Matthäus 11,11
Andachten
Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei, denn Johannes, der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer, denn er.
Ein majestätisches Lob, daneben aber auch ein wunderbares Heruntersetzen. Johannes der Täufer steht nach Christi eigenem Ausspruch über allen Erdgebornen; seine Mutter konnte sich freuen, solch einen Sohn zu haben. Worin bestand die Größe des Täufers? Gewiss in nichts Anderm, als in seinem Bußernst. Er hatte die Welt abgeschüttelt, war in der Selbstverleugnung so weit gedrungen, dass er mit der gröbsten Kost und dem rauesten Gewand vorlieb nehmen konnte. Er hatte auch die Menschenfurcht abgeschüttelt; wer so predigt, dass das Wort wie ein Schwert durch die Seele fährt, der fürchtet auch keinen Herodes, keinen Kerker und keinen Henker mehr. Das Leben des Täufers war das unsträflichste vor Menschenaugen, und doch genügt solch ein Leben noch nicht zum Erringen der Seligkeit. Der kleinste im Himmelreich ist dennoch größer, als Johannes; der Herr sagt es. Nirgends wird schärfer geschieden zwischen Natur und Gnade, als in dieser Stelle. In Johannes verkörpert sich die Gesetzlichkeit oder der natürliche Gehorsam in seiner höchsten Potenz; der geringste Christ hingegen, sowie er gerechtfertigt worden ist durch den Glauben, steht höher, als Johannes. In dem Täufer zeigt uns die Schrift nur ihn; in dem geringsten Gnadenmenschen aber das Verdienst Christi. Auch Moses, auch Elias, auch der Täufer brauchte einen Heiland, denn vor Gott gilt nicht, was von uns ausgeht, sondern nur, was Christus für uns getan und uns beigelegt hat. Die frömmste Gesetzlichkeit ist vom Eigenwirken durchdrungen; wir sehen das nicht, aber Gott, der Augen hat wie Feuerflammen, sieht es. Johannes war bloß ein Wegweiser auf Christum hin; er zeugte von dem Licht, aber war nicht das Licht. Man kann fragen: Wenn aber Johannes auf Christum hinwies, warum ist er nicht auch sein Jünger geworden, um dann noch höher zu stehen? Die rechte Antwort ist wohl die: Er sollte eben für uns seinen typischen Charakter behalten, um die höchste menschliche Höhe uns zu versinnbildlichen und Christi Verdienst dann nur desto höher strahlen zu lassen, sowohl in Christo selbst, als in den Seinen. (Johann Friedrich Lobstein)