Calvin, Jean - Das Buch Josua - Einleitung.

Calvin, Jean - Das Buch Josua - Einleitung.

Die Frage nach dem Verfasser dieses Buches bleibt am besten unentschieden. Die Ansicht, Josua müsse es geschrieben haben, weil die Überschrift seinen Namen trägt, stützt sich auf schwache Gründe. Denn auch mit Samuels Namen ist ein Buch der heiligen Schrift überschrieben worden, und doch erzählt es noch Ereignisse, die erst nach seinem Tode eintraten. Das Buch der Richter heißt auch nicht deshalb so, weil es von den Richtern zusammengeschrieben worden wäre, sondern weil es ihre Taten erzählt. Die Eroberung von Hebron und Debir, welche Josua 15 erzählt wird, ist erst nach Josuas Tode erfolgt. Höchstwahrscheinlich hat der oberste Priester Eleasar die Berichte über die Ereignisse zusammengestellt, aus denen dieses Buch entstand. Die einzelnen Teile desselben eigneten sich nicht nur zu mündlicher Belehrung der Zeitgenossen, sie sollten auch den Nachkommen bezeugen, was Gottes Gnade zur Errettung des Gottesvolkes getan hatte, und sollten dadurch wahre Gottesverehrung fördern. Solange die Leviten noch nicht entartet waren, kamen aus diesem Stamme die Schreiber, welche die wichtigsten Ereignisse in der Leitung des Volkes als bleibende Denkmale für alle Zeiten festlegen sollten. Wir wollten uns aber nicht scheuen, das, was wir nicht erfahren können, und was schließlich auch nicht so wichtig ist, unentschieden zu lassen. Doch muss das Wichtigste uns feststehen, dass die in unserem Buche enthaltenen Lehren von dem Geiste Gottes zu unserm Gebrauche eingegeben worden sind. Aus dieser Erkenntnis wird aufmerksamen Lesern wertvolle Frucht erwachsen.

Obgleich das Volk nach glänzenden Siegen in einer wohl geeigneten und ziemlich fruchtbaren Gegend wohnte, blieb doch Gottes Verheißung noch unerfüllt, soweit sie das Land Kanaan betraf. Das wichtigste Stück der Bundesverheißung war noch nicht in Erfüllung gegangen; es schien, als hätte Gott sein Volk in irgendeine einsame Ecke geworfen und sein Werk vor der Durchführung und Vollendung abgebrochen. Dieses Buch zeigt nun, wie Gott trotz der unerträglichen Bosheit, mit welcher das Volk die Durchführung der Befreiung hinderte, sein hartes Strafurteil so sehr gemildert hat, dass er dem Volke nichtsdestoweniger das versprochene Erbe, das Land Kanaan, endlich schenkte. Dabei beobachten wir, wie Gottes Treue nimmermehr wankt, mögen auch die Menschen mitten im Laufe vom Tode weggerafft werden. Als Mose starb, drohte eine traurige Umwälzung. Das Volk blieb zurück, wie ein Körper, dem das Haupt abgeschlagen ist. Bei der nun drohenden Gefahr der Zerstreuung offenbarte sich des unsterblichen Gottes Wahrheit: es offenbarte sich aber auch an Josuas Person wie in einem leuchtenden Spiegel, dass der Gott, welcher besonders begabte Werkzeuge wegrafft, auch andere als Ersatz bereithält. Auf bestimmte Zeit gibt er wohl einigen Männern eine besonders hervorragende Stellung; aber dann ist seine Allmacht keineswegs so fest an sie gebunden, dass er nicht Nachfolger fände, sobald es nötig wird. Ja sogar aus den Steinen könnte er Männer erwecken, die sich zur Ausführung gewaltiger Taten eigneten.

Der Eindruck, den der Durchzug durch das rote Meer gemacht hatte, war in vierzigjähriger Wüstenwanderung verwischt; die gleichartige Wundertat am Jordan, welche im Anfang des Buches berichtet wird (3, 1 ff.), bestätigte den beständigen Fortschritt der Befreiung. Die Erneuerung der Beschneidung (5, 2 ff.) galt so viel, als hätte Gott seinen durch schändliche Nachlässigkeit durchbrochenen Bund wieder aufs Neue aufgerichtet. Dann wird erzählt, wie die Kinder Israel durch Gottes Hand das verheißene Land in Besitz nehmen. Die Eroberung der ersten Stadt (6, 1 ff.) war ein Pfand für die unerschütterliche Kraft Gottes, auf die sie hoffen durften; denn Jerichos Mauern stürzten schon bei dem Schall der Posaunen von selbst zusammen. Dennoch wurden die Bewohner des Landes nicht etwa in einer Schlacht oder in einem kurzen Kriegszuge besiegt, sondern erst durch viele mühsame Kämpfe allmählich überwunden. Große Schwierigkeiten stellten sich dem Volke entgegen, denn die feindlichen Könige schlossen sich zusammen und zogen mit vereinten Kräften ihnen entgegen. So hatten sie nicht nur mit einzelnen Völkern zu kämpfen, sondern mit einer ungeheuren Menge, welche das Volk Israel in einen Ansturm hätten vernichten können. Doch alle diese heftigen Versuche prallten ab, da Gottes höhere Macht sichtbar wurde; alles musste nur dazu dienen, dass bei der Verteidigung seines auserwählten Volkes seine Barmherzigkeit und Treue umso heller erstrahlte. Die unaufhaltsamen glücklichen Fortschritte und die zahlreichen unglaublichen Siege zeigten deutlich, dass Gottes Hand gleichsam vom Himmel her ausgestreckt war. Ein besonderer Beweis für die göttliche Leitung dieser Kämpfe der Kinder Israel war es, als die Sonne auf Josuas Bitte hin im Laufe innehielt (10, 12 ff.), - gleich als hätten sich die Elemente zu ihrer Hilfe gerüstet und ihnen Gehorsam geleistet. Der langsame Erfolg der Kriegsführung war zwar eine nützliche Prüfung für die Beharrlichkeit des Volkes, doch wurde Gottes wunderbarer Ratschluss auch darin erfüllt. Schon früher hatte Mose die Kinder Israel gewarnt, sie sollten nicht überdrüssig werden und ermatten (5. Mo. 7, 22): Gott wolle die Völker nicht auf einmal ausrotten, damit nicht wilde Tiere in der verwüstete Gebiet eindrängen. So hatte der Herr aufs Beste für ihre zukünftige Sicherheit gesorgt; sie aber wandten seine Gnadenabsichten durch ihre Trägheit sich selbst zum Verderben. Denn als sie eben ein nach ihrer Meinung zu bequemem Wohnsitz ausreichendes Stück des Landes erobert hatten, waren sie zu feige, ihren Siegeslauf fortzusetzen, und wandten sich rückwärts (vgl. 13, 1 ff.).

Diese erste Übertretung zog andere nach sich. Denn anstatt ihren Kriegszug fortzusetzen, zeigten sie sich ihrem Gott gegenüber treulos und ungehorsam. Sie handelten wie feige Krieger, welche ihren Eid vergessen und ihre Fahne schmählich verlassen. Einen Teil des Landes hatten sie in Besitz genommen: nun verschmähten sie in frevelhafter Undankbarkeit die von Gott dargebotene Herrschaft über das Ganze. Gott hatte außerdem befohlen, das Land von aller Verunreinigung zu säubern, damit nichts übrig bleibe, was den reinen und gesetzmäßigen Gottesdienst entheiligen könnte; sie aber duldeten es, dass gottloser Aberglaube, welchen Gott verabscheute, sich breit machte. Auch wussten sie wohl, dass Gott nur in ihrem Interesse ihnen den Verkehr mit den Heidenvölkern verboten hatte, damit sie nicht in deren betrügerische und hinterlistige Künste verstrickt würden: sie aber gaben sich geradezu Mühe, diese Gefahr herbeizuführen, und schonten die Heiden, um so dem verderblichen Brande Nahrung zu geben. Ihr hartnäckiger Unglaube zeigt sich darin, dass sie sich sogar durch die angedrohte Strafe nicht schrecken ließen. Aber sie haben es endlich doch erfahren müssen, dass Gott nicht umsonst gedroht hatte, jene Völker würden Dornen und Stacheln für sie werden (4. Mo. 33, 55). Denn durch beständige Überfälle wurden sie geplagt, durch Raubzüge ausgeplündert und schließlich durch tyrannische Grausamkeit fast unterdrückt.

Dennoch blieb Gottes Wahrhaftigkeit unerschüttert. Hier erhebt sich aber noch eine Frage: Die Verheißung an Abraham gründet sich einzig und allein auf Gottes Wohlgefallen; ist es dann nicht töricht anzunehmen, sie sei durch die Schuld des Volkes, welcher Art sie auch gewesen sein mag, ins Wanken gebracht worden? Wie kann man es miteinander vereinigen, dass das Volk sein rechtmäßiges und zugesichertes Erbe nicht in Besitz genommen hat, und dass Gott dennoch der Wahrhaftige bleibt? Aber Gottes Treue ist keineswegs erschüttert oder irgendwie verletzt. Denn hier leuchtet klar hervor, welch großer Meister Gott ist, der in unerforschlicher Weisheit Licht aus der Finsternis hervorbrechen lassen wollte. Dem Abraham war verheißen worden (1. Mo. 15, 18): „Deinem Samen will ich dies Land geben von dem Wasser Ägyptens an bis an das große Wasser Euphrat“. Josua versichert, dass die Erfüllung bevorstehe, ja sogar schon da sei (21, 43 ff.). Wenn sie auch infolge ihrer Trägheit noch nicht bis zu jenen Grenzen vorgedrungen waren, so konnten sie doch durch diese selbstgewählte Beschränkung auf das enge Gebiet der Freigiebigkeit Gottes keinerlei Schranken setzen. Es schien zwar, als sollte Gottes Bund dadurch in Vergessenheit geraten, dass seine Verheißungen unerfüllt blieben. Ohne Zweifel haben fromme Herzen damals große Angst ausgestanden, als sie Gottes Werk so abgebrochen sahen. Aber der Herr hat des Volkes Freveltat so milde gestraft, dass diese große und gefährliche Versuchung sogar in ein Hilfsmittel für den Glauben umgewandelt wurde. Dadurch dass seine Verheißung nicht gleich ganz erfüllt wurde, hat Gott seine Kinder ermuntert, zu warten auf die Zeit größerer Herrlichkeit, da seine Gnade sich noch reicher offenbaren und nach Überwindung aller Schwierigkeiten völlig erstrahlen sollte. So wurden sie von hier aus auf Christum hingewiesen; denn es sollte bekannt werden, dass das völlige Glück des Gottesvolkes von diesem Haupte abhänge. Darin wurden sie durch neue Verheißungen bestärkt (Ps. 78 und 89). Denn was Josua hier aus dem alten Bunde anführt, bezieht der Psalmist auf das Reich des Messias. Auf jene Zeit hatte Gott den völligen Besitz des Landes hinausgeschoben, um dadurch das Reich seines Sohnes zu verherrlichen. Ein Vorbild dafür war David, der gleichsam Christi Stelle einnahm. Da wurde deutlich, dass Gotten Verheißungen nur durch die Hand des Mittlers in Erfüllung gehen können. Es ist demnach durchaus berechtigt, zu sagen: Gottes Wahrheit, welche durch des Volkes Bosheit aufgehalten worden war, konnte erst völlig in Erfüllung gehen, als das Gottesvolk in geordnete Verhältnisse gekommen war. In der Person Davids wurde dem Volk das Bild des Mittlers vor Augen gestellt, auf welchem das vollkommene Heil der Gemeinde beruht. Der unvollkommene Genuss göttlicher Gunst musste einstweilen genügen, um die Gläubigen aufrecht zu erhalten, bis sie vollkommen gesättigt werden sollten.

Die Verteilung des Landes (14, 1 ff.), welche Josua mit den Stammeshäuptern vornahm, war durchaus nicht zwecklos und hinfällig. Vielmehr wurde das Erbe, in dessen Besitz Gottes Hand sie gebracht hatte, nach seinem Befehl regelrecht verteilt. Auch darin zeigt sich die Unantastbarkeit des mit Abraham geschlossenen Bundes. Jakob hatte am Ende seines Lebens den einzelnen Söhnen bestimmte Wohnsitze zugewiesen. Wenn nun jeder Stamm nach Urteil und Entscheidung der Menschen seinen Anteil empfangen hätte, so hätte es den Anschein gehabt, als ob sie von der Autorität des Erzvaters sich hätten leiten lassen. Aber da das Los, welches doch am meisten dem Zufall ausgesetzt ist, die Voraussage bestätigte, wurde jene Verteilung durch den klaren Erfolg für gültig erklärt, als ob Gott selbst mitentschieden hätte.

Als nun des Volkes Gleichgültigkeit dem Kriege ein Ende bereitet hatte, sandte Josua die Stämme Ruben, Gad und die Hälfte des Stammes Manasse nach Hause, weil sie ihre Pflicht erfüllt hatten (22, 1 ff.). Dann (22, 10 ff.) folgt noch eine beachtenswerte Erzählung, welche zeigt, wie eifrig die im Lande Kanaan wohnenden Israeliten darauf bedacht waren, die rechte Verehrung Gottes zu schützen. Als nämlich jene zweieinhalb Stämme ein Denkmal brüderlicher Zusammengehörigkeit aufrichteten, meinten die anderen, dort werde ein Altar gebaut, um Opfer zu bringen. Das wäre ja ein Unrecht gewesen. Darum beschlossen sie, sofort Krieg anzufangen, und wollten lieber ihre Blutsverwandten umbringen als ihren Gottesdienst durch unrechtmäßigen Kultus zersplittern lassen. Zu loben war ihre Selbstbeherrschung; denn ebenso wie sie in heiligem Eifer plötzlich zu den Waffen griffen, ließen sie sich nach empfangener Entschuldigung auch leicht wieder beruhigen.

Der Schluss des Buches erzählt (23 u. 24), wie Josua sich bemühte, Gottes Ehre auszubreiten, und wie er eifrig versuchte, der Leichtfertigkeit und Treulosigkeit des Volkes entgegenzuarbeiten. Das war seine Absicht bei den eindringlichen Ermahnungen und Warnungen, vor allem aber bei der in feierlicher Form mit einem Eide beschworenen Erneuerung des Bundes.

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