Psalm 130,,3
Andachten
So Du willst, HErr, Sünde zurechnen: HErr, wer wird bestehen?
Wenn ein Mensch aus der Tiefe zu dem HErrn ruft, wie im Anfang dieses Psalms gesagt wird, und ihm Gott bei einer innerlichen oder äußerlichen Not die Augen geöffnet hat, so erkennt er, dass wenn der HErr Sünde zurechnen will, Niemand vor Ihm, dem HErrn, bestehen könne. Er ist heilig, allwissend, und hat eine große Macht. Wenn Er Sünde zurechnet, so kann Er mit zeitlichem Unglück und mit der Hölle strafen. Wer kann alsdann vor Ihm bestehen? Niemand kann’s. Ein Jeder wird zu Schanden und muss vergehen.
Und doch gibt es blinde und stolze Leute genug, die mit ihren Sünden, deren sie wenige begangen zu haben meinen, vor Gott bestehen wollen. Weil sie gelind von sich denken, so meinen sie, Gott denke auch so von ihnen. Weil sie das Gesetz verkehrt auslegen, so meinen sie, Gott habe es auch in diesem leichten und seichten Sinn gegeben. Weil sie unter den Menschen Lob und Achtung genießen, so bilden sie sich ein, sie werden in Gottes Gericht auch gut durchkommen. Ihre Tugenden und gottesdienstlichen Übungen, welche doch nicht rechter Art sind, rechnen sie hoch an: ihre Vergehungen und Fehler aber halten sie für Kleinigkeiten; als ob sie das HErrn Sinn erkannt hätten, und wüssten, wie der große und heilige Gott sie und andere Menschen richten werde. Solche Leute werden bestürzt und zu Schanden werden, wenn sie am Tage der Heimsuchung und des Gerichts werden inne werden, dass Gottes Gedanken gar anders seien, als ihre Gedanken, dass Sein Gericht gar anders ausfalle, als sie sich eingebildet haben, dass vor Ihm ihre Spinnewebe nicht zu Kleidern, und ihr Gewirk nicht zur Decke tauge (Jes. 59,6.), dass ihr ganzes Tun, weil es nicht aus der rechten Quelle geflossen, verwerflich sei, und sie nach Seinem Urteil elend, arm, jämmerlich, blind und bloß seien. Was ist nun zu tun? Man rufe aus der Tiefe zum HErrn. Man bitte um Vergebung und Gnade. Wie aber? Wenn der Betende derselben nicht alsbald vergewissert wird? Alsdann soll er sagen: ich harre des HErrn, meine Seele harret, meine Seele wartet auf den HErrn von einer Morgenwache bis zur andern. Was hat er für einen Grund, zu harren und zu warten? Das Wort Gottes, weswegen er sagen soll: ich hoffe auf Sein Wort. Was soll er aber tun, wenn er Gnade erlangt hat? Er soll den HErrn fürchten, denn bei Ihm ist die Vergebung, dass man Ihn fürchte. Man fürchtet Ihn alsdann freilich nicht mehr so, wie ein Sklave, der ein böses Gewissen hat, seinen strengen HErrn fürchtet, sondern man fürchtet Ihn als einen Gott, bei dem viel Vergebung ist, und vor dessen Augen man Gnade und Friede gefunden hat. Man fürchtet Ihn aber, man verehrt Ihn, man ist Ihm untertänig, damit man Seine Gnade nicht wieder verscherze, und das Schicksal jenes Knechts nicht erfahre, dem zehntausend Pfunde geschenkt worden waren, und dem hernach diese ganze schon geschenkte Schuld wieder aufgerechnet wurde, weil er seinem Mitknecht nicht vergab. Dank und Lob sei also unserem Erlöser, dass Er uns den Zugang zur Gnade erworben, und den Weg zum ewigen Leben eröffnet hat. (Magnus Friedrich Roos)
So Du willst, HErr, Sünde zurechnen, HErr, wer will bestehen? Denn bei Dir ist die Vergebung.
Der HErr ist nicht wie ein Mensch, der nur dasjenige ansieht, was vor Augen ist: Er sieht das Herz an, in welchem viel Arges steckt, aus welchem viele böse Gedanken kommen, und viele böse Lüste aufsteigen, aus dessen Überfluss der Mund oft mit bösen Reden überläuft und welches die Quelle vieler bösen Werke ist. Er weiß, dass uns Seine Herrlichkeit oder Sein Ebenbild mangelt, und dass wir in den Pflichten, die wir Ihm leisten sollen, von der Kindheit an sehr Vieles schuldig bleiben. Er ist heilig, und hat sehr hohe Rechte an uns wegen der Schöpfung, wegen der Erlösung, und wegen der Taufe. Wer ist, der Seinen Rechten oder Forderungen eine Genüge geleistet hätte? Wer kann also bestehen, wenn Er Sünde zurechnen und nicht vergeben will; da Er Seiner Zurechnung mit Seiner strafenden Macht den Nachdruck geben kann? Niemand kann alsdann bestehen; sondern ein jeder Sünder muss in diesem Fall verstummen, vergehen, zu Schanden werden, und in die ewige Pein gehen. Was ist also zu tun? Nichts als dass der Sünder seine Schuld und Strafwürdigkeit bekenne und um Vergebung bitte. Und wohl uns, dass bei Gott Vergebung ist! Wohl uns, dass wir zu Ihm sagen dürfen: wo ist so ein Gott, wie Du bist, der die Sünde vergibt, und erlässt die Missetat den Übrigen Seines Erbteils; der Seinen Zorn nicht ewiglich behält; denn Er ist barmherzig! Mich. 7,18. Um diese Vergebung sollen alle diejenigen bitten, welche Seiner Güte froh werden wollen; und wenn sie hier derselben teilhaftig werden, so werden die großen Wasserfluten des göttlichen Zorns, wenn sie kommen, nicht an dieselben gelangen, Ps. 32,6. Von dieser Vergebung, welche bei Gott ist, zeugt das Wort Gottes reichlich, und deswegen sagte David Ps. 130,5.: ich harre des HErrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf Sein Wort. Wer also um Vergebung der Sünden bittet, soll seine Hoffnung oder Zuversicht auf das Wort Gottes setzen, welches uns nicht nur von der zum Vergeben geneigten Güte Gottes vergewissert, sondern auch (wie vornämlich in den Schriften des neuen Testaments geschieht) den Grund derselben entdeckt, welcher ist das Blut Jesu, das vergossen worden ist für Viele zur Vergebung der Sünde. Auf dieses Wort und auf andere evangelische Zeugnisse soll man sogar wider die Gedanken und Empfindungen des eigenen Herzens hoffen. Wenn das ungläubige Herz Nein sagt, das ist, wenn es ihm däucht, es sei bei Gott keine Vergebung, so sagt das Wort Gottes> Ja, und dieses Ja gilt mehr als jenes Nein. Ja, wenn der Satan mit lügenhaftem Einsprechen der Seele alle Hoffnung und alles Vertrauen nehmen will, so soll man sich besinnen, dass ein Wort Gottes vorhanden sei, welches mit wahren und freundlichen Worten bezeugt, dass bei Gott um des Fürsprechers Jesu willen Vergebung sei. So hoffe also meine Seele auf den HErrn, denn bei Ihm ist die Gnade, und die nun vollendete Erlösung kommt den Sündern, die mit Reue und Glauben zu Ihm kommen, zu Statten. (Magnus Friedrich Roos)
So Du willst Sünde zurechnen, HErr! wer wird bestehen?
Mit diesen Worten ist die ganze menschliche Natur durch den heiligen Geist angeklagt als ungerecht und verdammt; hier ist kein Mensch, kein Heiliger ausgenommen, denn die Worte sind hell und klar: Wer wird bestehen unter den Menschen vor Deinem Gericht? Niemand. Sie sind alle abgetreten. Vor Ihm ist niemand unschuldig. Alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid. Hier bedenkt nun die große Menge eurer Sünden, sollte sie Gott alle hervorbringen an das Licht, und uns unter die Augen stellen, und alle und jede Sünden an uns strafen, wie ein jeder Sünder verdient hat, wer würde das ertragen können? Wer würde vor dem Gräuel seines eigenen Herzens bestehen können, wenn er soll offenbar werden? Bedenke nun lieber Mensch vor wem du sündigst, wie Gott alle deine Sünden und Gedanken, deine Worte und Werke höre, sehe und merke! Bedenke doch, was du vor dem heiligen Gott für ein Gräuel sein musst! Bedenke auch, welch ein gnädiger, langmütiger Gott unser Gott fein muss, der nicht richtet, nach dem seine Augen sehen, nicht straft, nach dem seine Ohren hören. Barmherzig und gnädig ist der HErr, geduldig und von großer Güte.
Aus tiefer Not schrei ich zu Dir, HErr Gott, erhör mein Rufen, Dein gnädig Ohren kehr zu mir und meiner Bitt sie öffne. Denn so Du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, HErr, vor Dir bleiben? (Johann Arnd)
So du willst, Herr, Sünde zurechnen; Herr, wer wird bestehen?
Man hört oft sagen: Ich bin wohl ein Sünder, aber das sind wir ja Alle. Nichts ist abgedroschener in Vieler Mund, als der Spruch: Wir sind allzumal Sünder, und mangeln des Ruhms, den wir an Gott haben sollten. Wenn aber einmal das Schuldgefühl aufgewacht ist, und man sich selbst erkannt hat als den Mann des Todes, da spricht man nicht mehr so allgemein. An die Zurechnung Gottes glauben so wenige Menschen! sie sind mit ihren eigenen Sünden und mit ihrem eigenen Gott so bald fertig! Der Eine vergibt sich selber, ein anderer hat kaum etwas zu vergeben, ein Dritter lässt sich einige schöne Trostworte hersagen, die aber nicht Stich halten, ein Vierter hofft, die Sache werde von selbst schon anders werden und der Friede werde ihm über Nacht kommen. Man lasse aber die Sünde endlich einmal die Sünde werden, so wird man die Pfeile Gottes nicht mehr so leicht aus dem Gewissen bringen. Da wird die Zurechnung Gottes etwas Ernsteres und Persönlicheres, und erst wenn man die Folgen der Sünde an sich selbst erfahren hat, kann man auf die rechte Weise sagen: So du willst, Herr, Sünde zurechnen; Herr, wer wird bestehen? Das namenlose Elend, das die Sünde über die ganze Menschheit verbreitet hat, liegt hier dem Psalmisten auf der Seele. Ein tiefer, allgemeiner Druck lastet auf ihm; es ist, als ob er die allgemeine Missetat tragen müsste, er hat ja auch dazu beigetragen. Aber der Jammer ist zu groß, als dass Gott ihn nur so ansehen und ihn nicht wegheben sollte. David, um den Herrn mehr zum Mitleid zu bewegen, zeigt ihm alle seine Mitsünder, die ebenso leiden, wie er. Sollte es nicht eine Erlösung geben? Wo das Bedürfnis da ist, da ist auch schon ein Anfang von Glaube da; aus der Tiefe kommt man in die Höhe - wer sich als den vornehmsten Sünder erkannt hat, der wird auch die Gnade Gottes am herrlichsten an sich erfahren. (Friedrich Lobstein)