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Matthäus 26,45

Matthäus 26,45

Andachten

Siehe, die Stunde ist hier, dass des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird. Steht auf, lasst uns gehen; siehe, er ist da, der mich verrät.
Das Feuer nahender Fackeln warf sein unheimliches Licht unter die dunklen Ölbäume, wo Jesus mit dem Tode rang. Wir wissen, was das bedeutet. Während die Tugend schlief, hat die Bosheit Wache gehalten. „Die Stunde“ war gekommen, davon selbst ein Renan sagt, dass jede Minute derselben Jahrhunderte der Weltgeschichte aufwiege, die Stunde, wie nie eine Stunde war, da Jesus in der Sünder Hände fallen sollte.

Der König David hatte von dem furchtbaren Ernst der Gerichte Gottes schwere Erfahrung gemacht. Dennoch, als ihm die Wahl gelassen wurde, traf er den Entscheid: „Ich will lieber in Gottes, wie in der Menschen Hände fallen“. Wir verstehen das. Selbst Diejenigen, die statt des persönlichen Gottes nur Natur möchte kennen, werden zugeben, dass man sich diesen Naturmächten (z. B. dem Meeressturm) gegenüber wohl so ohnmächtig, wie ein im Weltall verwehtes Blättlein, vorkommen kann; aber erbittern können die Naturmächte nicht, denn sie haben keinen Willen. Erbittern können vollends die schwersten Trübsale, die wir als Boten Gottes erkennen, nicht, so lange wir nur wissen, dass Gott so heißt, weil Er der Gute ist. Von dem Heiligen in der Höhe erduldet man leichter das Leiden, ob's auch bitter ist. Da ahnt man doch, dass es nicht nur verdiente Züchtigung ist, sondern auch, dass es auf Leben und Heilung zielt. Aber von den Menschen, von den Geschöpfen, die nicht mehr sind wie auch wir, von ihnen willkürlich und boshaftig zertreten, misshandelt, hin- und hergestoßen, zu werden, ihren Launen und Listen Preis gegeben zu sein, das ist um so empörender, je feiner und reiner ein Mensch empfindet. Und nichts ist schwerer als in der Hand gottloser, wütender Menschen dennoch die gute Hand Gottes zu erkennen. De wer jemals nur einigermaßen den rohen Händen oder den giftigen Zungen willkürlicher Menschen schutzlos überlassen war, der weiß, wie es dann in unseren Adern kocht und wie jeder Blutstropfen dann nach Freiheit schreit.

Und nie war ein Mensch edler und freier und feinfühlender, als der heilige Menschensohn. Und dennoch, nie war ein Mensch so unbedingt den Händen der Sünder überlassen, wie dieser einzige sündenfreie Mensch. Ach, und was für Händen und was für Menschen! Sie waren entflammt durch den „Lügner und Mörder von Anfang“; sie waren von der Hölle entzündet. Es gab keinen Hohn und keine noch so ausgesuchte Büberei, davor sie zurückschreckten. Sie haben mit dem heiligen Leben Jesu gespielt, wie mit der Kappe eines Narren. Und dabei war er verlassen, innerlich und äußerlich verlassen, von seinen treuesten Freunden! Wahrlich, wir können diese Seite des Leidens Jesu nicht schwer genug schätzen. Wie belastet und wie arm Jesus auch immer gewesen war, er war doch im Besitz seiner Freiheit. Nun verlor er das Recht, über sich selbst zu bestimmen. Wie ein gebundenes Opfertier musste er nun gehen, wohin man Ihn schleppte, musste hilflos erdulden und tragen, was den schnödesten Menschen beliebte. Man denke das nur einmal recht durch, wie man Ihn überall herumgezerrt hat, ehe er todesmüde an dem Hügel Golgatha zusammenbrach! Und welche Misshandlung der Menschen hatte er nicht erlitten von dem Augenblick an, wo der weiche, heuchlerische Kuss des Judas seine Seele erbeben machte, bis dahin, da das letzte Spottwort das Herz des sterbenden Mannes durchbohrte! O, er war unter die Mörder gefallen, nicht nur leiblich, sondern noch mehr geistig. Komödie spielte Pilatus mit Ihm, zu einem Hofnarren erniedrigte ihn der ehebrecherische, lüsterne Herodes, der Landesvater Jesu; zu einer Vogelscheuche suchten die Kriegsknechte den Judenkönig zu stempeln. Überall empörender Spott mit Wort und Tat. Und nun gar dieser Prozess vor den Hohenpriestern Jehovas, vor den Sachwaltern des Reiches Gottes auf Erden! Unter dem heuchlerischen Schein des Rechtes, ja des Eifers um Gott, die schmählichste Ungerechtigkeit und der grimmigste Hass, die je auf Erden gefunden! Doch jeder möge selbst über das Alles nachdenken und bei jedem Punkt anbetend hinzufügen: „Du aber, mein Jesus, bliebst bis zum letzten Atemzug Derselbe, der Du immer warst; unerschüttert in Deinem Glauben und unerschüttert in Deiner Liebe und Dienelust gegen alle Menschen, ja gegen alle, Judas und Kaiphas nicht ausgenommen!“

Man erzählt, dass unsere Vorfahren, die heidnischen Deutschen, zornmütig an den Knauf ihres Schwertes griffen, als ihnen die angelsächsischen Missionare diese Mähren1) von der Marter Christi kündeten. Wir wissen auch, dass oftmals innerhalb der betörten „Christenheit“ das Blut der Juden stromweise vergossen worden ist, weil ihre Väter „Jesum, den großen Himmelskönig“, so schmählich gemordet hätten. Was konnte unsinniger sein wie solches Gebaren? Sollten doch in dem Leiden Christi gerade die finsteren Tiefen des Menschenherzens enthüllt werden! Sollte doch hier gerade offenbar werden, wohin das Menschenkind geraten muss, wenn es sich gegen die Zucht und Wahrheit und gegen die heiligen Wege Gottes sperrt in Fleischessinn und Eigenwillen! So lange haben wir das Bild des leidenden Christus nicht verstanden, so lange mir daran nur die „Schlechtigkeit der Welt“ studieren. Nein, dann erst geht uns über dem Kreuz ein helles Freudenlicht auf, wenn wir selbst vor uns selbst in Finsternis sinken und mit dem Weheruf zusammenbrechen: „Ach, meine Sünden haben Dich geschlagen!“ Nicht darfst du zunächst neben dem leidenden Jesus stehen in mitleidiger Rührung, mit liebender Sympathie, mit frommem Zorn gegen jene schnöden Frevler, - nein, du musst dich in den Reihen der Sünder finden, in deren Hände Jesus gefallen war. Täusche dich nicht über dich selbst! Für das „entzückende und bezaubernde Ideal“, das in Jesus enthüllt ist, zu schwärmen, das hilft dir nicht, falls du nicht in dir selbst erst das Gegenteil dieses Ideals und den Schrei nach Versöhnung und Neubelebung durch diesen „idealen Christus“ gefunden hast. Ganz gewiss, an der Frage: „Was dünkt dich von Christo, wessen Sohn ist er?“ - an dieser Frage kommst du gerade gegenüber dem Gekreuzigten nun und nimmer vorbei. Gott wecke in dir das rechte Verständnis, dass du erkennst, wie Jesus nur dein Vorbild sein kann, wenn er erst dein Retter wurde, wie aber auch Niemand ein Recht hat, Ihn seinen Heiland zu nennen, der nicht auch, nach aller seiner Kraft, Jesu Nachfolger sein möchte.

Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen,
Dass man so scharfes Urteil dir gesprochen?
Was ist die Schuld, in was für Missetaten
Bist du geraten?

Was ist doch wohl die Ursach solcher Plagen?
Ach, meine Sünden haben dich geschlagen!
Ich, o Herr Jesu, habe das verschuldet,
Was du erduldet. (Otto Funcke)


Da kam er zu seinen Jüngern, und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist hier, dass des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird. Stehet auf, lasset uns gehen; siehe, er ist da, der mich verrät.

Der Herr steht auf von seinem Gebet und kommt wieder zu seinen Jüngern. Wie es ein Niederwerfen des Angesichts vor Gott gibt, so gibt es auch ein Aufstehen vom Gebet und eine Rückkehr in die Tätigkeit. Ein Christ muss nicht dergestalt dem Gebet obliegen, dass er darüber die Liebes Pflichten, die er seinem Nächsten schuldig ist, verabsäume. Der Herr, als unser vollkommenstes Muster, hat nicht allein durch seine heilige Ordnung, die er im Gebet in Acht genommen, unsere Unordnung versöhnet, die wir dabei begehen, sondern uns auch ein Exempel gelassen, wie man beides, Gebet und Ausübung der Liebe, in rechter Ordnung treiben solle. Ein Engel hatte ihm während seines Betens vom Vater Stärkung gebracht. Dieser Stärkung bedürfen aber auch die Jünger in der schweren Stunde, die auch für sie nun schlägt, und der Herr wendet sich darum wieder an jene Drei und auch an die Andern. Haben wir im Gebet Gnade und Stärkung von Gott empfangen, so sollen wir auch solche unsern Nächsten mitgenießen lassen. Die innerlichen Prüfungen und Versuchungen müssen uns nicht mürrisch und unzugänglich machen, noch die Liebe auslöschen gegen schwächere Seelen, die uns oft viel zu schaffen geben. Bei dem nämlichen Zustand, in dem der Herr hier seine Jünger findet, bricht er in die Worte aus: Ach! wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist hier, dass des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird. Die Jünger waren ihrem Meister durchaus unnütz gewesen in seinem ganzen Seelenleiden; er hat auch von seinen besten Freunden müssen ohne Trost und Hilfe gelassen werden, um dadurch unser götzendienerisches Vertrauen, das wir in der Not auf Menschen setzen, zu büßen. Die Jünger sollen aufstehen, der Verräter naht mit seiner Schaar, jetzt geht der Kampf mit der Welt an. O wer doch immer zuerst, wie Jesus, vor Gott liegend, sich auf diesen Kampf vorbereitet hätte! Die Jünger haben schon viel Zeit verloren; wer doch immer wenigstens den Rest seiner Gnadenzeit recht auskaufte! (Friedrich Lobstein)

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nt/40/matthaeus_26_45.txt · Zuletzt geändert: von aj
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