Johannes 5,6
Andachten
Da Jesus den Menschen liegen sah und vernahm, dass er so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: „Willst du gesund werden?“
Flüchte dich nicht vor dieser Frage Jesu. Viele flüchten sich vor ihr, obwohl man denken sollte, diese Frage bekomme ohne Schwanken und Bedenken ein lautes, starkes Ja zur Antwort. Ob ich gesund werden kann, das mag fraglich sein; dass ich es will, das steht fest. Allein diese Vermutung, so stark begründet sie in der natürlichen Schätzung des Lebens ist, trifft dennoch nicht zu. Ich möchte wohl, aber ich will nicht, das ist so oft die Antwort, die die Frage Jesu von uns bekommt. Denn es gibt keine Genesung ohne Selbstüberwindung, ohne Tapferkeit, die die Ketten unserer Gewöhnung zerbricht und unsere Lust bezwingt. Ist es nicht doch bequemer, den geschwächten Zustand zu ertragen, als gesund zu werden? Dieses feige, müde Verzagen vergeht in der Nähe Jesu. Bei ihm umweht uns der Geruch des Lebens, der zum Leben weckt. Er braucht für seinen Dienst eine gesunde Schar. Wie viele muss man fragen: Willst du denn krank werden? Du ziehst in die Großstadt, du verjubelst Nächte, du zerreibst im Übermaß der Arbeit deine Kraft. In der Nähe Jesu verlieren die Mächte, die uns in die Krankheit stoßen, der lockende Gewinn, die hetzende Lust, die knechtende Ehre, ihre unheilvolle Gewalt. In seinem Licht erkennen wir, dass das Leben mehr ist als der Genuss und der Mensch mehr als der Besitz. Jesus ruft uns zu sich, damit wir gesund werden und durch ihn und für ihn leben, und macht aus den Seinen die Streiterschar, die sich unserem Siechtum tapfer widersetzt. Im Verkehr mit unserer Jugend bekommt diese Frage ihren besonderen Ernst. Unser inneres und unser leibliches Leben ist eng verwachsen. Darum ist für unsere Jungen die Frage: wollt ihr gesund werden? Eins mit der Frage: wollt ihr fromm werden? Gesund im Denken, gesund im Wollen, gesund im Herzen, wollt ihr das werden? Allein wie feige beben wir zurück. Fass Mut und traue dem Herrn. Er spricht von der Gesundheit, weil er sie geben kann, mehr noch, weil er sie gibt. Geht aber die Frage Jesu nicht schließlich über das hinaus, was die Natur uns gewährt? Ist nicht alles natürliche Leben verletzt und krank? Einst aber wird sich die Verheißung erfüllen, die in dieser Frage verborgen ist. Einst werden wir gesund.
Herr Jesus, Du Tröster der Schwachen, der Du uns leiden lehrst, Du Heiland der Starken, der Du uns wirken lehrst, heile unsere zerstückelte Liebe, die bald nur für den Leib und bald nur für die Seele sorgt. So wird sie gelähmt und unfruchtbar. Deine Liebe dagegen ist mit der Wahrheit eins und ganz. An dem, was Du uns gibst, genesen wir. Amen. (Adolf Schlatter)