Meine Zunge müsse an meinem Gaumen kleben, wo ich deiner nicht gedenke; wo ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.
Eine Verstärkung des vorigen Schwurs. Nicht nur die Rechte müsse den Gefangenen Zions verdorren, sondern auch ihre Worte müssen ihnen im Munde ersterben, wenn Jerusalem aufhören sollte, ihre höchste Freude zu sein. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Hat man aber ein leeres Herz, so nehme man doch ja nicht den Mund voll; je schöner solch ein Mensch spräche, je hässlicher muss er sich selbst vorkommen; sein Gerede ist ja doch nur Heuchelei. Nichts Widrigeres, als ein christliches Salbadern, wenn es nur Worte sind, und in den Worten nicht die höchste Freude wogt. Aber auch wiederum nur wer die höchste Freude hat, ist im Stande, sich aller Orten zu freuen. Das freud- und friedlose Wesen so vieler Seelen kommt davon, dass sie noch nicht durchdrungen sind von dem Einen, was Not ist. Sie haschen noch zu sehr hin und her, aber der rechte Grund fehlt. In der höchsten Freude liegen alle Freuden; alle Freuden aber außerhalb der höchsten sind nur eine übertünchte Traurigkeit. Aber auch die höchste Freude kann oft wie unter Schutt und Asche liegen; es ist, als hätten jene Gefangenen Israels sie unter den Trümmern Jerusalems gelassen. Jedoch es scheint nur so. Die höchste Freude, der Herr selber sagt es, kann Niemand von uns nehmen. Sie geht mit ins Exil, mit ins Grab und mit vor den Richterstuhl Gottes. Jerusalem, das schöne, ist nur darum schön, weil der Herr selber darin wohnen und unser Licht und ewiger Preis sein will. Ist man von ihm erfüllt, da kann man auch von ihm reden, und die Zunge bleibt nicht an dem Gaumen kleben. Man kann wohl von der Sünde noch überrumpelt und von dem Schmerz oft noch hingerissen werden, aber der Sieg ist doch unser, denn der Überwinder ist unser. Soll auch von dem Bau dieser Welt kein Stein auf dem andern bleiben, die Welt gibt uns nichts und nimmt uns nichts; die Freude am Herrn ist unsere Stärke. (Friedrich Lobstein)