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Titus 2,12

Titus 2,12

Andachten

„(Die heilsame Gnade Gottes) züchtigt uns“
Merkwürdig: Gnade und Züchtigen in einem Atem genannt. Gnade vergibt, Gnade heilt, Gnade richtet auf, Gnade rettet - alles mögliche lässt sich mit ihr vereinen und von ihr aussagen; aber wie sollen wir das verstehen, dass sie züchtigt? Wer so fragt, hat wohl die Gnade noch nie erlebt. Solch eine volle, rettende Gnade, die alle alten Sünden verzeiht, als hätte man sie nie gehabt, noch getan, dass man sich ihr gegenüber vorkommt wie in einer mächtigen Liebeswelle, bringt die Eiskruste des Misstrauens gegen Gott zum Schmelzen und schafft ein neues Leben. Sie zieht uns in einen Liebesumgang mit Gott hinein, wo wir einfach außerstande sind, die alten Schlechtigkeiten gutzuheißen und listig zu verstecken. Sie entwaffnet uns und beschämt uns, sie überbietet alles, was wir uns hatten träumen lassen, und zwingt uns neue Entscheidungen und Entschlüsse ab. Wir können hinter solcher Hingabe Gottes in Christo nicht zurückbleiben. Er vertraut uns und glaubt an unsere Änderung: können wir solch einen großartigen Gott enttäuschen? Wir müssen mit der Erneuerung unseres Lebens Ernst machen, wie Gott Ernst machte mit der Tilgung der alten Schuld. Die Gnade wird unser weiser, starker Erzieher, dem wir gehorchen müssen.

Wir danken dir, Herr Jesus, dass du unsere persönliche Gnade geworden bist, dass du uns von innen heraus erneuerst und zu dir ziehst. Jetzt lass unser Mund und Leben dein Lob verkünden! Du bist es wert. Amen. (Samuel Keller)


„dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste.“
Da war ein alter intimer Bekannter, mit dem wir früher in unbekehrtem Zustande allerhand böse Streiche verübt haben; nachher ist er von Stufe zu Stufe gesunken. Ist es ein Wunder, dass wir jetzt ihm den Rücken kehren, seinen Gruß nicht erwidern und mit ihm nichts zu tun haben wollen? So müssen wir die ganze böse Sippschaft energisch verleugnen: das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste. Aber ehrlich! Nicht nur in Formen und im Verkehr vor den Leuten, sondern auch im geheimsten Gedankenstübchen unserer Seele. Die geheimen Beziehungen zu schlechten Leuten sind schlimmer als die offenbaren. Mancher meint, das Gebot des Apostels schon erfüllt zu haben, wenn er Theater und Konzerte meidet und ein ernsthaftes, feierliches Gesicht aufsetzt. Das ist äußerlich und wertlos, wenn die innere Herzensabkehr dem nicht entspricht. Der Herr will unser Herz und unsere Gesinnung zuerst ganz rein haben, dann wird das neue, unmittelbare, gottgewirkte Wesen sich schon seine äußeren Normen und Formen selber schaffen. Je peinlicher du auf innere Sauberkeit achtest, desto selbstverständlicher wird der neue Takt dich lehren, auch nach außen dich recht zu benehmen. Einen von beiden muss man verleugnen: entweder Jesum oder die Weltart.

Da wir dich gewählt, Herr Jesu, komm du selbst zu uns und fülle unsere Seelen mit deinen Gedanken und Interessen, bis kein Raum mehr sei für die wüsten Träume und Triebe der Selbstsucht. Amen. (Samuel Keller)


„und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt.“
Am Eingang eines Seehafens sind drei Leuchtfeuer; nur wenn sie für den einfahrenden Schiffer in eins zusammenfließen, kann er bei Nacht die Einfahrt sicher wagen. So sind in unserem Text die Pflichten gegen uns selbst, gegen den Nächsten und gegen Gott diesen Leuchtfeuern gleich. Man kann nicht eins von ihnen verachten oder vernachlässigen, ohne dass man sich auch vom Segen der anderen entfernt. Wer gegen sich selbst züchtig - sich in Zucht haltend - lebt, der kann auch dem Nächsten gegenüber gerecht sich betragen, und nur, wenn diese beiden ersten Pflichten erfüllt werden, ist es möglich, dass man auch gottselig, d. h. in Beziehung zu Gott richtig wandelt. Wer sich darauf versteift, dass seine Fehler auf einem dieser Gebiete durch tüchtige Leistung auf einem andern wettgemacht würden, der irrt sich. Gottseligkeit gibt nicht die Erlaubnis zu persönlicher Zuchtlosigkeit oder zu ungerechter Behandlung des Nächsten, ebenso wenig wie Bravheit im Umgang mit andern uns der Pflicht überhebt, gottgemäß zu leben. Die heilsame Gnade will uns durch ihren inneren Zug zu allen drei Pflichten tüchtig machen, und es liegt nicht an ihr die Schuld, wenn wir an irgend einem dieser Punkte elend versagen. Weil wir einheitliche Persönlichkeiten sind, müssen wir in allem vorwärtsgehen.

Ach, da haben wir oft über uns seufzen müssen, Herr Jesu! Mach du uns treuer und brauchbarer. Wenn wir ermüden, so erinnere uns an deine Nähe und an deine Kraft, damit wir Leuchtfeuer werden für andere. Amen. (Samuel Keller)


Die heilsame Gnade züchtigt uns.
Weil viele Menschen das Wort Gnade unrecht verstehen und missbrauchen, so hielt Paulus für nötig, Röm. 6,1.15. die Fragen aufzuwerfen: sollen wir in der Sünde beharren, auf dass die Gnade desto mächtiger werde? Sollen wir sündigen, dieweil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? Er beantwortet aber diese beiden Fragen so, wie es einem heiligen Apostel zustand; er antwortet beidemal: das sei ferne, und leitet seine Antwort aus der innerlichen Beschaffenheit der Gnade Gottes her, wie sie in dem Evangelio beschrieben wird. Tit. 2,12. aber sagt er sogar: die heilsame Gnade züchtigt uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt. Er nennt die Gnade eine heilsame Gnade, das ist eine Gnade, welche dem Menschen zum Heil oder zur Seligkeit verhilft. Er sagt: sie züchtige uns, das ist, sie treibe uns an, sie gewöhne und stärke uns, zu verleugnen das ungöttliche Wesen usw. Man darf nur bedenken, dass die heilsame Gnade uns Empfindungen der Liebe Christi gewähre, und dass nach derselben uns der Heilige Geist gegeben werde, und dieser durch das Blut Christi unser Gewissen und unsere ganze Seele reinige, so wird man bald einsehen, dass sie zu einem heiligen Wandel treibe und tüchtig mache. Wer also mit dem Munde sagt, er hoffe aus Gnaden selig zu werden, und stehe schon jetzt in der Gnade, dabei aber das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste nicht verleugnen, und in dieser Welt nicht züchtig, gerecht und gottselig leben will, dessen Hoffnung ist eitel, dessen Ruhm von der Gnade ist lügenhaft, der kann wohl das ehrwürdige Wort Gnade im Munde führen, aber von der Kraft derselben fühlt er nichts in seinem Herzen. Gleichwie es Gnade ist, wenn man gerechtfertigt wird, also ist es Gnade, wenn man geheiligt und Christo innerlich ähnlich gemacht wird. Es ist Gnade, wenn man von der Schuld und Strafe der Sünden los wird, es ist aber auch Gnade, wenn man von der Herrschaft der Sünde frei, und wenn die Sünde hernach noch weiter in der Seele abgetan wird. Ja es ist auch Gnade, wenn man über einer jeden Übereilung eine innerliche Bestrafung bekommt, bei einer jeden Gefahr, in die Sünde zu fallen, in eine Angst und Furcht gerät, und zuweilen durch ein Leiden am Fleisch von dem Wandel nach dem Fleisch, wozu man hingerissen werden könnte, abgehalten wird. Wer die Verleugnung des ungöttlichen Wesens und der weltlichen Lüste, und züchtiges, gerechtes und gottseliges Leben für eine verdrießliche Last und für eine Pein hält, hat noch keine Erfahrung davon bekommen, und in das vollkommene Gesetz der Freiheit noch nicht durchgeschaut. Das Joch Christi ist sanft, und Seine Last ist leicht, und geistlich gesinnt sein, ist Leben und Friede: deswegen wird auch jene Verleugnung und jenes Leben aus der Gnade hergeleitet. Die allen Menschen erschienene heilsame Gnade werde auch mir und den Meinigen zu Teil, und erhalte uns auch heute bei dem Einigen, dass wir Gottes Namen kindlich fürchten, und diese kindliche Furcht durch einen vorsichtigen Wandel offenbaren. Was das Gesetz, welches die Sünde reizt und den Sünder verdammt, bei uns nicht zuwege bringen kann, wirke die Gnade in uns. Sie mache uns frei vom Gesetz der Sünde und des Todes, das ist von dem Trieb zu sündigen und in das Verderben hineinzurennen; hingegen verschaffe sie, dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns als Leuten, welche nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist leben, erfüllt werde. (Magnus Friedrich Roos)

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