflicht; nun ist es ein sanftes Joch, eine leichte Last. Nun ist es nicht mehr schwer, sondern das sollte uns schwer und unmöglich sein, ihn nicht wieder zu lieben. O du Gott der Liebe, offenbare uns deine erste Liebe, damit wir dich wieder lieben mit aufrichtigem Herzen. Deine Liebe sei unser Schutz und unsere Kraft auch in dieser Woche. Deine Liebe überwinde unsere Herzen, dass wir uns dir weihen zu einem neuen Gehorsam: Alles zu deiner Ehre, du ewiger Gott. Amen. (Adolf Clemen)
Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Ist das ein Gebot, ein Befehl? - Die Sonne scheint vom Himmel herab mit ihren erwärmenden Strahlen; da erneuert sich die Gestalt der Erde, die Blumen kommen hervor, und das Land gibt sein Gewächs. Die Sonne der göttlichen Liebe steht über dir zwanzig, fünfzig Jahre, vielleicht länger schon, und in deinem Herzen regte sich nichts von Dank und Gegenliebe? Nur die Wüste trinkt alle Ströme des Himmels auf und bleibt tot und unfruchtbar. Nur dem Felsen gewinnt die Sonne kein Leben ab. Sollte dein Herz dem gleichen? Er hat uns zuerst geliebt. Er liebt immer zuerst. Seine Liebe ist niemals Vergeltung und Wirkung unserer Liebe. Er hat uns geliebt, ehe der Welt Grund gelegt war. Darum können wir nicht anders, als sprechen: Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. - Was ist unnatürlicher, als Undank und wie groß ist die Schuld des Undanks gegenüber so großer Liebe! - Hört, ihr Himmel, und Erde, nimm zu Ohren, denn der Herr redet: „Ich habe Kinder auferzogen und erhöht, und sie sind von mir abgefallen. Ein Ochse kennt seinen Herrn, und ein Esel die Krippe seines Herrn. Aber Israel kennt es nicht und mein Volk vernimmt es nicht.“ Dankst du also dem Herrn, deinem Gott? Ist er nicht dein Vater und dein Herr? - barmherziger Gott, vergib uns unsre Schuld und mache uns dankbarer. Entzünde in uns das Feuer deiner göttlichen Liebe. Erinnere uns durch deinen heiligen Geist an jede einzelne deiner Wohltaten, damit die Flamme dankbarer Liebe in unsern Herzen stärker werde. Höre nicht auf, uns zu suchen und zu rufen, uns zu segnen und zu dir zu ziehen; wir wollen nicht länger verachten den Reichtum deiner Güte, Geduld und Langmut; deine Güte soll uns zur Buße leiten. Amen. (Adolf Clemen)
Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Es sind Tiefen, die wir nicht ergründen können, und die tiefste Tiefe unter allem, was uns zu tief ist, ist gewiss die, dass uns Gott zuvor geliebt, und nicht schlechthin geliebt, sondern so geliebt hat, dass er uns nicht mehr lieben könnte, so viel gegeben hat, dass er uns nicht mehr geben könnte - seinen eingebornen, ihm ganz gleichen Sohn, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, hat er uns geschenkt - hat ihn in Not und Tod um unsertwillen kommen lassen! Wer kann diese Tiefen ergründen? - Da stehen wir, wie an einem Abgrunde, und beten an. Am besten ist, wir stürzen uns, wie wir sind, in diesen Abgrund der Liebe hinein, denn dazu hat er sich uns aufgetan. Denn grübeln, forschen hilft uns hier nicht. Er will geliebt sein, dass er uns desto mehr lieben könne, und wir seiner allbeseligenden Liebe desto empfänglicher werden. (Johannes Evangelista Gossner)
Planeten strahlen nur das Licht zurück, das ihnen von der Sonne zuströmt; und aus dem Herzen geht keine wahre Liebe zu Jesu hervor, die ihm nicht von dem Herrn Jesus selber zufließt. Aus diesem überströmenden Quell der unendlichen Liebe Gottes muss all unsre Gottesliebe entspringen. Es wird in alle Ewigkeit eine große und gewisse Wahrheit bleiben, dass wir Ihn aus keinem andern Grunde lieben, als weil Er uns zuerst geliebt hat. Unsre Liebe zu Ihm ist der zarte Sprössling seiner Liebe zu uns. Kühle, Mark und Bein durchschauernde Bewunderung kann jeder, der die Werke Gottes anschaut und sich darein vertieft, empfinden, aber die Flamme der Liebe im Herzen kann nur durch den Geist Gottes angezündet werden. Welch ein Wunder, dass überhaupt unsereins je dazu konnte gebracht werden, den Liebenswürdigsten zu lieben! Wie wunderbar, dass Er, gegen den wir uns aufgelehnt und empört hatten, durch Offenbarung einer solch erstaunlichen Liebe uns wieder zu sich zu ziehen sucht! Nein, nie hätten wir je ein Körnlein Liebe gegen Gott in uns gefunden, wenn es nicht wäre durch die liebliche Saat seiner Liebe in uns gepflanzt worden. Unsre Liebe ist ein Spross der Liebe Gottes, die in unser Herz ausgegossen wird; aber nachdem sie in uns göttlich geboren ist, muss sie göttlich ernährt werden. Die Liebe ist eine Treibhauspflanze; sie ist kein Gewächs, das von sich selbst im menschlichen Boden Blüten treibt, sie muss mit Tau von oben befeuchtet werden. Die Liebe zu Jesu ist eine Blume von gar zartem Bau, und wenn sie keine andre Nahrung empfinge als die, welche der Fels unsers Herzens zu geben vermag, so müsste sie bald verwelken. Wie die Liebe vom Himmel stammt, so muss sie auch mit himmlischer Speise ernährt werden. Sie kann nicht in der Wüste gedeihen, wenn sie nicht mit Manna von oben gespeist wird. Liebe muss von Liebe leben. Die Seele und das Mark unsrer Liebe zu Gott ist seine Liebe zu uns.
„Ich bete an die Macht der Liebe,
Die sich in Jesu offenbart;
Ich geb‘ mich hin dem freien Triebe,
Mit dem ich Wurm geliebet ward;
Ich will, anstatt an mich zu denken,
Ins Meer der Liebe mich versenken.“ (Charles Haddon Spurgeon)
Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Die beiden Sätze in vorstehendem Spruche sind durch das „denn“ unauflöslich mit einander verbunden; wenn der zweite Satz gilt, so gilt auch der erste, wenn die Liebe Gottes uns umfasst, so muss sie unsere Liebe gegen Gott zur Folge haben. So sollte es sein. Verwunderlich und befremdend aber ist es doch, dass in der Wirklichkeit diese beiden, die Liebe Gottes und die Liebe zu Gott, nicht in jenem von Gott gefügten Zusammenhange mit einander stehen. Das eine steht zwar in alle Wege fest: Er hat uns zuerst geliebt; von Anfang der Welt an ist die schaffende, erhaltende, regierende, erlösende, heiligende Liebe Gottes der Menschheit zugewandt gewesen; seit die christliche Kirche besteht, weidet der gute Hirte seine Heerde; an jedem einzelnen Gliede der Kirche erfüllt sich reichlich Psalm 103, 8: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte; und wenn auch Trübsal den Christen nicht mangelt und das Wasser ihnen oft bis an die Seele geht, so bleibt es doch unumstößlich wahr: Die Güte des Herrn ist es, dass wir nicht gar aus sind; seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu und deine Treue ist groß (Klagel. Jerem. 3, 22. 23); daran ist gar nicht zu zweifeln: Er hat uns zuerst geliebt. Wo aber findet sich unter den Menschen die Bestätigung und Bewährung des Wortes: Lasst uns ihn lieben, oder nach dem Urtext: Wir lieben ihn? Abgesehen von der Heidenwelt macht sich ja doch mitten in der Christenheit die Gottlosigkeit und Sünde breit; und, wo man nicht in groben Sünden wandelt, da prägt sich doch im Tun und Lassen so vielfach die Selbstsucht, der Hochmut, die Eitelkeit, Begehrlichkeit und Kreuzesscheu aus, welche Früchte des Unkrautsamens die Liebe aus dem Herzen verdrängen. Die Ursache, die Liebe Gottes, ist in Tätigkeit; aber die Wirkung, die Liebe zu Gott, will nicht eintreten; es ist geschieden, was Gott zusammengefügt hat. Verwunderlich und befremdend ist das alles freilich, insofern die Sünde selbst ein Unbegreifliches ist, als insbesondere die Sünde innerhalb der unter dem Einfluss der Gnade stehenden Christenheit wohl ein Geheimnis der Bosheit genannt werden kann. Aber der Schleier des Geheimnisses wird doch in Etwas gelüftet, wenn wir bedenken, dass es ein Bindeglied gibt zwischen der Liebe Gottes und der Liebe zu Gott, und dass, wenn dieses Bindeglied fehlt, die erstere nicht die rechte Wirkung haben kann. In dem vorstehenden Bibelwort verbindet der Apostel, wie erwähnt, die beiden Sätze mit einem „denn“; in diesem „denn“ liegt jenes Bindeglied beschlossen, sofern Johannes damit seinen Glauben, seine Erkenntnis der Liebe Gottes ausdrückt. Aus dem Unglauben, der Gott nicht erkennen will nach seiner heiligen Liebe, stammt alle Sünde, aller Mangel an Liebe. Die Heiden haben nach Röm. 1, 19 ff. die geoffenbarte Herrlichkeit Gottes nicht erkennen wollen, haben nicht glauben wollen, darum sind sie dahingegeben in Selbstsucht und Lüste, zu tun, was nicht taugt. Wie der Herr Joh. 8, 37 sagt: Meine Rede fährt nicht unter euch, oder Joh. 8, 45: Ich aber, weil ich die Wahrheit sage, so glaubt ihr mir nicht, so geht es überall da, wo innerhalb der Christenheit gepredigt wird: Er hat uns zuerst geliebt, und es doch nicht zu der Frucht kommt: Lasst uns ihn lieben; der Glaube fehlt. Wenn wir jedoch eine Sehnsucht im Herzen tragen nach solcher Frucht, wenn wir es mit dem Liede bekennen dürfen: Ich will dich lieben meine Krone, ich will dich lieben meinen Gott, dann müssen wir uns vor Allem mahnen lassen: Bittet um die Erkenntnis der Liebe Gottes, versenket euch doch tiefer und tiefer in das Wort, dessen Mittelpunkt diese Liebe ist (1. Joh. 4, 9), macht in ernstlichem Gebetsumgange mit Gott die Erfahrung von seiner erhörenden Liebe, bedenket täglich seine Wohltaten, ermuntert euch zu Lob und Dank, vergesset nicht, was er euch Gutes getan (Psalm 103, 1. 2). Werden wir mit Johannes (1. Joh. 4, 16) bezeugen können: Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat, dann ist auch für uns nicht mehr geschieden, was Gott zusammengefügt hat, dann tönt es auch in unserem Herzen: Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. (Thomas Girgensohn)