Hebräer 2,18
Andachten
“Denn wiefern er gelitten hat als einer, der selbst versucht worden ist, kann er denen, die versucht werden, helfen.“
Viele unserer nächstliegenden Versuchungen, die aus unserem verdorbenen Fleischesleben stammen, hat Jesus nie gehabt, weil sein Sinnenleben rein war. Seine schwersten Versuchungen, die sich auf seine freiwillige Berufspflicht bezogen, werden wir nie durchkosten, weil wir für sie kein hinreichendes Verständnis haben. Mögen so Art, wie Grenzen der Versuchung (nach oben und nach unten), bei Jesus und uns ganz verschieden sein, so liegt in der bloßen Tatsache, dass er versuchlich war und alle Versuchungen glänzend abgeschlagen hat, für uns doch Trost und Hilfe genug. Wie nah ist er uns dadurch geworden! Wie versteht er unsere Schwachheit und wie viel Mitleid hat er mit uns! Jetzt wird es erst zur doppelten Verschuldung, wenn wir angesichts eines solchen Hilfsmittels dennoch fallen. Jetzt müssen wir doch, sobald uns die Gefährlichkeit einer Stunde zum Bewusstsein kommt, uns an seine nahe Hilfe wenden! Tun wir das, so strömt der Frieden seiner Nähe wie Öl auf die erregten Sinne oder Nerven, und die böse Spannung ist behoben. An ihm liegt's nicht, wenn seine Leute in einen Betrug der Sünde willigen.
Ja, Herr Jesus, du kannst uns helfen. Du willst uns helfen! Du streckst schon die Hand dem Sinkenden entgegen. Erbarme dich unser und halte selbst dein schwaches Kind. Erinnere mich an deine bewahrende Gnade und hilf mir hindurch, dass ich deinen Sieg erlebe und dir Dank sagen darf. Amen. (Samuel Keller)
“Denen, die versucht werden.“
Ist das nicht eine erschütternde Beschreibung von uns! Was ist bezeichnender für unsere Erdentage, als dass wir aus einer Versuchung in die andere geworfen werden. An einem Tage kann es eine ganze Reihe der verschiedensten geben: fleischliche, nervöse, feine, seelische, fromm dreinblickende, rein geistliche Warum das alles? Ächzt nicht mancher verzweifelt: „Wäre die Versuchung nicht gekommen, wäre ich noch rein!“ Aber sei doch gerecht: jedes Ding wird erst erkannt an seinem Gegensatz. Ohne Versuchung gäbe es keine sittliche Freiheit, keine Offenbarung des Guten, keine Bewahrung. Auch die geistlichen Muskeln können nicht anders gestärkt werden als durch Anspannung bis aufs äußerste. Wir sind ja außerdem nicht allein mit unseren Versuchungen: Jesus ist dazu versucht worden, damit er nicht nur für sich in ihnen allen ein Sieger bleibe, sondern damit er nun Mitleid mit uns haben und helfen könne denen, die versucht werden. Das ist doch eine der starken Bezeugungen seines Lebens und seiner Barmherzigkeit, dass er in jeder Versuchung bei uns steht und uns seine Hilfe anbietet. Wenn wir nur dann uns zu ihm flüchten, kann er dem Feuerpfeil der abgefeimtesten satanischen Versuchung die Spitze abbrechen.
Dann lass mich nie allein, Herr Jesu! Ich sehne mich nach deiner täglichen Bewahrung; ich traue mir nichts, dir alles zu. Hilf mir hindurch, bis alle Versuchung zu Ende ist. Amen. (Samuel Keller)
“Darinnen Er gelitten hat und versucht ist.“
Es ist ein gewohnter und geläufiger Gedanke und dennoch dem müden Herzen immer aufs neue süß wie Nektar, dass Jesus versucht wurde, gleichwie auch ich. Ihr habt diese Wahrheit oft vernommen; habt ihr sie euch auch angeeignet? Er wurde versucht in allen Sünden, in welche wir verstrickt werden. Darin dürfen wir den Herrn Jesus nicht von unsrer Menschheit losreißen. Es ist ein dunkles Tal, durch das wir hindurchschreiten müssen, aber der Herr Jesus ist uns vorangegangen. Es ist ein scharfer Streit, in dem wir stehen, aber Jesus hat demselben Feinde die Stirne geboten. Seien wir gutes Mutes, Christus hat die Last vor uns hergetragen, und die blutbesprengten Fußtritte des Königs der Herrlichkeit sind uns deutlich auf dem Wege sichtbar, auf dem wir zu dieser Stunde wandeln.
Aber es ist noch etwas Lieblicheres dabei: Jesus wurde versucht, aber Er sündigte nie. Dann, liebe Seele, ist es nicht nötig, dass du Sünde tust, denn Jesus war auch Mensch; und wenn ein Mensch diese Versuchungen zu bestehen hatte und nicht sündigte, dann mögen in seiner Kraft auch seine Glieder der Sünde widerstehen.
Manche Anfänger im Glaubensleben meinen, sie könnten nicht versucht werden, ohne zu sündigen; aber sie sind im Irrtum; in der Versuchung an sich ist keine Sünde, aber in der Nachgiebigkeit gegen die Versuchung ist die Sünde. Hierin liegt ein Trost für die, welche schweren Versuchungen unterworfen sind. Und es liegt eine noch größere Aufmunterung für sie in dem Gedanken, dass der Herr Jesus, ob Er gleich versucht wurde, herrlich triumphierte; und dass gleich wie Er überwunden hat, so auch seine Jünger überwinden sollen, weil der Herr Jesus als Mensch der Stellvertreter der Seinen ist. Das Haupt hat gesiegt, so haben die Glieder an seinem Siege teil. Wir brauchen uns nicht zu fürchten, denn Christus ist mit uns, zu unsrer Verteidigung gewaffnet. Unsre Burg ist die Brust des Herrn. Vielleicht werden wir jetzt versucht, dass wir uns näher zu Ihm flüchten. Wohl jedem Winde, der uns in den Hafen der Liebe unsres Heilandes treibt! Selige Wunden, die uns dem lieben Arzt in die Hände führen. Ihr Versuchten, kommt zu eurem versuchten Heiland, denn Ihn kann das Gefühl eurer Schwachheit rühren, und Er steht jedem Versuchten und Geprüften bei. (Charles Haddon Spurgeon)