Psalm 1 - Auslegungen
Karl Heinrich Rieger
1. Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, da die Spötter sitzen: 2. Sondern hat Lust zum Gesetz des HErrn, und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht. 3. Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl. 4. Aber so sind die Gottlosen nicht; sondern wie Spreu, die der Wind verstreut. 5. Darum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht, noch die Sünder in der Gemeine der Gerechten. 6. Denn der HErr kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht.
Der 1. Psalm beschreibt den Weg der Gerechten und der Gottlosen, und das Wohl des Einen und das Weh des Andern.
1) Der Weg der Gerechten und ihr Wohl dabei wird gezeigt vom 1. bis zum 4. Vers, 2) der Weg der Gottlosen und ihr Weh dabei im 4. und 5. Vers, 3) können wir Beides kurz zusammenfassen nach dem 6. Vers. Was hat also ein Gerechter für einen Sinn an sich? Nach dem 1. Vers lehrt ihn zuvörderst die Furcht GOttes, das Böse meiden, es mag so heimlich als ein Rat, oder so gemein als ein Weg, oder so festgesetzt sein als ein Sitz. Nach dem 2. Vers hänget ein Gerechter aber auch dem Guten redlich an, und das mit Lust des Herzens am Gesetz des HErrn, und mit Bekenntnis des Mundes davon im Reden; ohne dies Anhangen am Guten bleibt man im Hass des Argen nicht fest. Sich mit Laufen zu dem Guten halten wollen, ohne innerliche Herzenslust an GOttes Gesetz, gäbe eine tändelhafte Liebe ab, die auch nicht Bestand hätte. Was hat also ein Gerechter von solchem Sinn zu genießen?
Nach dem 3. Vers Festigkeit wie ein Baum, Zufluss aus dem Worte GOttes zur Fruchtbarkeit in allem Guten, als gepflanzt an den Wasserbächen, gemäßes Zunehmen und daher kommende Brauchbarkeit, dass man seine Frucht bringt zu seiner Zeit. Was hat ein Gottloser an sich? Einen Rat und Vertrauen auf seine List; einen Weg und Trotz auf die Menge, die ihn gehen; einen Sitz, davon er sich nicht will treiben lassen. Was wird ihn aber treffen? Weil er aus dem Wort GOttes kein Gewicht der Wahrheit in sich hat, so wird er wie Spreu zerstreut. Weil es der Gottlose in seiner Spötterei so leicht genommen hat, so wird er erfahren müssen, wie unvermögend er ist, im Gericht zu stehen; weil er immer nur Sünden-Gemeinschaft gesucht hat, so wird er auch alsdann nicht bleiben in der Gemeinde der Gerechten, wann er es am meisten wünschte, auch mit anzukommen. Wie heftest du dir das im Herzen an? Mit diesen zwei Nägeln: Der HErr kennt den Weg der Gerechten; aber der Gottlosen Weg vergeht. O guter GOtt! mit welcher Langmut trägst Du unsere Trägheit. Wer steht bei Mitternacht auf, Dich zu loben, wer stellt bei Tag und Nacht Betrachtungen über Dein Wort an? Wie hält Manchen die Menschenfurcht, oder auch Menschengefälligkeit, auch wohl unzeitige Scham zurück, sich darüber heraus zu lassen, und wie Mancher lässt sich darüber heraus, ohne seines Herzens Lust daran zu haben.
„Es erfährts Niemand,“ ist der Rat der Gottlosen. „Es machts Jedermann so“, ist der Weg der Sünder. „Was bekümmere ich mich um Die, die anders sagen“, ist der Sitz der Spötter.
Auch bei Nacht geht immer etwas im menschlichen Gemüt vor, es sei Gutes oder Böses, das Gute aber, wenn es die Oberhand hat, bringt Frucht zu seiner Zeit. Hoffnung ist das eigentlichste, das ein Gerechter aus dem Geduld- und Trostwort der Schrift haben und behaupten soll. Offenb. 6,17. fragen die Gottlosen selbst in ihrem Schrecken: wer kann bestehen? Hingegen heißt der liebe Heiland Lukas 21,36. beten um Würdigkeit, zu stehen vor des Menschen Sohn. So lang man aber auf dem Weg ist, lässt sich Mancher dünken: er wolle bestehen, er sei so gut, als die, welche jetzt die Gerechten heißen, und sie haben auch ihre Fehler, wie er; aber es wird anders herauskommen. (Karl Heinrich Rieger)
Calvin, Jean
Inhaltsangabe: Es scheint, dass Esra oder ein anderer, der die Psalmen zu einem Buche vereinigte, diesen Psalm dem ganzen Werke als eine Art Vorrede vorangestellt hat, um dadurch alle Frommen zur Betrachtung des göttlichen Gesetzes zu ermahnen. Der Hauptinhalt des Psalms ist folgender: Diejenigen, die sich eifrig mit der Betrachtung der himmlischen Weisheit beschäftigen, sind glücklich, während die gemeinen Verächter Gottes endlich ein schreckliches Ende nehmen werden, wenn sie auch eine Zeitlang glücklich zu sein wähnen.
V. 1. Wohl dem, der nicht wandelt usw. Der Hauptgedanke ist, wie ich schon sagte, dass es den frommen Verehrern Gottes, die fortwährend bestrebt sind, durch das Gesetz Gottes sich fördern zu lassen, immer gut gehen wird. Diese Einfältigen werden von dem meisten verlacht, als ob sie sich vergeblich abmühten. Deshalb ist es für sie von Nutzen, wenn sie sich mit dem Schilde wappnen, dass alle Sterblichen ohne Gottes Segen unglücklich sind, da Gott nur den Schülern seiner Weisheit sich geneigt zeigt. – Die Welt ist von jeher so verderbt gewesen, dass die gewöhnliche Lebensweise der Menschen fast immer ein Abfall vom göttlichen Gesetze war. Deshalb beginnt der Prophet nicht damit, die Schüler des Gesetzes glücklich zu preisen, sondern er befiehlt ihnen zuerst, sich zu hüten, damit sie nicht von der allgemeinen Gottlosigkeit mit fortgerissen werden. Er brandmarkt die Bösen, indem er erklärt, dass keiner sein Herz der Betrachtung des göttlichen Gesetzes zuwenden könne, der sich nicht zuvor von der Gesellschaft der Gottlosen getrennt und abgesondert hat. Das ist eine nützliche Ermahnung; denn wir sehen ja, dass fast alle sich leichtsinnig in die Schlingen Satans stürzen und dass nur sehr wenige sich vor den Lockungen der Laster hüten. Wollen wir sicher gehen, so müssen wir immer im Auge behalten, dass die Welt voll verderblicher Versuchungen ist. Deswegen ist der erste Schritt auf dem rechten Wege, dass wir den Umgang mit den Gottlosen meiden, um nicht von ihrer Verderbtheit mit angesteckt zu werden. Da der Prophet den Frommen an erster Stelle befiehlt, sich vor den verderblichen Hindernissen zu hüten, so müssen auch wir diese Regel befolgen.
Die allgemeine Meinung und das allgemeine Urteil werden dem schwerlich zustimmen, dass diejenigen glücklich sind, die mit den Gottlosen nichts gemein haben. Alle trachten zwar von Natur danach, glücklich zu werden, dabei ergeben sie sich aber sorglos dem Dienst der Sünde. Und wenn sich jemand auch ganz durch seine Begierden treiben lässt und sehr weit von der Gerechtigkeit abgekommen ist, so wird er doch für glücklich gehalten, wenn er das erreicht hat, was er sich wünschte. Dem gegenüber lehrt der Prophet, dass keiner zu der Furcht Gottes und zur Verehrung Gottes recht erweckt werden könne, der nicht vorher zu der Überzeugung gelangte, dass alle Gottlosen unglücklich sind, und dass alle, die sich nicht von der Gemeinschaft mit ihnen ferngehalten haben, in ihren Untergang mit hineingezogen werden. Da es aber sehr schwer hält, die Gottlosen, mit denen wir ja zusammenleben, zu fliehen, so gebraucht der Prophet, um seiner Ermahnung einen stärkeren Nachdruck zu geben, eine Reihe von wiederholten Ausdrücken. Zuerst verbietet er, zu wandeln in ihrem Rat, dann zu stehen in ihrem Wege, und zuletzt, zu sitzen auf ihrem Sitze. Der Hauptgedanke ist, dass die Diener Gottes sich Mühe geben müssen, um sich mit Abscheu von ihren Sitten ganz fern zu halten. Da Satan schlau seine Schlingen legt, so zeigt der Prophet, damit keiner wegen seiner Sorglosigkeit gefangen werde, wie die Menschen meist allmählich vom rechten Wege abkommen. Sie werden nicht gleich anfangs stolze Verächter Gottes, sondern der Satan bringt sie, nachdem sie einmal angefangen haben, den bösen Ratschlägen Gehör zu geben, immer weiter, bis es bei ihnen zum offenbaren Abfall kommt. Deshalb beginnt der Prophet mit dem Rat. Darunter verstehe ich die Schlechtigkeit, die noch nicht offenbar geworden ist. Dann nennt er den Weg. Dieses Wort bezeichnet den Lebenswandel oder die Lebensweise. An dritter Stelle nennt er den Sitz. Damit bedient er sich eines Bildes: die Sünde hat sich gleichsam festgesetzt; so ist die Verstocktheit die Frucht der lange geübten bösen Sitte. Diesen drei Wörtern entsprechen die drei anderen: er wandelt, tritt, sitzt. Denn nachdem jemand aus eigenem Antriebe auf Irrwege geraten ist, weil er durch böse Begierden sich verleiten ließ, wird er berauscht durch die Gewöhnung an die Sünde, so dass er sich zuletzt ganz selbst vergisst und sich in der Schlechtigkeit verhärtet. Dieses nennt der Prophet: „er tritt auf den Weg der Sünder“, der ihm eine viel betretene Straße geworden ist. Darauf folgt dann die hoffnungslose Halsstarrigkeit oder Verstockung, von der es heißt, dass man in ihr festsitzt. Ob bei den Wörtern: Gottlose, Sünder, Spötter dieselbe Steigerung vorliegt, wage ich nicht zu entscheiden. Nur bei dem letzten Worte wird dies sicher der Fall sein. Denn „Spötter“ werden solche genannt, die aller Gottesfurcht sich entledigt haben und vor keiner Sünde zurückscheuen, weil sie glauben, ungestraft zu bleiben und die sorglos Gottes Gericht verspotten, als wenn nie ein Tag der Abrechnung käme. Da aber die Übeltäter oft mit besonderem Nachdruck „Sünder“ genannt werden, so passt dieser Ausdruck auch gut für solche, die einen offenbar schlechten Lebenswandel führen. Wenn es zur Zeit des Propheten für die Gottesfürchtigen nötig war, sich von der Gemeinschaft der Gottlosen zu trennen, wenn sie den rechten Weg wandeln wollten, so müssen wir heutzutage noch viel ängstlicher jede schädliche Gesellschaft meiden, da die Welt jetzt noch viel verderbter ist als damals. Doch befiehlt der Prophet den Gläubigen nicht nur, sich von den Gottlosen zurückzuziehen, um nicht von ihrer Verderbtheit angesteckt zu werden. Die Ermahnung erstreckt sich noch weiter. Es soll sich auch niemand selbst zur Gottlosigkeit verführen; denn es kommt auch vor, dass Menschen, die kein schlechtes Beispiel verleitet, doch den Bösen gleich werden, weil sie dieselben aus eigenem Antriebe nachahmen.
Der zweite Vers preist nicht, wie dies sonst wohl geschieht, einfach die Gottesfürchtigen glücklich, sondern beschreibt die Frömmigkeit als die eifrige Beschäftigung mit dem göttlichen Gesetze. Hieraus lernen wir, dass Gott nur dann recht verehrt wird, wenn man seinem Worte gehorsam ist. Daher kann ein jeder für sich nicht seine Religion nach seinem Gutdünken bilden, sondern die Regeln der Frömmigkeit sind dem Worte Gottes zu entnehmen. Denn ist hier auch nur vom Gesetz die Rede, so will dies doch nicht so verstanden sein, als ob die übrigen Teile der Schrift keine Bedeutung hätten; sondern da die ganze Schrift nur eine Ausführung des Gesetzes war, so steht dieser ihr Hauptteil hier für das Ganze. Der Prophet empfiehlt hier also das Gesetz mit seinem Zubehör. Sonst würde auch das nicht stimmen, was wir im Eingang gesagt haben, dass es seine Absicht sei, die Gläubigen auch zum Lesen der Psalmen zu ermahnen. Das erste Erfordernis beschreibt er mit dem Satze, dass der Fromme Lust zum Gesetz des Herrn hat. Aus diesen Worten lernen wir, dass Gott kein Gefallen hat an einem knechtischen und erzwungenen Dienst, sondern dass nur die allein die rechten Schüler des Gesetzes sind, die mit Freudigkeit an dasselbe herangehen und an der Belehrung durch das Gesetz solche Freude haben, dass es für sie nichts Besseres und Angenehmeres gibt, als hierin gefördert zu werden. Diese Liebe zum Gesetz treibt dazu, dass man über demselben Tag und Nacht sinnt, d. h. es fortwährend betrachtet. Menschen, die Gottes Gesetz recht lieb gewonnen haben, können gar nicht anders als sich gerne darin üben.
V. 3. Ein Gleichnis erläutert den vorhergehenden Gedanken und bestätigt ihn zugleich. Es wird uns gezeigt, wieso Menschen, die Gott fürchten, als glücklich gelten dürfen: sie genießen nicht eine nur zeitweilige, vergängliche und leere Freude, sondern ihr Glück ist beständig. Die Lebenskraft des Baumes, der an einen wasserreichen Ort gepflanzt ist, steht hier nämlich im Gegensatz zu dem vergänglichen äußeren Aussehen eines anderen Baumes, der wohl für eine kurze Zeit prächtig grünt, aber wegen der Unfruchtbarkeit des Bodens bald verdorrt. Allerdings wird die Kehrseite hier nicht so ausdrücklich beschrieben, wie wir sonst (Ps. 37, 35) erinnert werden, dass die Gottlosen bisweilen den Zedern Libanons gleichen. Sie sind so reich an Mitteln und Ehren, dass ihnen für den Augenblick nichts am Glücke fehlt. Doch wenn sie auch hoch und erhaben sind und ihre Zweige weit ausbreiten, so wird doch ihr ganzer Schmuck bald verwelken und vergehen, weil sie unter der Erde nicht gewurzelt sind und ihnen die Feuchtigkeit zur Saftbildung fehlt. Nur der Segen Gottes gewährt uns ein dauerndes Glück. Einige deuten das Gleichnis noch weiter aus: dass die Gläubigen ihre Früchte bringen zu ihrer Zeit, wolle besagen, dass sie durch ihre Weisheit den rechten Zeitpunkt erkennen, wann das Gute zu tun sei. Das ist aber nach meiner Ansicht ein spitzfindiger Gedanke, der dem Propheten fernliegt. Er will nur lehren, dass die Kinder Gottes immer blühen und durch die verborgene Gnade Gottes immer bewässert werden, so dass alles, was sie trifft, für sie eine Förderung zu ihrem Heile bedeutet, während die Gottlosen durch einen plötzlichen Sturm weggerafft oder durch eine übermäßige Hitze verzehrt werden. Dass aber der Fromme seine Früchte zu seiner Zeit bringt, deutet auf ein rechtes Ausreifen: mögen die Gottlosen auch vielleicht frühreife Früchte hervorbringen, so erzeugen sie doch nur Fehlgeburten.
V. 4. Der Psalmist hätte die Gottlosen mit einem Baume vergleichen können, der bald verdorrt, wie Jeremias (17, 6) sie mit einer Myrrhe in der Wüste vergleicht. Aber ein solcher Vergleich genügt ihm nicht. Er macht sie noch viel verächtlicher: denn er übergeht das kurze Glück, das sie für eine kurze Zeit übermütig macht, und berücksichtigt nur den Ausgang, den sie schließlich nehmen. Der Sinn ist mithin dieser: Wenn die Gottlosen jetzt auch glücklich sind, so werden sie doch bald der Spreu gleichen. Wenn Gott sie in Mange gesetzt haben wird, so wird er sie durch den Hauch seines Zornes überallhin zerstreuen. Durch diese Redeweise lehrt der heilige Geist uns das, was sonst unglaublich erscheinen könnte, mit den Augen des Glaubens zu betrachten. Denn wenn der Gottlose auch wie ein schlanker Baum hervorragt, so muss man doch überzeugt sein, dass er Spreu sein wird, sobald es Gott gefällt, ihn von seiner Höhe hernieder zu werfen.
V. 5. Im 5. Verse lehrt der Prophet, dass das Glück des Lebens auf einem guten Gewissen beruht. Deshalb ist es auch nicht zu verwundern, dass das Glück, von dem die Gottlosen geträumt, plötzlich zusammenbricht. Es ist dieses eine Art von Einräumung, durch die der Prophet stillschweigend eingesteht, dass die Gottlosen an sich selbst Gefallen haben und triumphieren, so lange in der Welt die Unordnung herrscht. Ebenso wie die Räuber ausgelassen sind, wenn sie in den Wäldern und Höhlen fern von den Augen des Richters sind. Diese Unordnung dauert aber nicht immer. Einmal, wenn alles wieder in den rechten Stand gesetzt ist, werden den Gottlosen ihre Ergötzungen ausgetrieben werden, und dann werden sie merken, dass sie nur berauscht waren, als sie sich für glücklich hielten. Wir sehen also, dass der Prophet die Gottlosen deshalb unglücklich nennt, weil das wahre Glück etwas Innerliches ist und in einem guten Gewissen besteht. Er leugnet nicht, dass ihnen alles glückt, bevor sie gerichtet werden, aber er behauptet, dass sie trotzdem nicht glücklich seien, weil ihr Glück nicht auf die feste und sichere Grundlage der Rechtschaffenheit gegründet ist. Die Gerechten bestehen die Prüfung, und dann wird es offenbar, dass ihre Rechtschaffenheit rein und lauter war. – Der Herr übt täglich sein Gericht aus, indem er die Gerechten von den Verworfenen scheidet. Da dieses aber nur teilweise geschieht, so müssen wir unsere Blicke höher erheben, wenn wir die Gemeinde der Gerechten, von der hier die Rede ist, sehen wollen. Der Gottlosen Glück beginnt allerdings schon jetzt zu vergehen, wenn der Herr ihnen die Vorboten seines Gerichts sendet; denn dann werden die Gottlosen aufgeweckt und müssen erkennen, dass sie von der Gemeinde der Gerechten abgeschnitten sind. Da dieses aber nicht immer und bei allen geschieht, so müssen wir mit Geduld auf den Tag des letzten Gerichts warten, wo Christus die Schafe von den Böcken scheiden wird. Doch müssen wir daran festhalten, dass alle Gottlosen unglücklich sind, weil das böse Gewissen sie quält und weil sie jedes Mal, wenn sie über ihr Leben Rechenschaft geben müssen, wie aus einem Schlafe erwachen und erkennen, dass es nur ein Traum war, als sie sich für glücklich hielten, und dass sie damals nicht recht bei Besinnung waren. Da hier der Zufall zu regieren scheint und es nicht leicht ist, bei dieser Unordnung das, was der Prophet sagt, zu erkennen, so weist er uns auf die feststehende Tatsache hin, dass Gott Richter ist auf Erden. Daraus folgt, dass es notwendig den Gerechten einst gut gehen muss, und dass den Gottlosen ein schreckliches Ende bevorsteht. Wenn den Verehrern Gottes ihre Reinheit dem Augenschein nach keinen Nutzen bringt, so müssen sie doch unter dem Schutze Gottes glücklich sein, weil es Gottes eigentliches Geschäft ist, sie zu beschützen und für ihr Heil zu sorgen. Es steht fest, dass er der Rächer aller Verbrechen ist, und wenn er sich auch für eine Zeitlang verborgen hält, so wird er doch einmal alle Gottlosen verderben. Deshalb müssen wir immer, wenn die Unordnung herrscht, an Gottes Vorsehung denken, durch die alles in der Welt wieder in die rechte Ordnung gebracht wird, damit wir uns nicht durch das Scheinglück der Gottlosen täuschen lassen.
Julius Diedrich
Der erste Psalm kann als eine kurze Einleitung zum ganzen Psalter gelten. Es wird die Glückseligkeit des Gerechten gepriesen, indem daneben der verlorene Zustand des Gottlosen geschildert wird. Gott richtet nach eines jeden Werken; Er ist es aber, der uns zur Gerechtigkeit führt, und, die an Seinem Worte treulich bleiben, zu ewigem Wohlergehen und Siege geleitet. Diese Treue des HErrn ist ja auch der Gegenstand aller Psalmen. Je treuer wir nun dem lauteren Worte Gottes anhangen, eine desto vollkommenere Erfüllung der Verheißungen Gottes werden wir auch schon durch unser ganzes Leben erfahren.
Es scheint als ob der zweite Psalm mit dem ersten in einer gewissen Verbindung stünde. Sie mögen beide wohl von David verfasst sein; doch ist das bloße Vermutung.
Glückselig der Mann, welcher nicht wandelt im Rate der Gottlosen, noch steht auf dem Wege der Sünder, noch auf der Bank der Spötter sitzt. Die Welt ist so verderbt, dass gottloser Rat, sündiger Weg und Spottgesellschaft, die Gottes Wort und Gemeinde bespöttelt, zur traurigen Regel geworden sind. Glückselig darum der, welcher zur Ausnahme gehört in Bezug auf den Rat seines Herzens, auf seine Lebensrichtung und auf seine Gemeinschaft. Die Welt fühlt sich wohl in ihrer Gesellschaft; aber Gott sagt: Selig, wer von ihrem Wohlsein nichts an sich hat. Man muss mit ihr weder wandeln, noch stehen, noch sitzen, denn all ihr Wesen ist verderbt.
Nun, was soll man aber in solcher Welt anfangen? Der Psalm sagt: Gott hat uns der beseligenden Beschäftigung genug gegeben. Fülle dein Leben mit dem Worte Gottes aus, dann wirst du seiner wahrhaft genießen. Der Glückselige lebt nicht mit der Welt, sondern am Gesetz des HErrn hat er seine Lust, und über Sein Gesetz sinnt er Tag und Nacht. Im Gesetz hat uns Gott Sein heiliges Wesen kund getan und zwar als solches, woran Er auch uns Menschen Teil nehmen lässt, wenn wir uns nur vom Ihm führen lassen. So lass dies Deine beständige Aufgabe sein, nach Gottes klarer Botschaft Dein inneres und äußeres Leben zu gestalten. Lass dir Gottes Weisheit recht innerlich schmecken, dann lebst du erst wahrhaftig und im Geist. Das gottlose Fleisch, auch an uns, hat freilich nicht Lust zu Gottes Wort, es sucht andern Zeitvertreib. Das bringt uns Leid, und so sollen wir wider das Fleisch leben.
Wie herrlich aber der Gottselige in Gottes Wort lebt, ist nicht genug zu beschreiben; Er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht gibt zu seiner Zeit und dessen Blatt nicht welkt und alles, was er tut, führt er wohl hinaus. Ihm fehlt nie Freudigkeit, Mut und Kraft, denn Gottes Wort reicht dies immer dem Herzen auch bei aller Anfechtung dar: so gedeiht sein ganzes Wesen und er hat auch immer den Sieg, wenngleich die Welt es nicht erfährt, weil die nur äußerliches und fleischliches Wohlergehen preist. Bei den Frommen geschieht Gottes Gnadenwille, bei ihnen ist Gottes heiliges Reich, so sind sie wohl gesichert. Nicht also die Bösen; sondern, wenn man sie mit göttlichen, geistlichen Augen ansieht, sind sie wie die Spreu, welche der Wind verweht. Da ist keine Wurzel, keines Bleibens, kein wahres Leben; sondern ein leichtes, flatterhaftes Wesen, einen Augenblick flattern sie lustig einher; aber bald sind sie hinweggerafft. Nur was in Gott wurzelt, hat wahres Leben und ewige Zukunft.
Darum werden nicht bestehen die Gottlosen im Gericht, noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten. Gottes Wort verspotten sie ja, Wurzel haben sie nicht und das tut sich darnach in erschreckender Weise kund, wenn die Gerichte Gottes in Not und Tod hereinbrechen. Dann verzweifeln sie und fahren zur Hölle.
Durch diese Gerichte aber wird Gottes Gemeinde von der Spreu gesäubert und zu ihrer Vollendung geführt. Gottes Gemeinde ist ihrem Wesen nach eine heilige. Wer sich nun nicht heiligen lassen will, der muss wohl früh oder spät aus ihr hinausgerissen werden. Denn der HErr kennt den Weg der Gerechten, dass es Sein Weg ist, dem sie nachwandeln durch Sein Wort, zu ihnen bekennt Er sich deshalb auch und stellt sie endlich in Herrlichkeit dar, aber der gottlosen Weg, all ihr Leben und Treiben vergeht, dass sie es so wahrlich nicht lange forttreiben können; Gottes allmächtiges, heiliges Wesen lässt es nicht zu. So bestimmt Gottes Wesen denn aller Menschen Geschick. Halte dich zu Gott in Seinem Worte, denn darin ist Er uns aufs Nächste gekommen, nimm in Demut die Züchtigung hin, welche dir wegen deines bösen, zu Gottes Wort unlustigen Fleisches auch noch kommen muss, und harre dann deines Gottes, der alle Bosheit der Welt und des Fleisches bald hinwegfegen wird, dass Seine Gemeinde sich ewig in lauterer Freude erhole.
Diese Gedanken sind fürwahr die Grundlage aller Psalmen, ja aller Offenbarung des heiligen Gottes in Seiner Gemeinde. Wer ihnen nicht von Herzen zustimmt, der ist gottlos, und wer ihnen erst in Demut und Beschämung zustimmt, der wird ihrer sich doch bald darnach auch freuen können, denn Gott macht uns auch rein durch Sein Wort, dass wir uns mit freuen können.
Gebet. Habe Dank, lieber HErr Gott, dass Du mit denen, welche auf Dein Wort trauen, Geduld haben willst. Indem Du unser Fleisch strafst, erquickst Du unsern Geist und gibst uns ewige Hoffnung. Heilige unser Sinnen, Reden und Handeln also, dass wir als zu Deiner Gemeinde gehörig offenbar werden: durch Jesum Christum. Amen.
Carl von Gerok
(1) Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, da die Spötter sitzen: (2) Sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn, und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht. (3) Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl. (4) Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, die der Wind verstreut. (5) Darum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht, noch die Sünder in der Gemeine der Gerechten. (6) Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht.
Luther sagt in seiner Vorrede zum Psalter: „Dass er wohl möchte eine kleine Biblia heißen, darin alles aufs schönste und kürzeste, so in der ganzen Biblia steht, gefasst ist und zu einem kleinen Handbuch gemacht und bereitet: dass mich dünkt, der heilige Geist habe selbst wollen die Mühe auf sich nehmen und eine kurze Bibel und Exempelbuch von der ganzen Christenheit oder allen Heiligen zusammenbringen, auf dass wer die ganze Biblia nicht lesen könnte, hätte hierin doch fast die ganze Bibel verfasst in ein kleines Büchlein.“
Was hier vom ganzen Psalmbuch gesagt ist, das kann man auch von diesem ersten Psalm sagen: Er ist eine Bibel im Kleinen. Denn wenn die ganze Bibel nichts anderes sein will, als ein Führer zum ewigen Leben, ein Wegweiser, der mit dem einen Arm warnend abwärts weist und uns sagt: Das ist die Straße, die zur Verdammnis abführt, und der mit dem anderen Arm mahnend aufwärts deutet: Das ist der schmale Pfad, der zum ewigen Leben führt, nun so ist ja dieser erste Psalm nichts anderes, als eine Anweisung zur Seligkeit, ein solcher Wegweiser, welcher uns warnt vor dem Wege der Gottlosen, der ins Verderben führt, und uns hinweist auf den Pfad der Frömmigkeit, der heute noch wie zu Davids und Abrahams Tagen zum Heil führt in Zeit und Ewigkeit.
„Seligkeit der Frommen, Unseligkeit der Gottlosen,“ lautet die Überschrift dieses Psalms in unserer deutschen Bibel. Es ist das ABC der Gottseligkeit, es sind die Anfangsgründe der Pflichtenlehre, welche dieser liebliche Lehrpsalm uns vorhält, Lehren, die wir schon unsern Kindern einprägen, und an die wir doch immer wieder gemahnt werden dürfen unter den Versuchungen der Welt, in den innern und äußeren Kämpfen des Christenlebens. Möchten wir auch in dieser Andachtsstunde aufs neue einen Eindruck bekommen von der Seligkeit der Frommen und der Unseligkeit der Gottlosen.
1.
Von der Seligkeit der Frommen handelt die erste Hälfte des Psalms Vers 1-3.
Vers 1. Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, da die Spötter sitzen. Hier ist der Fromme geschildert im Unterschied vom Gottlosen, von dem er sich ferne hält in Gedanken, Werken und Worten, wie die Taube sich fernhält von den Raben, wie die Mimose sich zusammenzieht vor der rauen Berührung. Er wandelt nicht im Rate der Gottlosen, d. h. schon vor bösen Gedanken, Absichten und Begierden hegt er eine kindliche Scheu, noch tritt er auf den Weg der Sünder, noch weniger als auf sündliche Gedanken lässt er sich auf böse Werke ein, lässt er sich auf Sündenpfaden und Lasterwegen betreten. Noch sitzt er, da die Spötter sitzen, er nimmt nicht teil an ihrer Unterhaltung, findet keinen Gefallen an ihren losen Reden, fühlt sich nicht wohl in ihrer Gesellschaft. Willst du den Weg des Lebens gehen, Kind Gottes, so halte dich ferne von den Gottlosen, mach dich weder ihrer Gedankensünden noch ihrer Tatsünden, noch ihrer Wortsünden teilhaftig. Halte dein Herz rein vom Rate der Gottlosen, denn aus dem Herzen gehen hervor arge Gedanken; was von bösen Gedanken und unlauteren Gelüsten in deiner Brust sich regt, das bekämpfe durch Gebet, das besiege durch den Geist Gottes, wie es in einem Liede heißt:
Hilf, dass ich züchtig, klug und treu
In Worten, Sinn und Werken sei,
Und alles was zur Sünde rät,
In mir besiege durch Gebet.
Halte deinen Fuß ferne von dem Wege der Sünder, meide die Schleichwege der Ungerechtigkeit, die schlüpfrigen Pfade der Sündenlust, die breite Straße des Weltsinns, und vergiss es nie:
Des Lasters Pfad ist anfangs zwar
Ein grüner Weg durch Auen;
Doch bringt sein Fortgang dir Gefahr,
Sein Ende Nacht und Grauen.
und wo die Versuchung lockt zu böser Tat, da sprich mit Josef: Wie sollte ich ein so groß übel tun und wider Gott sündigen?
Halte deinen Mund rein vom Gifte der Spötter; wo man spottet über das Heilige, wo man lacht über Gottes Wort, wo man lästert oder schandbare Reden führt, da tue nicht mit, da stimme nicht bei, da lache nicht drüber, da höre nicht einmal zu; meide die Gesellschaften, wo das Heilige bewitzelt, die Tugend bespöttelt, über Sünde gescherzt wird, sei's am feinen Teetisch oder auf der schmutzigen Bierbank oder im lärmenden Eisenbahnwagen, und wo du einmal wider Willen in einer solchen Spötterrotte sitzen musst, da zeig's durch dein unwilliges Schweigen, da zeig's auch durch ein mutiges Zeugnis, du seiest nicht ihres Geistes Kind.
Vielleicht du stopfst durch ein kurzes ernstes Wort so einem großmäuligen Spötter den Mund, oder du wirfst dem Spötter einen Stachel ins Gewissen, der ihm nachher noch zu schaffen macht, oder du befestigst wenigstens einen andern, der noch schwankt, im Guten, oder du hast doch deine Schuldigkeit getan und dein Gewissen gewahrt. Wohl dem, der nicht wandelt im Rate der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, da die Spötter sitzen.
Vers 2. Sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn, und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht. Siehe da den Frommen, wie er ist, mit dem Herzen, mit dem Munde, und dürfen wir hinzusehen, mit der Tat.
Er hat Lust am Gesetze des Herrn, er hat Freude an Gottes Wort, er geht in Gedanken gern um mit Gott und göttlichen Dingen. Daran kennt man ein Kind Gottes. Danach kannst du dein eigen Herz prüfen. Wo keine Lust ist an Gott und Gottes Wort, wo man Langeweile dabei fühlt, Widerwillen dagegen spürt, Angst davor hat, da ist kein Leben aus Gott. Wer aus Gott ist, der hat Lust an Gottes Gesetz. Seine Seele sehnt sich nach dem Umgang mit Gott. Sein Geist fühlt sich erhoben, sein Herz fühlt sich erquickt, sein innerer Mensch fühlt sich wohl in Gottes Haus, in Gottes Wort, in Gottes heiliger Nähe und über alle weltlichen Vergnügungen geht ihm das Vergnügen, von dem David sagt: Mein Leib und Seel freuen sich in dem lebendigen Gott. Diese Lust an Gott und seinem Gesetz, ich denke, meine Lieben, wir haben sie alle schon geschmeckt hier im Gotteshaus und daheim im Kämmerlein; ich denke, sie ist's, die uns auch heut am kalten Winterabend hier zusammengeführt hat im Gotteshaus. Denn es bleibt doch dabei: Das ist ein köstlich Ding, dir danken und lobsingen deinem Namen du Höchster, des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen. Es bleibt dabei, was wir heut im Evangelium aus dem Munde des Herrn vernommen haben und was wir noch besser wissen als David: Wer des Wassers trinken wird, das Jesus den Seinen gibt am Lebensbrunnen seines Evangeliums, den wird ewiglich nicht mehr dürsten.
Wer aber Gott im Herzen liebt, der bekennt ihn auch mit dem Mund und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht, redet gern von Gott und mit Gott. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Ich glaube, darum rede ich. Vor der Welt seinen Glauben bekennen, im Kreis der Freunde von Gottes Wort und des Christen Herzenserfahrungen reden; im Zwiegespräch des Gebets sein Herz vor Gott ausschütten, des Morgens zu ihm beten und des Abends sich ihm befehlen, sein Leid ihm klagen und in der Freude ihm danken, das ist eines Gotteskindes heilige Pflicht, herzliche Lust und köstliches Recht.
Dass dies Reden von Gottes Gesetz bei Tag und Nacht nicht so gemeint ist, als müsste ich Gott und sein Wort unaufhörlich im Munde führen, dass ein bloß frommes Geschwätz, bei dem man seine Arbeit versäumt und am Ende in leere Heuchelei sich hineinredet, nicht Sache einer lebendigen Frömmigkeit, eines gesunden Christentums ist, das wissen wir wohl als Jünger dessen, der da spricht: Es werden nicht alle, die zu mir Herr Herr sagen, ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Dass der wahrhaft Fromme Gottes Gesetz nicht nur im Herzen trägt und im Munde führt, sondern auch im Leben übt, das deutet auch unser Psalm im folgenden an. Die beiden ersten Verse haben das Wesen der Frömmigkeit gezeichnet, was der Fromme nicht ist und was er ist, der folgende schildert den Segen der Frömmigkeit, den sie dem Frommen selber und den sie andern bringt.
Vers 3. Der ist wie ein Baum gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blätter verwelken nicht und was er tut, das gerät wohl.
Ein liebliches Bild, zumal in dieser kalten Winterzeit, wo nur fahle Bäume ihre entlaubten Äste in die graue Luft hinausstrecken. Und ein noch lieblicheres Bild ist in einer Welt voll Ungerechtigkeit und geistlichen Todes ein lebendiger Christ. Ein Gottesmensch gleicht einem gesunden Baum, der fröhlich grünt und lustig wächst, weil er am Wasserbächlein steht, das mit seiner frischen Flut seine Wurzeln tränkt, so dass er beständig Saft und Kraft aus dem feuchten Boden zieht. Kennst du, o Christ, die Wasserbäche, daran du gepflanzt sein musst, damit deine Äste grünen, deine Früchte geraten? Sie fließen aus jenem Brunnen, von dem Jesus im heutigen Evangelium der Samariterin sagt. Das lebendige Wort Gottes, das seligmachende Evangelium Jesu Christi ist das silberhelle Wasserbächlein, in dem du deine Wurzeln netzen, aus dem du deine Lebenskraft ziehen musst. Wie die Säfte eines guten Bodens in die Wurzeln des Baumes und von den Wurzeln ins Mark und vom Mark in die Äste und Zweige, in die Blätter und Blüten und Früchte dringen, so werden die Lebenskräfte des Evangeliums, darin du mit deinem Glauben wurzelst, dein Fühlen und Denken, dein Wollen und Vollbringen, dein Tun und Lassen durchdringen und befruchten. Mag dann auch die Hitze der Anfechtung über den Baum kommen, seine Blätter welken nicht, denn er hat Wasser; mag der Sturm der Versuchung nahen, der Baum bricht nicht, denn er hat Wurzeln in gutem Boden. Das ist die innere Gesundheit, die unverwüstliche Lebenskraft eines Christen, der mit dem Apostel spricht: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? und ich vermag alles, durch den, der mich mächtig macht, Christus.
Und wie er in sich selber gesund und glücklich ist, so ist er auch andern zum Segen. „Er bringt seine Frucht zu seiner Zeit.“ Ein rechter Christ ist ein Segen für seine Umgebung. Er gleicht dem gastlichen Baum, unter dessen schattenden Zweigen sichs lieblich ruht in der Sonnenhitze, unter dessen schirmendes Blätterdach der Wanderer sich flüchtet im Regensturm, an dessen lieblichen Früchten sich alt und jung labt von Jahr zu Jahr. Seine löblichen Eigenschaften und christlichen Tugenden, seine Werke des Glaubens und der Liebe in Gott getan, das sind die Früchte, die er bringt zu seiner Zeit, von Jahr zu Jahr, ihm zum Schmuck, Gott zur Ehre, den Menschen zum Segen.
Und was er macht, das gerät wohl: Gottes Gnade ist der Sonnenschein über seinem Haupt, Gottes Segen darf er spüren beim äußerlichen Tagewerk wie inwendig bei der Arbeit an seiner Seele und auch im Trübsalswetter darf ers immer wieder erfahren: Seid fröhlich ihr Gerechten, der Herr hilft seinen Knechten.
Ist das nicht ein liebliches Los? Wer möchte nicht auch sein ein solcher Baum, gepflanzt an Wasserbächen? Wer möchte nicht bitten:
Mach in mir deinem Geiste Raum,
Dass ich dir werd' ein guter Baum,
Den deine Kräfte treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm,
Ich deines Gartens schöne Blum
Und Pflanze möge bleiben.
2.
Wie traurig dagegen das Los des Gottlosen, das uns geschildert wird in des Psalmes zweiter Hälfte.
Vers 4. Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, die der Wind verstreut. Mögen sie auch eine Zeitlang lustig sein und in Ehren stehen: Wenn der Wind der Trübsal weht, wenn der Sturm der göttlichen Gerichte kommt, dann fliegen sie davon wie Spreu, denn sie sind innerlich hohl und leer und nichtig. Das Ende eines Pharao, eines Saul, eines Absalom, eines Ahab, eines Belsazar, eines Herodes, eines reichen Mannes im Evangelium, das sind solche Freskobilder der Heiligen Schrift, solche warnende Exempel göttlicher Strafgerechtigkeit, an denen ein Kind es lernen und ein Blinder es sehen kann: Der Gottlose ist wie Spreu, die der Wind verstreut.
Vers 5. Darum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht, noch die Sünder in der Gemeine der Gerechten. Wenn auch hienieden die Gerichte Gottes oft verziehen, drüben wartet ein letztes Gericht, wo die Spreu vom Weizen wird geschieden werden; mag auch hienieden die Gemeinde noch gemischt sein, dass der Fromme schwer leidet unter seiner gottlosen Umgebung und der Frevler sich brüstet als gehörte er zu den Gesegneten des Herrn: dort bleibt der Sünder nicht in der Gemeine der Gerechten, wenn der Richterspruch ergeht an die einen: Kommt her, ihr Gesegneten des Herrn, und an die andern: Weicht von mir, ihr Übeltäter, ich habe euch nie erkannt.
Vers 6. Denn der Herr kennt den Weg des Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht. Ein Gott im Himmel, ein heiliger, dem gottlos Wesen nicht gefällt, ein allwissender, der die Seinen kennt, ein gerechter, der da recht richtet, er, meine Lieben, bleibt der Frommen Zuversicht in der Finsternis dieser Welt. Vor seinen Augen wollen auch wir wandeln, in seinen Geboten wollen auch wir bleiben. In seinem Hause sind wir hier ein Stündlein beisammen gewesen; in seinen Wegen wollen wir auch draußen gehen unser Leben lang, in seinem oberen Heiligtum wolle er uns einst versammeln in Ewigkeit.
O wie selig ist es, dir
Kindlich zu vertrauen!
Unerschüttert können wir
Auf dich Felsen bauen.
Herr! wir glauben in der Zeit,
Bis die sel‘ge Ewigkeit
Uns erhebt zum Schauen.
Amen.