Hohelied 4,16
Andachten
Stehe auf, Nordwind, und komm, Südwind, und wehe durch meinen Garten, dass seine Würze triefen. - Mein Freund komme in seinen Garten, und esse seiner edlen Früchte. - Ich komme, meine Schwester, liebe Braut! in meinen Garten.
Die wahre lebendige Kirche Christi, so wie jedes Glied derselben, jeder wahre Christ, ist ein Lustgarten Gottes, den Christus gepflanzt und fruchtbar gemacht hat, den er mit lebendigem Wasser des Geistes begießet, der verschlossen, umgeben mit göttlichem Schutze, dem innern Zustande nach unbekannt und verborgen ist den Leuten dieser Welt. Oft ruft die Seele: Komm, heiliger Geist! der bald wie der kalte Nordwind straft und züchtigt, bald wie der sanfte, milde Südwind erwärmt, erquickt und tröstet, dass seine Würze, Buße, Glaube und Liebe mit all ihren Früchten reichlich triefen. Ja, die Seele seufzet und flehet um die Gegenwart des Gärtners selbst, wenn sie ihn misst, und er kommt und besucht seinen Garten, ihr Herz, und segnet und pflegt ihn, wie es recht ist. Wie steht es doch in deinem Garten? Was findet dein Gärtner, wenn er kommt? Hast du ihn lieb? Wünschest du seinen Besuch? Wehet sein Wind durch deinen Garten? Triefen deine Würze? Kommst du dem Freunde, dem einzigen Gärtner in seiner Art, mit heiliger Sehnsucht, inniger Liebe, herzlichem Verlangen, ihm zu gefallen, entgegen? Öffnen und richten sich alle Blumen, alle Begierden deiner Seele, gegen ihn? Sieht er dieses in dir, o wie bald, wie oft wird er seinen Garten besuchen! Wie sorgfältig ihn pflegen! wie herrlich ihn halten! (Johannes Evangelista Gossner)
“Stehe auf, Nordwind, und komm, Südwind; und wehe durch meinen Garten, dass seine Würze triefen.“
Alles andre ist besser, als die tote Ruhe der Gleichgültigkeit. Unsere Seelen tun wohl und weise, dass sie sich sehnen nach dem Nordwind der Trübsal, wenn das allein dazu mag geheiligt werden, den angenehmen Duft unsrer Gnadentugenden hervorzulocken. So lange nicht muss gesagt werden: „Der Herr war nicht im Winde,“ dürfen wir nicht zusammenschrecken vor dem winterlichsten Frosthauch, der je über die Gewächse der Gnade hinfuhr. Hat sich die Braut in diesem Verse nicht demütig dem Tadel ihres Freundes unterworfen? Sie bittet Ihn einzig um seine Gnade. Ist sie nicht gleich uns über ihre unheilige Ruhe und tödliche Erstarrung so ganz und gar bestürzt, dass sie sich nach einer Heimsuchung innig sehnt, und danach seufzt, damit sie möge zur kräftigen Tat erweckt werden? Und doch verlangt sie auch nach dem erwärmenden Südwind des Trostes, nach dem lieblichen Lächeln der göttlichen Liebe, nach der Freude in der Gegenwart des Heilandes; denn dadurch werden wir oft mächtig aus dem Schlummerleben aufgerüttelt. Sie sehnt sich nach dem einen oder dem andern, oder nach beiden; nur dass sie möchte imstande sein, ihren Freund zu erfreuen mit der Würze ihres Gartens. Sie kann es nicht ertragen, dass sie soll müßig und untätig sein; auch wir können‘s nicht. Wie lieblich ist doch der Gedanke, dass der Herr Jesus ob unsern armseligen Gnadenblüten Wohlgefallen empfinden kann? Ist das möglich? O, es ist fast zu schön, um wahr zu sein. Ja, wir dürfen uns wohl nach Prüfungen der Trübsal, nach dem Tode selber sehnen, wenn uns das dazu helfen kann, unsers Immanuels Herz zu erheitern. Ach, dass unser Herz doch zu Staub zermalmt würde, wenn durch dies Zerschlagen unser geliebter Herr Jesus mag verherrlicht werden. Gnadengeschenke, die nicht verwendet werden, sind wie der liebliche Duft, der im Kelch der Blumen schlummert. Die Weisheit des großen Herrn und Meisters überwacht und leitet die verschiedensten, entgegengesetztesten Kräfte, damit sie zusammenwirken in dem einen erwünschten Ziel; Er lockt durch Trübsal und Trost die lieblichen Wohlgerüche des Glaubens, der Liebe, der Hoffnung, der Geduld, der Ergebung, der Freude und der andern herrlichen Blumen des Gartens hervor. Möchten wir aus eigener innerer Erfahrung wissen, was das bedeutet! (Charles Haddon Spurgeon)