Kolosser 3,2
Andachten
Trachtet nach dem, das droben ist, nicht nach dem, das auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott.
Droben ist unser Vater, droben unser Herr, droben das, was durch die vollendete Gemeinschaft mit Gott entsteht. Unten auf der Erde ist, was die Natur mir gibt, unser Leib und seine Triebe und die menschliche Gemeinschaft mit ihren Abhängigkeiten und ihrer Dienstpflicht. Um von diesen Mächten frei zu werden, bedarf es eines Sterbens; denn sie rühren mich nicht nur von außen an, sondern fassen mich im Grund meines Lebens. ich kann sie nicht von mir abstreifen und ohne sie weiter leben, sondern werde nur dadurch von ihnen gelöst, dass mein gegenwärtiges Leben endet. Dieses Ende ist mir dadurch bereitet, dass ich das Eigentum Jesu bin. Das ist die Kraft, die mein Verlangen von allem wegzieht, was die Erde mir gibt. Dieses sterben ist kein Verlust und nicht die Wirkung des vergeltenden göttlichen Zorns, sondern es verschafft mir das Leben. Es ist in Gott für mich vorhanden, bei dem Christus ist. Darum ist es noch verborgen, nicht schon an mir sichtbar, nicht schon in meinem Leib und meinen irdischen Verhältnissen wirksam. Es ist deshalb mein eigen, weil Christus lebt und sein Heilandsamt an mir vollbringt und mir seine Gemeinschaft verleiht. Ich kann die Herrlichkeit des Lebens darum nicht durch meine Erfahrung beweisen und nicht durch mein Verhalten den anderen aufzeigen. Nur dadurch kann ich es zeigen, dass ich auf Christus hinweise, weil er unser Leben ist. Weil es aber bei Gott verborgen ist, ist es in guter Hut an einem sicheren Orte. Darum fort mit der Furcht und fort mit dem Zweifel. Nur das Eine ist notwendig, dass ich aufwärts sehe, nicht nur abwärts, und nicht an die Erde meinen Glauben hänge, sondern an den, der beim Vater ist.
Ich will nach dem Leben streben, lebendiger Gott. Bei Dir hast Du es uns bereitet, uns, die wir sterben, deren Himmel die Erde ist. Du stellst mich aber nicht darum auf die Erde, weil Du mir versagst, was droben ist. Gib mir den aufwärts gerichteten Blick, das aufgedeckte Angesicht, das nach oben gewendet ist. Amen. (Adolf Schlatter)
Wenn man das, was der Apostel Col. 3,2. schreibt, bedenkt, und dann in die Welt hinein sieht, so muss man gestehen: die Menschen haben das Unterste zu Oberst gekehrt. Denn wie das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse ist von Jugend auf, so ist es auch, so lange es nicht wiedergeboren ist, nur auf das Irdische gerichtet. Weide für Augenlust und Fleischeslust, irdische Schätze, weltliche Ehre und äußerliche Freiheit, das und der Art sind die Dinge, worauf die Menschen ihren Verstand und Scharfsinn üben, wobei sie Fleiß und Beharrlichkeit zeigen, und worin sie nicht leicht eine Übertreibung kennen. Aber findet ihr Menschen denn wirklich in dem, das auf Erden ist, das was ihr darin sucht? Ihr sucht Freude, und findet Herzeleid; sucht Genuss, und findet Überdruss; sucht die Fülle, und findet Leere; ihr kostet hie und kostet da, und werdet doch nimmer satt. Ach sucht, was ihr sucht, sagt ein Mann, der es euch einst gleich getan - aber es ist nicht da, wo ihr's sucht. Sucht was droben ist. Denn Freude die Fülle und liebliches Wesen ewiglich ist nur in Gott zu finden. Aber freilich, ihr seid von Gott so fern, euch fehlt der himmlische Sinn und die Liebe zu Gott. Eben deshalb aber schreibt der Apostel: „Seid ihr nun mit Christo auferstanden, so sucht, was droben ist, da Christus ist, sitzend zu der Rechten Gottes.“ Erst dann, wenn ihr den kennt, der vom Himmel auf die Erde kam und eines Menschen Kind ward, um uns zu Gottes Kindern zu machen; wenn er durch seine im Leben, Leiden und Sterben bewiesene Liebe eure Herzen für sich eingenommen und gewonnen hat, dass ihr an ihm hanget, wie die Glieder am Haupte; wenn ihr durch seinen Tod der Sünde abgestorben und mit ihm auferstanden seid vom geistigen Tod: werdet ihr zu einiger Erfahrung dessen kommen, was er verheißen hat: „Wenn ich erhöht sein werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen.“ Sein Zug von oben nach oben im Herzen seiner Erlösten, diese seine himmlische Anziehungskraft - das ist es, was dem menschlichen Trachten die rechte Richtung gibt, nämlich nach dem, das droben ist.
Darum seht,
dass ihr den Geist erhebt
Von den Lüsten dieser Erden,
Und euch dem schon jetzt ergebt,
Dem ihr beigefügt sollt werden.
Schickt das Herz jetzt dahinein,
Wo ihr ewig wünscht zu sein.
Diese Herzensrichtung soll man am Wandel sehen können. Mann soll es an dem Himmlischgesinnten gewahr werden, dass er in seinem Stande und Berufe, in allen seinen Verhältnissen, er sei nun reich oder arm, vornehm oder gering, alt oder jung, auf rechter Bahn bleibt, nicht bald hier, bald da auf die breite Straße hinübertritt, sondern in den Fußstapfen Christi einhergeht, durch die finsteren Täler voll Glauben und Vertrauen, und über die steilen Höhen voll Mut und Vorsicht wandert, bei den Lustlägern dieser Welt sich nicht aufhält, und über das Vielerlei am Wege, das Ziel, das Einige Notwendige nicht aus dem Auge verliert. Solch ein Wandel ist der Welt heilsamer, als viele hundert Predigten über Christensinn und Christenwandel. (Carl Johann Philipp Spitta)