1. Korinther 12,26
Andachten
„So ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich alle Glieder mit.“
Wie die Glieder des menschlichen Leibes angenehme und schmerzliche Empfindungen miteinander teilen, so soll kein Glied der Gemeine für sich allein sein und empfinden; sondern es soll eine so innige Gemeinschaft unter ihnen bestehen, dass durch alle hindurch einerlei Gefühl zu erkennen ist und dass eine Art Schwingung - wie bei einem Instrumente - durch alle hindurch fühlbar wird, namentlich soweit sie auch in einer äußeren Beziehung zueinander stehen. Trübsal und Kummer des einen sollte den andern allen nachgehen, und Freude und Erquickung des einen wiederum die andern alle freudig stimmen. Das Abgetrenntstehen voneinander, da jedes für sich seine Sache hat, ist nicht das vom HErrn Gewollte.
Dem entgegen hatte es sich bald in der christlichen Gemeine so gemacht, dass einer, wenn er recht fromm sein wollte, dies damit zu werden glaubte, dass er sich ganz abgesondert hielte. So machen's heute noch viele, die in einer besonderen Gemeinschaft mit Gott stehen und sich ganz fromm und andächtig bezeigen wollen. Sie haben ihre Sache nur für sich und schließen sich ein und halten sich verborgen, wollen alle Einflüsse von außen her von sich abwenden und verlieren allmählich alles Gefühl für ihre Mitwelt - sowohl in der Freude als im Leid. Schon darin sieht man das Verkehrte dieser Art von Andacht und Frömmigkeit: denn wo bleibt da die Bruderliebe? wo die allgemeine Liebe?
Auch sonst ist es gar häufig, dass jedes für sich seinen Heiland will, aber in der Gemeinschaft keinen Fuß hat. Da bleibt immer die Liebe zurück, namentlich die Liebe, die andern auch gerne ins Licht hinein helfen würde - und was ist alle Andacht ohne solche Liebe? Bei den meisten, die ernster sein wollen, muss es hierin besser werden, dass sie einen Zug zur Gemeinschaft der Kinder Gottes bekommen, dass sie sich mit allen freuen, mit allen leiden, sich für die andern zu opfern verstehen. Solches ist die echte, wahre Frömmigkeit. Ist sie doch so der Anfang dessen, was im Himmel werden soll, da alle zusammen eines sind in Gott dem Vater und Seinem Sohne Jesus Christus durch den Heiligen Geist.
Wollen wir's denn so machen! Wollen wir uns ineinander finden, unser Herz auch für andere schlagen, unser Gemüt auch für anderer Leid und Freude offen lassen und nicht immer selbstsüchtig nur in uns hineinsehen - dabei wir des Segens der Gemeinschaft mehr oder weniger verlustig gehen! Der größte Segen ist immer der, den man mit vielen gemein hat; und den wolle der HErr uns schenken nach Seiner Barmherzigkeit! (Christoph Blumhardt)
„So ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und so ein Glied herrlich gehalten wird, so freuen sich alle Glieder mit” sagt Paulus 1. Kor. 12,26. Er will damit offenbar Gegensätze einander gegenüberstellen. Und in der Tat, Leiden einerseits und Herrlichkeit und Freude andererseits sind schroffe Gegensätze. Aber, wie so oft in der Welt, die Gegensätze berühren sich. Bei einem flüchtigen Blick ins Neue Testament würden wir mit Leichtigkeit 20 Stellen oder mehr dafür finden, wie Freude und Leid auf wunderbare Weise beieinander wohnen und einander gegenseitig heiligen und verherrlichen. Wir wenden uns jedoch sogleich den beiden andern Gegensätzen, leiden und Herrlichkeit, zu. Denn, soviel die Schrift auch sonst von allerlei Segnungen redet, die aufs engste mit den Leiden verbunden sind, am meisten stellt sich doch Leiden und Herrlichkeit zusammen und zeigt das Leiden als den Vorboten, der unbedingt der Herrlichkeit vorangehen muss, ja der erst ihr Kommen ermöglicht.
Als der Herr Jesus nach seiner Taufe vom Satan in der Wüste versucht wurde, da bot ihm dieser eine Herrlichkeit ohne Leiden an, aber der zweite Adam begehrte diese Herrlichkeit nicht, er wusste, dass die Herrlichkeit, die die Schlange bietet, nur eine Scheinherrlichkeit ist. Damit zeigt er auch uns den Weg. Der erste Adam hat die von der Schlange ihm angebotene Herrlichkeit angenommen und musste inne werden, dass der vorweggenommenen Herrlichkeit die Leiden um so sicherer nachfolgten. Und seitdem haben wir gelernt, dass Herrlichkeit ohne Leiden Leiden ohne Herrlichkeit in ihrem Gefolge hat. Und so bleibt es denn für die, welche dem zweiten Adam angehören, bei der Regel, die Petrus angibt: Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu, nachdem ihr eine kleine Zeit gelitten habt, er selbst wird euch vollkommen machen, befestigen, kräftigen, gründen. Der Petrus, der einst seinen Meister vom Leidensweg hat zurückhalten wollen, hat es gelernt, dass Herrlichkeit und Leiden zusammengehören und dass die Leiden das erste sein müssen. So nennt er sich denn auch ganz bezeichnend 1. Petri 5,1 den „Zeugen der Leiden, die in Christo sind, und auch teilhaftig der Herrlichkeit, die offenbart werden soll.” Und Kap. 4,13 sagt er: „Insoweit ihr der Leiden des Christus teilhaftig seid, freuet euch, auf dass ihr auch in der Offenbarung seiner Herrlichkeit mit Frohlocken euch freuet.” Vgl. auch V. 14, wo er zum fünften Mal (wenn man 1,21 mitzählt) in seinem ersten Brief von der Herrlichkeit nach dem Leiden redet.
Der Grundsatz, von dem wir bisher schon sprachen, ist ein göttliches Grundgesetz, denn wir lesen Luk. 24,26 in Bezug auf den Herrn: „Musste nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?” Und in Bezug auf uns haben es nicht erst die Jünger ausgesprochen, dass wir durch viel Trübsal müssen in das Reich Gottes gehen, sondern der Herr selbst hat dieses Grundgesetz immer wieder verkündigt. Markus 10,37 lesen wir, dass die Söhne Zebedäi zu seiner Rechten und zu seiner Linken Jesu Herrlichkeit teilen wollten. Unverzüglich antwortet er ihnen mit der Frage, ob sie seinen Leidenskelch trinken und sich mit seiner Leidenstaufe taufen lassen wollen. Denen, die sein Kreuz ihm nachtragen, die alles um seinetwillen verlassen haben, die um seinetwillen in Trübsal überantwortet sind, verheißt er Lohn, Wiedererstattung und Gemeinschaft mit ihm, wenn er kommt in seiner Herrlichkeit. (Vgl. Matth. 16,25 mit 27; 19,27 mit 28 f. und 24,9 mit 30 f.)
Warum aber hat der Herr dieses unerbittliche Grundgesetz aufgestellt? Ihn, der an dem, das er litt, Gehorsam lernte (Ebr. 2,17), Jesum, sehen wir durchs Leiden des Todes gekrönt mit Preis und Herrlichkeit (Luther: Ehre). Denn es ziemte dem, um des willen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, der da viele Kinder hat zur Herrlichkeit geführt, dass er den Herzog ihrer Seligkeit durch Leiden vollkommen machte. Leiden ist das Mittel gewesen, durch das Jesus der Begründer unserer Errettung wurde, durch das er befähigt ist, heute in der Herrlichkeit seines Amtes für uns zu walten. Und unsere Leiden sind der Weg, auf dem er uns, die wir an ihn glauben, am besten zubereiten kann für die Zeit, in der die volle Frucht seiner Leiden an uns geoffenbart werden soll. Jetzt ist unser Weg ein Sterbensweg, und es gilt das Wort: „Ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott; wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werden wir auch offenbar werden mit ihm in der Herrlichkeit” (Kol. 3,3 ff.).
Wenn wir sagen, unsere Leiden sind Mittel zu unserer Verherrlichung, so denken wir dabei nicht nur an Leiden, die uns unmittelbar treffen, sondern, wie wir in einem früheren Aufsatz zeigten, an die Leiden, die nur mittelbar die unsrigen sind, indem wir die Leiden anderer mitleiden. Also auch das Mitleiden lohnt sich, es bereitet uns mit zu für die Herrlichkeit. Umgekehrt zeigt uns der Apostel, dass es ein Leiden gibt, das er erleidet, damit andere der Herrlichkeit teilhaftig werden. Er sagt nämlich 2. Tim. 2,9 f., dass er über dem Evangelium leide bis zu den Banden, und fährt dann fort, darum dulde ich alles um der Auserwählten willen, auf dass auch sie die Seligkeit erlangen in Christo Jesu mit ewiger Herrlichkeit. (Vergl. auch Eph. 3,13; Kol. 1,24-27; 2. Kor. 1,6.) Wie viele hat das schon getröstet, dass die Verfolgungen und Mühen, die Schmerzen, die sie im Blick auf den Herrn stille zu tragen hatten, für andere ein Segen waren und zu ihrer Vollendung beitrugen.
Aber das seligste und herrlichste an all unserem Tun und Leiden ist, dass unser Herr von seinen Jüngern sagt: „Ich bin in ihnen verherrlicht,” wie dies in vielen Stellen der Schrift gezeigt ist. Dadurch, dass er litt, hat er uns den Weg zur Herrlichkeit gebahnt, dadurch, dass wir ihm nach, mit ihm und für ihn leiden, dürfen wir zu seiner Verherrlichung etwas beitragen, dürfen verkündigen (1. Petri 2,9) die herrlichen Tugenden des, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Tugend (2. Petri 1,3) zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade (Eph. 1,6 und 12).
Lasst uns so auf unsere Leiden und Trübsale blicken, lasst uns daran denken, was Paulus sagt (2. Kor. 4,17): „Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet (wirket) ein ewiges Gewicht von Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.” Denken wir daran: „Sind wir Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, so wir anders mitleiden, auf dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.” Dann werden wir es auch lernen durch den Geist der Herrlichkeit, zu sagen wie Paulus: „Ich halte dafür, dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert sei, die an uns soll offenbaret werden” (Röm. 8,17 f.).
Wenn wir in einem früheren Artikel gezeigt haben, dass die Schrift uns die Leiden selten allein zeigt, sondern gewöhnlich zugleich den Segen nennt, den sie mitbringen, so hat uns dieses Kapitel wohl zum Bewusstsein gebracht, dass es umgekehrt für uns Menschen keine Herrlichkeit allein gibt, sondern dass die gesegnete Regel, das unerbittliche Gesetz, der heilige Weg heißt, wie bei unserem Herrn: „Leiden und die Herrlichkeit danach.”(Otto Schopf)