1. Mose 47,8
Andachten
Pharao aber fragte Jakob: Wie alt bist du? Jakob sprach zu Pharao: Die Zeit meiner Wallfahrt ist hundert und dreißig Jahre; wenig und böse ist die Zeit meines Lebens und langt nicht an die Zeit meiner Väter in ihrer Wallfahrt.
Jakob beklagt sich nicht, dass die Zeit seiner Wallfahrt kürzer ist, als die der Väter; es ist ihm dadurch nur noch handgreiflicher geworden, was die Väter so noch nicht verstanden: Es ist nur eine Wallfahrt, eine Wallfahrt in der Fremde, wo die Sünde zu Haus ist: eine Wallfahrt, von der man drum nichts anderes erwarten kann, als dass sie böse ist; böse, wenn sie sehr beschwerlich und gefährlich und nächtlich dunkel wird, böse auch, wenn der Weg licht und lieblich wird, und die Blumen zu seiner Seite blühen, dann ist es doch nur ein Wallfahrtsweg durch ein fremdes Land voll Sünde es ist die Heimat nicht - es ist die Ruhe nicht es ist die wahrhaftige Freude nicht. Es sind Wallfahrtsstunden, die man oft beweint, wenn's auch noch so herrlich scheint.
Wenige unter uns haben die Hälfte der Jakobs-Wallfahrt zurückgelegt und doch viele werden einstimmen, wenn wir sagen: „Bedarf's für uns eines Lebenslaufs, so soll kurz und gut - statt vieler Worte und Redensarten Jakobs Lebenslauf der unsere sein.“ Viel anders könnten wir ihn auch nicht schreiben. Viel Trübsal war unser Teil: „Man hat mich oft gedrängt,“ spricht die Seele; manches Jahr habe ich umsonst gearbeitet mit viel verlorener Mühe; mancher Feind hat mich mit seinem Heer geängstigt, und die Frage: wo nehmen wir Brot her? kenne ich auch; und Schmerzen haben gewühlt in den Gebeinen, Schmerzen in der Seele, Schmerzen der schneidendsten Art es geht alles über mich, gerade über mich!“ Es sind sehr dunkle Stunden, wenn dir's so scheint. Wisse aber: es ist nicht so. Es geht der Lauf aller, die ins Reich Gottes eingehen, nicht anders. Es bleibt bei Jakobs Lied: „Wenig und böse ist die Zeit meiner Wallfahrt,“ für uns alle.
Und lass sein, wenn eins nur nicht fehlt in solchem Jakobs-Lebenslauf, das eine, der Kern, der ihm allein seinen Wert gibt: Hast du den neuen Namen empfangen? Bist du ein Kind der Gnade? Dann bist du auch keiner von denen, denen nichts leichter über die Zunge läuft, als solche rührende Klagelieder über die böse Zeit, und die doch dabei es sich recht bequem und genussreich einzurichten wissen auf Erden und im Grunde am tiefsten seufzen darüber, dass der bösen Zeit so wenig ist. Dann bist du vielmehr und wirst täglich mehr einer derer, die auch mit grauem Haar und trübsalsmüdem Geist tiefer wie je bekennen: „Ich bin zu geringe aller Barmherzigkeit meines Gottes,“ und doch zugleich in den Stunden der lieblichsten Erdenfreuden am tiefsten erkennen: „Es ist doch alles eitel, von der Sünde vergiftet und durchfressen, und darum böse die Zeit ja eine Zeit der Wallfahrt, denn wir sind noch nicht daheim. Dort wird man erst wissen, was Freuden sind, Freuden innerlich und äußerlich, auf die Freuden freu' ich mich!“ (Theobald Wunderling)