Lukas 22,24
Andachten
Es erhob sich auch ein Zank unter ihnen, welcher unter ihnen sollte für den Größten gehalten werden. Er aber sprach zu ihnen: Die weltlichen Könige herrschen, und die Gewaltigen heißt man gnädige Herren: Ihr aber nicht also; sondern der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste, und der Vornehmste wie ein Diener.
Der Stolz hat so viele Grade! Der ärgste aber ist der Pfaffenstolz. Jeder der Apostel hatte Anlagen dazu, und hätte Jesus nicht seinen Jüngern gerade in der Demut das vollendete Beispiel gegeben, es hätte sich Jeder bald den Pantoffel küssen lassen, wie der Papst, oder sich vornehm gebärdet, wie ein englischer Erzbischof. Das arme, kleine Menschenherz, welch' eine Welt von Hochmut hat nicht Platz darin! Keine Sünde hat mehr Verzweigungen, als die Hoffart; man will etwas sein, und wie man etwas ist, tritt man schon dem Nächsten auf den Nacken. Jener Zank unter den Jüngern wegen einer geistigen Rangordnung, wie hat er sich seitdem in der Kirchengeschichte wiederholt und auch in unserem eigenen Herzen fortgepflanzt! Man braucht kein Kardinal, kein Konsistorialpräsident, kein Stadt- noch Landpfarrer zu sein, um in den Pfaffenstolz zu versinken. Der geistliche Hochmut ist überall dieselbe Wurzel, und jeder Streit über Rangordnung hat etwas Satanisches. Man sagt sich freilich: Ich bin in meinem Recht; aber der Herr wird unser Recht schon gelten lassen, wenn wir an sein Wort denken: Der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste, und der Vornehmste wie ein Diener. Die wahre Größe ist in der Selbsterniedrigung, denn dazu gehört Seelenstärke; zu dem Hochmut braucht es keine Anstrengung. Und welch' ein unendlicher Friede überströmt nicht das Herz, wenn man einmal einen rechten Sieg über sich selbst gewonnen hat! Man hat nichts verloren, sollte man auch in eine Ecke gestoßen worden sein, wenn der Herr uns Zeugnis gibt: Du hast endlich von mir gelernt sanftmütig und von Herzen demütig zu sein. Freilich muss die Demut von Herzen kommen; es gibt auch ein Kokettieren mit der Demut, und das ist oft der verstohlenste Hochmut. Die Schlange muss uns nicht mehr sagen können: Sieh', wie du fein demütig gewesen bist! So lange wir einen wohlgefälligen Blick auf unsere Demut werfen, sind wir noch keine rechten Jünger. Sie muss uns zur zweiten Natur geworden sein, dann denken wir nicht mehr daran und haben sie dann desto reiner und völliger. (Friedrich Lobstein)