1. Korinther 13,4
Andachten
“Die Liebe ist langmütig“
Uns fehlt es oft an dieser Langmut für ein ganz bestimmtes Verhältnis; andern gegenüber sind wir sehr langmütig. Aber diesem einen Menschen gegenüber, dem wir schon so oft gezeigt hatten, wie er uns mit seinem Fehler das Leben verbittert, scheint es uns, als wäre es wichtiger, er bekehrte sich zu unserer Ansicht, er änderte sich endlich, als dass wir noch länger mit ihm Geduld haben sollten. Vielleicht konserviert Gott jene Art so lange, bis wir gelernt haben, sie nicht nur mit heimlichem Ächzen zu tragen, sondern so viel langmütige Liebe bekommen haben, wie uns not tat. Wir bergen uns gern in Gottes Langmut; wann werden wir so viel von unseres Vaters Art uns angeeignet haben, dass der bittere Beigeschmack der Ungeduld aus unserer Liebe weicht. Kindern und Jünglingen sieht man den Mangel an Langmut leichter nach; erwachsene, reife Christen sollten keinen Anlass mehr zu dieser Ausstellung geben, und wenn sie selbst merken (wie ich), dass sie es doch getan, tut ihnen diese hässliche grüne Stelle am reifenden Halm überaus weh. Das kann einem einen gründlichen Bußtag bereiten, auch wenn Jubilate oder Kantate im Kalender steht.
Lieber Heiland, lass deine Langmut nicht nur meine Fehler tragen, sondern sie auch schlagen, ausmerzen, wegtreiben. Gib mir Gnade, dass ich auf diesen Punkt aus dem Seufzen über mich herauskomme in das Jauchzen über dich. Ich sehne mich nach deiner Art, deiner Liebe und Geduld. Amen. (Samuel Keller)