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Johannes 18,38

Johannes 18,38

Andachten

Was ist Wahrheit?
Das weiß ich nicht, ob es Pilatus mit Ernst, oder spöttisch meinet, doch verstehe ich es, dass es ein lauter Spott und höhnische Rede sei; denn Pilatus war ein kluger, weiser Heide, darum verachtet er Christum und spricht: O, willst du mit Wahrheit umgehen, so bist du verloren! Willfahrt macht Freunde, Wahrheit macht Feinde. Bist du der Mann, der mit Wahrheit umgeht, so ist es kein Wunder, dass du gefangen und gebunden hierher geführt worden bist. Willst du auf Erden leben, so musst du dich der Wahrheit äußern. Also verstehe ich es, dass es ein heidnischer Posse sei, geredet aus einem frechen Gewissen. Gleichwohl ist damit angezeigt, dass es der Welt Lauf ist, dass man die Wahrheit nicht leiden kann. Wer in der Welt leben will, der schweige die Wahrheit, lüge und trüge. Willst du aber die Wahrheit bezeugen, so richte dich danach, dass du wider dich habest den Teufel mit seinen Engeln, die Welt mit ihrer Weisheit und höchsten Vernunft; ja, dass du wider dich habest deine Eltern, Vater und Mutter, und deine besten Freunde; da wird nichts Anders aus. Wenn sie dich nun Alle hassen und verfolgen um der Wahrheit willen, so sprich: Das habe ich gesucht, das habe ich wollen haben, Gott sei gelobet, es geht recht, wie es gehen soll. So ich die Wahrheit schweige, so waren diese Alle meine lieben Freunde; weil ich aber die Wahrheit nicht schweigen kann, so sind sie mir ungnädig und zuwider. Doch ist unser Evangelium die Wahrheit, es zürne wer da wolle. Und da hüte man sich vor, dass man es nicht spotte, wie Pilatus tut und höhnisch spricht: Was ist Wahrheit? Da sollen wir nun aus diesem Text lernen, dass Niemand auf sich soll liegen lassen eine falsche Auflage, sondern soll es auf seine Widersacher treiben. Darnach, dass wir beständig die Wahrheit bekennen, unangesehen, wie es uns auch darüber gehe. Und zuletzt, dass die Wahrheit nichts anders ist, denn das Evangelium von Christo Jesu. (Martin Luther)


Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Und da er das gesagt, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm.
Wie es einen „ewigen Juden“ gibt, der den kreuztragenden Christus misshandelte und deswegen bis zum jüngsten Tage unstet über den Kreis der Erbe irren muss, so gibt es auch einen „ewigen Römer“, wir meinen den Pilatus, der Jesum mordete. Auch er muss ewig bleiben und wie eine lebendige Warnungstafel immerfort durch die Reihen der Menschen schreiten. Wo das Evangelium von dem Opfertod Jesu gepredigt wird, da wird auch der Name des Pilatus genannt. „Gelitten unter Pontio Pilato“, so tönen die Worte unseres Glaubensbekenntnisses von Jahrhundert zu Jahrhundert durch alle Lande der Christenheit. So hat denn auch Pilatus seinen Namen unlösbar mit dem Namen Jesu verbunden. Aber ach, wie so gar anders als jene Maria, die Jesum salbte zu seinem Begräbnis! (Mark. 14.) Wie aber der ewige Jude ein Abbild des Volkes Israel ist, das seinen Heiland verwarf, weil es die Zucht hasste, so ist auch Pilatus ein Abbild des damaligen Römervolkes, das durch Wollust und Genusssucht den Sinn für göttliche Wahrheit verderbt hatte und deswegen zu Grunde gehen musste. Pilatus ist aber auch nur zu sehr das Abbild eines unzählbaren Volkes in unserem modernen Geschlecht, das auch von dem „Reich, das nicht von dieser Welt ist“, nichts wissen will. -

Seht doch die beiden Männer an, die im Richthaus Gabbatha, Auge in Auge, einander gegenüberstehen! Das ist eine seltsame Konferenz. Der Eine ist der Vertreter der Weltmacht, der Andere der König des Himmels. Pilatus der zeitliche Richter, Jesus der ewige Richter aller Welt. Dieser hat die Macht zu sterben; Jener hat die Macht zu töten. Pilatus steht da, umkleidet von aller Macht und Herrlichkeit der Welt, aber unruhig ist sein Herz und sein Gewissen blutet; Jesus steht da in der äußersten Ohnmacht und Schmach, aber dennoch ein König, umkleidet mit der stillen Majestät göttlicher Würde und Hoheit. Pilatus schreibt sein eigenes Todesurteil, da er Jesum in den Tod gibt; Jesus siegt und triumphiert, während er vor Menschenaugen unterliegt.

„O mächtiger Herrscher ohne Heere, -
Siegreicher Kämpfer ohne Speere, -
Du Friedefürst von großer Macht:
Es wollen Dir der Erde Herren
Den Weg zu deinem Thron versperren, -
Doch Du gewinnst ihn ohne Schlacht.“

Mit heiligem Ernst hatte sich Jesus als den König des unsichtbaren Wahrheitsreiches offenbart. Das Herz des Pilatus war tief erschüttert worden, aber er wehrt dem guten Geist Gottes, indem er sich spottend abwendet. Was ist Wahrheit?“ so sagt er und lässt Jesum stehen. Er schlägt der Wahrheit, die Einlass begehrt, die Tür vor dem Gesicht zu und gibt sich den Anstrich, als ob der Glaube an eine Wahrheit, die für Alle sei, die Alle erziehen, züchtigen, erleuchten und beglücken könne, als ob der Glaube so albern sei, wie der Glaube an Gespenster. Im Herzen ist freilich eine andere Stimme. O wir kennen den Mann und haben Mitleiden mit ihm. Es war ja freilich in der Zeit, da Pilatus lebte, besonders schwer, an den Bestand und die Herrschaft der Wahrheit zu glauben. Aber darum hätte Pilatus doch eine tiefe Sehnsucht nach der Wahrheit behalten können, wie zum Beispiel seine Offiziere, in Kapernaum, in Jerusalem und in Cäsarea. (Matth. 8,5 ff.; 27,54. Apostelg. 10.) Sie erkannten sogleich die Wahrheit, als sie ihnen in der Person Jesu entgegenkam; denn sie waren „aus der Wahrheit“. Nicht aber Pilatus; er will nicht die Stimme Jesu hören, obgleich sie ihm die Seele bewegt. Wir verstehen dich, du armer Mann; du fühlst wohl, dass du nicht an die Wahrheit glauben kannst, ohne auch die Wahrheit zu tun. Und du weißt es, dass deine erste Tat im Dienst der Wahrheit und Gerechtigkeit darin bestehen müsste, dass du diesem Jesus die Freiheit gäbst. Und was wird daraus folgen? „Ohne Zweifel, (so sagt sich der Landpfleger,) fließt daraus der grimmigste Hass der Priester, die mich beim Kaiser verklagen und um mein Amt bringen werden. Was werden aber dann meine guten Freunde sagen? wie werden meine Feinde spotten? Und wie könnte ich, der ich an so tausenderlei Genüsse und Ehren gewöhnt bin, wie könnte ich im Elend leben? Unerträglicher Gedanke! Nein, nein, es gibt keine Wahrheit, denn es darf keine geben.“

So liegen die Dinge innerlich. Das Spiel endet damit, dass der „Richter“ den Mann, dessen Unschuld er vor aller Welt bezeugt, mordet. Eben damit aber ist er, ohne es zu ahnen, ein mächtiger Zeuge für die Wahrheit geworden! Denn er hat damit bewiesen, dass die Welt zu Grunde gerichtet wird durch Menschen, - die nicht an die Existenz göttlicher Wahrheit und Gerechtigkeit glauben.

Und noch ist heutzutage der Name Derer Legion, denen die Pilatusfrage: „Was ist Wahrheit?“ als höchste Weisheit erscheint. Wir denken hier selbstverständlich nicht an Diejenigen, die mit Tränen im Auge so fragen, die redlich gesucht, aber noch nicht gefunden haben. Für Solche wird der König der Wahrheit schon Licht schaffen zu seiner Zeit. Wir meinen aber die Unzähligen, die mit leichtsinnigem Worte so fragen und die Wahrheit leugnen, weil sie die Zucht hassen. Sie spotten über die Wahrheit des Christentums, verstecken sich hinter die Heuchelei einzelner „Christen“, oder hinter die Uneinigkeit und gegenseitige Verketzerung Derer, die sich „Christen“ nennen, oder hinter diese und jene offenbare „Unsinnigkeiten der Bibel“, wobei dann regelmäßig der Esel des Bileam aus dem Stall geholt und der „Walfisch“ des Jonas aus dem Wasser gezogen wird. Sie stellen die Christen als Fanatiker und hochmütige Narren dar und zeigen, wie viel würdiger es sei, anzunehmen, dass der „gute Vater über‘m Sternenzelt“ jeden „nach seiner Fasson selig werden lasse“. - Ja, „Jeden nach seiner Fasson,“ das ist die Hauptsache, darauf kommt es den Freunden des Pilatus an. Betrachten wir sie schärfer, so merken wir leicht: Es sind Leute, die aus ihrer Fasson nicht heraus wollen; so darf denn die Wahrheit nicht Wahrheit sein, sonst könnten sie nicht mehr bleiben, tun, denken und genießen wie sie pflegen. „Die Religion darf auf alle Fälle nicht inkommodieren!“ Das ist das erste und letzte religiöse Dogma dieser Pilatusfreunde, gleichviel ob sie im Professoren-Ornat oder im Waschfrauen-Kleid einhergehen. Sie fühlen aber ganz richtig, dass sie ihre Seele, den ganzen Sinn, der sie beherrscht, viele böse Gewohnheiten im Geschäft und im häuslichen Leben, allerlei Sünden, liederlichen Umgang, vergiftende Lektüre usw. - aufgeben und opfern müssten auf dem heiligen Altar der Wahrheit, deren Zeuge und König Jesus Christus ist. Sie fliehen also die Wahrheit, weil sie uns nicht lebendig machen kann, es sei denn, dass sie uns vorher getötet hat. Würde man jene Leute auf ihr Gewissen fragen, sie würden allermeist bekennen müssen, dass sie sich in ihrem ganzen Leben kaum eine einzige Stunde redlich gemüht haben, dem König der Wahrheit ins Auge zu schauen, dass sie in ihrem ganzen Leben nur selten einige Minuten gefunden haben, wo sie vor ihrem eigenen Bild still standen und diese einige Sehnsucht hatten: die Wahrheit über sich selbst zu erfahren.

So lasse sich doch Niemand irre leiten und bange machen durch das moderne Pilatusgeschrei. Es sind nicht die Besten, die so schreien. Dagegen wird es sich befinden, dass heute wie vor Alters Alle, die Jesu Stimme verstehen wollen, auch stufenweise zum Tempel der Wahrheit hinaufkommen, bis sie am großen Tag der Enthüllung eintreten dürfen in das innerste Heiligtum zu ewiger Anbetung.

Wann werd' ich einmal kommen Zu solchem Freudenquell? Wär' ich doch aufgenommen Und schon bei dir zur Stell'! Herr Christe, nimm mein Flehen So lang' indessen an, Bis ich dich selbst ersehen Und recht beschauen kann. (Otto Funcke)


Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?
Christus vor Pilatus. Lauter saure Gänge, um unsre Sündenwege vor Gott zu tilgen. Pilatus hatte, menschlich gesprochen, das Schicksal Jesu in Händen; welch ein schönes Zeugnis hätte er für die Wahrheit ablegen können, wenn ihm die lautere Wahrheit wirklich am Herzen gelegen hätte! An guten Regungen fehlte es Pilato nicht, allein was ihm fehlte, war ein sauberes Gewissen. Er hatte sich seine Stellung durch frühere Expressungen und Ungerechtigkeiten verdorben. Die Juden hätten Manches nach Rom berichten können, was Pilato nicht lieb gewesen wäre, und darum war er leider in seiner Amtsführung gebunden, und um seine eigene Haut zu retten, gab er den Gerechten in die Hände der Ungerechten und überlieferte ihn dem Kreuzestod. So geht es jedem gebrandmarkten Gewissen. Wer nicht mit der Sünde brechen will und nicht bekennen will: Ich habe gesündigt, aber von heut an habe ich der Schlange auf den Kopf getreten, der verwickelt sich auch in lauter neue Ungerechtigkeiten und kommt aus den Händen der Bösen nicht mehr los. Und je mehr das Herz sich entfremdet hat von dem Leben aus Gott, je mehr verfinstert sich auch der Verstand. Pilatus, als Christus im Verhör ihm von der Wahrheit spricht, zuckt die Achseln und ruft aus: Was ist Wahrheit! Die Wahrheit steht vor ihm leibhaftig, und Pilatus kann fragen: Was ist Wahrheit? Er hat Augen, und sieht nicht. So geht es auch heut noch Jedem, auf dessen Gewissen eine Decke liegt. Er liest immer, lernt immer, und kann doch nichts begreifen. Wo steckt der Fehler? Nicht in der Bibel und in ihren Dogmen, sondern in den Anklagen des Herzens, die man aber nicht will aufkommen lassen. Pilatus hatte nebenbei vielleicht auch viel Heidnisches gelesen, aber nicht in Christi helles, durchdringendes Auge geblickt. Viele Menschen verderben sich, wie Pilatus, ihr Christentum, indem sie immer nur Schriften gegen das Christentum, das Leben Jesu, von Strauß und ähnlichen Unrat in sich aufnehmen, aber das reine Evangelium wollen sie nicht; darin würden sie eben ihren Richter finden. (Friedrich Lobstein)


Was ist Wahrheit?
Warum will die Welt Jesum Christum nicht als König und HErrn anerkennen? Er ist doch ein König! unser Jesus ist ein König aller Könige und ein HErr aller Herren, und er bleibt es; Gott, dein Stuhl währt von Ewigkeit zu Ewigkeit, das Zepter deines Reichs ist ein richtiges Zepter (Hebr. 1, 8.). - Der Heiland nennt selber den Grund: wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Es mochte freilich dem Römer wunderbar vorkommen, dass ein gebundener Jude, der die Spuren seiner erlittenen Misshandlungen an sich herumtrug, ihm mit großem Ernst versicherte, er sei ein König; aber dass er gar nicht weiter nach der Wahrheit fragte, sondern stolz und wegwerfend, vielleicht auch aus Furcht, die Wahrheit möchte beschämend und demütigend für ihn sein, nur sagte: was ist Wahrheit? und dann wegging, damit hat er doch bezeugt, dass er nicht aus der Wahrheit sei, sondern die Finsternis lieber habe als das Richt. Und das ist auch der Grund, Viele noch immer Christum als ihren König, Gott und HErrn nicht anerkennen wollen. Sie sind nicht aus der Wahrheit. Sie lassen sich gern vom Schein des Sichtbaren täuschen, sie stoßen sich an der armen Gestalt, in welcher er austrat, an der Gestalt seines Reichs, welches ein Kreuzreich ist, sie halten sich an der Schale auf und wollen den Kern nicht, sie wollen die innere Herrlichkeit Christi und seiner Kirche wegen ihres armen Gewandes nicht erkennen, sie lassen sich von ihrer Sinnlichkeit täuschen, ja sie sind stolz und wollen sich nicht unter den Sohn Gottes demütigen. Dass die Welt in ihm nicht sogleich ihren König und Gott findet, ist kein Wunder, die Schrift selbst bezeugts, dass ihr die Dinge des Geistes unbekannt sind, aber sie fragen nicht einmal nach der Wahrheit, sie forschen gar nicht weiter, weil sie die Wahrheit zu besitzen meinen, oder weil ihnen nichts an der Wahrheit gelegen ist, oder weil sie fürchten, die Wahrheit möchte sie in ihrer Sündenliebe und Sinnengenuss stören, und sprechen darum mit Pilatus: was ist Wahrheit? und das ist ihre Schuld. (Ludwig Hofacker)


Was ist Wahrheit?
Wache auf, meine Seele, und schlummere nicht länger, „die Nacht ist vergangen, und der Tag ist herbeigekommen.“ Kannst du es verantworten, dich länger der unsicheren Strömung des herrschenden Zeitgeistes zu überlassen und deine Zukunft dem Ungefähr Preis zu geben? Siehe, der Wanderer bedarf eines Führers, und wenn er sich in der ungebahnten, pfadlosen Wüste befindet, dann sind ihm die leuchtenden Sterne die Wegweiser zum Ziele: welches ist das Ziel deines Lebens, und wer leitet dich ihm entgegen? Du hast schon manches schöne Jahr dahin gelebt, und des Guten viel empfangen und genossen, ohne zu fragen, wer es dir spendete, und wozu es dir gegeben ward: und was für einen Inhalt hatte bis jetzt dein Leben? Für wen hast du gelebt und gewirkt? zu welchen Zwecken hast du deine Kräfte und Gaben genutzt und verwertet? Willst du die Gabe des menschlichen Daseins nutzlos verschleudern? Und wie, wenn nun das Licht deines Lebens plötzlich erlischt: hast du dich nie gefragt, ob nicht hinter dem Grabe eine vergeltende Ewigkeit sich für dich auftut? Liebe Seele, besinne dich auf dich selber, und entziehe dich nicht länger der Erwägung der ernstesten Frage, die es für einen Menschen geben kann: „Was ist Wahrheit?“ Hat diese Frage noch niemals mächtig an dein Herz geklopft? Oder hast du sie nur aufgeworfen mit dem Spotte des Unglaubens, wie einst der Heide Pilatus? Gibt es denn keine Wahrheit? Oder sollte das die einzige Wahrheit sein, dass es nichts Gewisses gibt, als was wir mit leiblichen Augen sehen und mit Händen greifen können? Allerdings ist das menschliche Leben ein wunderbares Geheimnis, und es geschehen viele Dinge unter der Sonne, in deren Verständnis auch der Verstand des Weisesten nicht eindringt; wenn es ein ewiges Gesetz ist, das in Weisheit und Liebe über den Schicksalen der Menschheit waltet, so ist es oft unsren Blicken verborgen; aber wenn wir tiefer forschen, wenn wir in heiligem Ernste um die Wahrheit ringen: sollte sie uns nicht endlich ihr leuchtendes Antlitz enthüllen? Es haben doch zu allen Zeiten Menschen gelebt, die es gewusst haben, wozu sie lebten; sie hatten einen festen Boden unter ihren Füßen, und der Friede wohnte in ihren Herzen; sie waren Wohltäter der Menschheit; von ihren Zeitgenossen wurden sie geliebt und verehrt, und die dankbare Nachwelt bewahrte ihr Gedächtnis: ist das Gute, für das sie gekämpft haben, ein Wahn gewesen oder eine Täuschung? Aber wenn ihre Wirksamkeit die Tränen des Unglücks trocknete und Glück und Wohlsein um sie her verbreitete: konnte denn auch dieser Segen eine Täuschung sein? und das Glück, dessen sie selber genossen, als sie ihr Leben der Erfüllung einer hohen und herrlichen Ausgabe zuwendeten, kann das auch eine Täuschung gewesen sein? Dann müsste es auch eine Täuschung sein, wenn wir uns des Brotes freuen, das unsren Hunger stillte, und des kühlenden Trankes, der unsren brennenden Durst gelöscht hat. Ja, es muss eine Wahrheit geben, und ihr Besitz muss für den Menschen etwas unaussprechlich Beglückendes haben; das sagt uns eine untrügliche innere Stimme, das sagt uns die tiefe Sehnsucht nach Wahrheit, die unsrer Natur inne wohnt. Wir fühlen ja, dass sich Kräfte von mancherlei Art in uns regen, Kräfte und Gaben, die nach einem ihrer Natur würdigen Gegenstande sich sehnen, an dessen Bewältigung sie zur vollen Entwicklung zu gelangen vermögen, denn so lange wir sie nur auf die irdischen Dinge verwendeten, blieb ihr eigentlichstes innerstes Wesen unverwertet. Darum wollen wir ausgehen und die Wahrheit suchen; das tiefe Bedürfnis nach ihr, das unsrer Natur anhaftet, ist uns Bürgschaft, dass sie sich finden lassen wird, und wie glücklich werden wir sein, wenn erst das volle Licht der Wahrheit unsren Weg überleuchtet, und wir dann aus eigener Erfahrung das Bekenntnis eines frommen Sängers werden bestätigen können: „Du tränkst die Deinen mit Wollust als mit einem Strom; denn bei Dir ist die lebendige Quelle, und in Deinem Lichte sehen wir das Licht.“ (Psalm 36, 9. 10.) (Julius Müllensiefen)

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