Matthäus 18,1
Andachten
Wir müssen lernen, heilig umzugehen mit den Unheiligkeiten andrer Brüder und Schwestern. Als Priester müssen wir ihre Fehler ins Heiligtum tragen zu Gott und nicht hinaus ins Lager zu dem Volk, wo dann gewöhnlich zu der einen Sünde noch viele hinzugemacht werden und viele dadurch verunreinigt werden (Hebr.: 12,14. 15). Ein Priester in Israel, der die Sünde seines Bruders hinausgetragen hätte ins Lager statt ins Heiligtum, wäre gesteinigt worden. Man hätte gesagt: „Er hat eine Todsünde begangen; er muss sterben!“
Wenn dein Bruder an dir sündigt, so sollst du nicht ihm gegenüber schweigen und es andern erzählen, sondern du sollst deinen Bruder strafen, und wenn er auf dich hört, so sollst du andern gegenüber von seinem Fehler schweigen (3. Mose 19, 16. 17). Und wenn du an deinem Bruder Fehler siehst und ein andrer sieht sie auch, so sollt ihr miteinander eins werden, für das Anstößige an deinem Bruder zu beten, sein Ärgernis sonst nirgends hinzutragen als ins Heiligtum, wo ihr um Erleichterung und Erlösung fleht für ihn. Denn so ist das Wort in erster Linie dem Zusammenhang nach zu verstehen: „Wenn zwei unter euch eins werden, um was irgend es ist, dass sie bitten, es soll ihnen gegeben werden.“ Bist du schon einmal auf diese Weise eins geworden mit deinem Bruder? Das ist priesterlich! Nach dem Gleichnis in diesem Kapitel kann man die Vergebung der Sünden nicht nur verlieren, sondern sie kann einem sogar wieder genommen werden, und zwar von Gott selber - wenn man unbarmherzig ist gegen die Fehler andrer. Dieser unbarmherzige Knecht hatte Vergebung von seinem Herrn für seine große Schuld; aber weil er unbarmherzig war gegen seinen Mitknecht, wurde ihm die Vergebung wieder genommen und die ganze Schuld wieder auf ihn gelegt. So kommen viele unter einen Druck, in Gefangenschaft - auch oft mit dem Leibe -, in Umdunklungen, und wissen nicht warum. Hier ist eine Antwort in diesem Kapitel.
- Weißt du, mit welchen Leuten Gott die Gemeinschaft aufhebt? Mit Leuten, die unversöhnlich sind! In Matth. 5, 24 sehen wir Leute, die vom Angesicht Gottes weggeschickt werden, zu denen Gott sagt: Geh fort! Wir können niemals die Gemeinschaft mit Gott genießen, wenn die Gemeinschaft mit unsern Brüdern durch Sünde gestört ist.
- Weißt du, wie man zur Wüste und Einöde wird? Wenn man Gewalttat übt an seinem Bruder! In Joel 3,19 lesen wir: „Ägypten wird zur Einöde und Edom zu einer Wüste werden wegen der Gewalttat an den Kindern Judas.“
- Weißt du, welche Leute die Schrift „Gottvergessene“ nennt? Wir wollen es lesen Psalm 50, 19-22: „Deinen Mund ließest du los zum Bösen, und Trug flocht deine Zunge. Du saßest aber, redetest wider deinen Bruder, wider den Sohn deiner Mutter stießest du Schmähungen aus. Solches hast du getan, und ich schwieg; du dachtest, ich se ganz wie du. Ich werde dich strafen und es dir vor Augen stellen. Merkt doch dieses, die ihr Gottes vergesset!“ Die Fehler eines Bruders in herzloser Weise andern erzählen, die gerade so herzlos sind wie wir, das ist „richten“ (Matth. 7, 1), und das bleibt nicht ohne Gericht.
- Weißt du, wie man gedeiht? Es steht Jesaja 58,6-9: „Lass ab, welche du mit Unrecht gebunden hast; lass ledig, welche du beschwerst; gib frei, welche du drängst; reiß weg allerlei Last. ..Alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird eilends wachsen. .. Dann wirst du rufen, und Jehova wird dir antworten; du wirst um Hilfe schreien, und er wird sagen ,Hier bin ich'! Und beständig wird Jehova dich leiten, und er wird deine Seele sättigen in der Dürre und deine Gebeine rüstig machen.“
Paulus ermahnt die Römer Kapitel 6, :13, dass sie ihre Glieder nicht der Sünde geben sollen zu „Waffen der Ungerechtigkeit“, sondern dass sie dieselben Gott darstellen sollen zu „Waffen der Gerechtigkeit“. Dein Auge, dein Ohr, deine Zunge sollen Waffen für Gott werden, durch die sein Reich der Gerechtigkeit auf Erden ausgebreitet wird, und nicht Waffen, die der Feind in seine Hand bekommt und sein Reich der Ungerechtigkeit und Verwirrung dadurch erweitert.
Wir sind Ja nicht Schuldner dem Fleisch (Röm. 8,12), d. h. wir müssen das, was auch bei unserm Bruder noch Fleisch ist, nicht nähren - aber tragen! Denn durch unsre Lieblosigkeit wird unser Bruder nicht gebessert, sondern kommt nur tiefer in sein eigenes Wesen hinein. (Georg Steinberger)
Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und sprachen: „Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“
Wie hoch stehen die Jünger über uns! Wir fragen nicht, wer der Größte im Himmelreich sei, wohl aber, wer wohl die meisten Millionen habe und wer in unserem Staatsbetrieb die mächtigste Hand habe und wer durch die Kraft seines Blicks und den Fleiß seiner Forschung der größte Denker sei. Davon reden unsere Zeitungen und dafür interessiert sich jedermann. Die Jünger fragten nicht nach solcher Größe, beschäftigten sich dagegen eifrig mit der Frage, wem Gottes alles vollendende Offenbarung die größte Größe gebe, wem er den Reichtum seiner Gnade in der herrlichsten Fülle gewähre, wem er in seinem Reich das weiteste Arbeitsfeld und den größten Machtbereich zuteile. Sie dachten nicht an die Größe, die der Mensch sich selbst erwerbe zu seiner eigenen Verherrlichung, sondern denken an das, was Gottes königliches Wirken aus uns Menschen machen wird. Gerade deshalb zerbrach ihnen Jesus ihre Frage ganz. Sie treibt sie dem Sturz entgegen. Wenn sie nicht von ihr lassen, geht ihnen nicht nur die Größe, sondern jeder Anteil am Himmelreich verloren. Für wen war nach der Meinung der Jünger Gottes Werk und Gnade da? Für wen soll sie da sein, wenn nicht für sie? Darum wurde es ihnen zum wichtigen Anliegen, wer von ihnen der am reichsten Begabte und am höchsten Gestellte sei. Ihr Verlangen streckte sich nach dem, was ihnen zuteil werden soll. Die eigensüchtige Wurzel ihrer Frage kam sofort dadurch ans Licht, dass an ihr zwischen ihnen ein Zank entstand. Weil jeder nach der größten Größe strebt, zersprengt diese Frage ihre Gemeinschaft. Damit zerstören die Jünger das, was Jesus ihnen gab; denn er hat sie zur Gemeinde vereint. Damals vergaßen die Jünger, dass sie bei Jesus beten gelernt hatten: Dein Name werde geheiligt. Das Himmelreich ist nicht deshalb gekommen, damit der Mensch groß werde, sondern damit Gott offenbar und sein Name geheiligt sei. Gottes Herrschaft geschieht freilich an uns und uns zugut und nimmt Sünde und Tod von uns weg uns zum Heil und gibt uns Gerechtigkeit und Leben uns zur Seligkeit, allein nicht dazu, damit Gottes Macht und Güte von uns erkannt und gepriesen sei. Wer von Jesus beten gelernt hat: Dein Name werde geheiligt, in dem ist die Frage nach der Größe tot.
Obwohl Dein Reich, Vater, bei uns ist, gelangen wir nicht zu ihm, weil der Schatten unserer Größe unsere Augen blendet. Gepriesen sei Deine Barmherzigkeit, die uns rettet und heilt. Mache mir Dein Wort, das unsere Größe zerbricht, zum heilenden Balsam, zum stärkenden Trank, zur Quelle der Kraft. Amen. (Adolf Schlatter)
Zu derselbigen Stunde traten die Jünger zu Jesu und sprachen: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch, es sei denn, dass ihr euch umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer sich nun selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.
Willst du ein Kind Gottes sein, so musst du demütig sein. Aber das ist noch nicht genug: du musst so demütig sein, dass du auch andern zum Vorbild kannst vorgestellt werden und nicht nur den offenbar eitlen und stolzen Weltkindern, sondern auch den Jüngern Christi selbst. Da ist es alsdann erst recht nach dem Wohlgefallen Gottes, wenn du dermaßen herabsteigst und dich also freimachst von deinen Einbildungen und vermeinten gerechten Ansprüchen, dass dir nicht nur niemand keinen falschen Schmuck ansehen, keinen bösen Schein vorwerfen kann, sondern dass du auch guten Seelen zu einem völligen Muster der Herzensdemut dienen kannst. Das ist kindlich, wenn einer ein Gelehrter heißt, und er weiß sogar nichts davon, dass er Gelehrten und Ungelehrten als ein demütiges Kind kann dargestellt werden. Das ist kindlich, wenn der Herr Jesus auf einen weisen und sagen kann: da steht einer von meinen Jüngern mitten unter euch, beseht ihn von allen Seiten, gebt Achtung auf all sein Tun und Lassen, seine Reden und Werke, sein Vornehmen, seine Absichten und Anschläge, ob ihr etwas nach eigener Ehre schmeckendes, ob ihr etwas anderes als lauter Demut an ihm finden werdet. Das ist kindlich, wenn der liebe Jesus einen aus einem Stande, der vor der Welt viele Vorzüge hat, herausnehmen und hinstellen kann nicht nur als einen Demütigen, sondern als einen solchen Demütigen, der allen seines Standes, und auch den Demütigen selbst in solchem Stande, zu einem Muster noch größerer Demut werden kann. Aber auch das ist noch nicht alles. Ich muss auch bereit sein, wenn es dem Herrn Jesu beliebt, eine Probe mit mir zu machen, mich von seinem Arme herabzusehen und in den Staub zu treten, mir meine Ehre auszuziehen und mich mit Schanden zu kleiden, dass ich mir solches auch gefallen lasse und mich nicht darüber als über eine Unbilligkeit beschwere, sondern mich dessen ganz würdig und nichts anders wert halte. Endlich, nachdem der Herr Jesus dieses Kind zu sich gerufen, es auf die Arme genommen und geherzt hatte, so ist es doch von allen diesen Liebkosungen nicht stolz geworden, sondern blieb in seiner einfältigen Demut. Und das ist ein kindlicher Sinn, der sich über nichts, auch nicht die allergrößte Ehre brüstet, oder über die allergrößte Gnade sich aufblähet. Wenn eine Seele auch im Geistlichen gleich dieses alles genießt, was diesem Kinde widerfahren ist, so hat sie sich dessen doch nicht zu überheben. O Gnade, Gnade demütigt! Hohe Gnade demütigt desto tiefer; besondere Gnade demütigt desto besonderer. Regt sich etwas anderes, meldet sich die geringste Selbstgefälligkeit, so muss man umwenden und ein Kind werden.
Kinder Gottes lassen auch mit sich anfangen, was Jesus will. Haben wir davon nicht ein schönes Vorbild an diesem Kinde? Es ließ sich von dem Ort, da es war, wegrufen an einen andern; es ließ sich etwa von seiner Eltern Arm auf Christi Arm hinnehmen; es ließ sich aufheben und herzen, aber auch wieder niedersehen und auf den Boden stellen. Dies ist absonderlich eine Art der Kinder Gottes. So ungelassen, eigensinnig und eigenwillig sie zuvor waren, wie gern sie ihrem Kopfe folgten, und Gott und Menschen nach ihrem Kopfe zwingen wollten, so gelassen, geschmeidig und gehorsam sind sie jetzt. Die Kindlein kennen den Vater und überlassen sich also gern der Regierung ihres Vaters und sind zufrieden, wie er's im Äußerlichen und Innerlichen mit ihnen mache, ob er sie an diesem oder einen andern Ort rufe, ob er sie aufhebe oder zu Boden stoße, ob er sie herze und erfreue oder verwunde und betrübe; sie können hoch sein und niedrig sein, satt sein und hungern.
Wie steht es um diese Lektion? Habt ihr auch etwas davon gelernt? Seid ihr nicht verwöhnte Kinder, die nur immer wollen auf den Händen getragen, in den Schoß gelegt und geherzt sein? Oder könnt ihr auch umsonst auf die Erde gesetzt werden? Habt ihr euch und all das eurige dem Regimente Gottes anheim gegeben, euren Willen in seinen Willen versenkt? Lasst ihr euch als unwürdige Kinder alles gefallen, was euer himmlischer Vater über euch verordnet? Es wird wohl noch schwach genug abgehen. Aber werdet auch hierin wie die Kinder! (Karl Heinrich Rieger.)