2. Mose 15,17
Andachten
“Bringe sie hin und pflanze sie auf den Berg Deines Erbes, an die Stätte, die Du, HErr Dir zur Wohnung gemacht hast, zu Deinem Heiligtum, das Deine Hand bereitet hat.“
Die Losung ist aus dem Lied genommen, welches Miriam sang nach dem Auszug aus Ägypten und nach dem Untergang der Ägypter. Miriam wünscht den Geretteten glücklichen Einzug ins gelobte Land. Ihr Geist muss freilich da von den eben Geretteten gleichsam absehen, die ja wegen einer späteren großen Versündigung, so weit sie über 20 Jahre alt waren, zu ihrer Strafe nicht in das gelobte Land kamen, sondern in der Wüste sterben sollten. Der Hauptsache nach ging aber das Gebet doch in Erfüllung. Denn die Nachkommen wenigstens kamen wirklich ins Land, und zur Stätte Silo kam wirklich das Heiligtum; und wenn Miriam vom Berg des Erbes redet, dahin Israel verpflanzt werden sollte, so sieht ihr Geist weissagend auf Zion, wohin erst später, nach etwa 500 Jahren, das Heiligtum und der Tempel kam.
Uns aber kann es einen eigentümlichen Eindruck geben, wenn wir hören, wie Miriam so fröhlich singt, und alles Volk jauchzt und hofft, und doch gerade dieses Volkes Leiber fast alle in der Wüste verfielen. Sowohl im Hebräerbriefe (3,17), als auch im ersten Korintherbriefe (10,1ff.) wird das Schicksal des Volkes als eine Warnung für uns vorgestellt, die wir auch aus Ägypten, sozusagen, geführt sind und auf- und angenommen zum Volke Gottes, dass wir nicht durch Unglauben, Untreue, Widerspenstigkeit und Abfall uns um die Ruhe Gottes bringen, zu der wir berufen sind. Es braucht viel Betens und Kampfes, um im Angefangenen zu verbleiben. Denn wenn man schon große und schöne Erfahrungen gemacht hat, und glücklich geworden ist über den Gnaden, die der HErr geschenkt, braucht's doch fortwährende Wachsamkeit und Gebet, dass man nicht wieder zum Ungehorsam und zur Sünde sich wende, und damit verliere, was man gefunden hat und zur Letzte doch noch seines Zieles verfehle. Ein Nachlass im Ernst und Kampf kann großen Schaden bringen. Täglich und stündlich müssen wir's uns daher angelegen sein lassen, es nicht durch Torheit und Sünde zu verderben. Denn wenn wir auch noch so weit vorgerückt sind, so ist immer noch Gefahr da, alles zu verlieren. Ach, dass wir alle möchten eingebracht werden zur verheißenen Ruhe Gottes!
Ich habe mir schon als Knabe meine Gedanken gemacht, wenn ich in Cannstatt war auf dem Volksfest, das dort alle Jahr gefeiert wird. Da wurden damals hohe Stangen aufgerichtet, und oben herum ein Kranz gehängt mit allerlei Sachen dran, von welchen der, welcher hinaufkletterte, etwas abrupfen durfte. Da habe ich denn die Knaben hinaufklettern sehen. Im Anfang kamen sie schnell vorwärts. Allein bei Manchen bemerkte ich, dass sie, wenn sie fast oben waren, nicht mehr weiter kamen; und ehe sie mit der Hand etwas erreichen konnten, rutschten sie wieder herab. Da war dann alle ihre Anstrengung umsonst; und mich dauerten die Knaben sehr. „Ringet danach,” fiel mir aber auch ein, „dass ihr durch die enge Pforte eingehet; denn viel werden, das sage ich euch, danach trachten, wie sie hinein kommen, und werden's nicht tun können.” (Luk. 13,24). So ist's aber, - wenn man schon fast am Ziele ist, so ist's noch gar nichts; erst wenn ich am Ziel bin, ist's gewonnen. Wenn ich's beinahe erreicht habe, und gehe dann zurück, so ist alles verloren. Darum darf man nie sicher sein. - Ebenso war's beim Rennen mit Pferden. Da ist Mancher weit vorgekommen, und hat die andern alle hinter sich gelassen, und meinte des Sieges gewiss zu sein. Aber nach und nach blieb er hinter den andern zurück, und hat's doch noch verspielt. So dürfen auch wir nie sagen: „Jetzt hab ich's!” und gleichsam aufs Ruhekissen uns legen; sondern wir müssen immer auf der Hut bleiben und immer fortkämpfen wider die Sünde. So war's denn auch bei jenen Israeliten. Die waren aus Ägypten befreit und waren durchs rote Meer geführt worden; was hatten sie doch da alles gewonnen? Und doch war's, gegen das Ende betrachtet, nichts. Denn jetzt kam die Wüste und kamen die Versündigungen und Untreuen auf dem Gang durch die Wüste und alle Alten starben hinweg, ohne das Ziel zu sehen. Gebe der Herr, dass wir nicht untreu werden, nicht in Ungeduld murren, nicht von sündlichem Gelüste uns einnehmen lassen, auch nichts versäumen, um die Kräfte, deren wir bedürfen, uns zu sichern. So lange freilich der gute Wille da ist, macht sich alles; denn der Herr hilft. Im Geistlichen geht es nicht, wie bei jenen Knaben, denen ohne ihre Schuld die Kraft ausgegangen ist. Gehen uns die Kräfte aus, so sind wir schuld daran. Denn nur Untreue macht uns kraftlos. (Christoph Blumhardt)