Matthäus 6,9
Andachten
Unser Vater, der Du bist im Himmel.
Der beste Anfang und Vorrede ist, dass man wisse, wie man nennen, ehren, handeln soll, den man bitten will, und wie man sich gegen Ihm erzeigen soll, dass man Ihn gnädig und geneigt mache zu hören. Nun ist kein Name unter allen Namen, der mehr geschickt mache uns gegen Gott, denn Vater. Das ist eine gar freundliche, süße, tiefe und herzliche Rede. Es wäre nicht so lieblich oder tröstlich, wenn wir sprachen: Herr, oder Gott, oder Richter. Denn der Name „Vater“, ist natürlich süße, deshalb er auch Gott am allerbesten gefallt, und uns zu hören Ihn am allermeisten bewegt. Desselbengleichen wir uns in demselben bekennen als Kinder Gottes, dadurch abermals wir Gott gar innerlich bewegen; denn nicht eine lieblichere Stimme ist, denn des Kindes zum Vater. Dazu hilft, dass wir sagen: Der Du bist in dem Himmel, welches sind Worte, damit wir unsere klägliche Not und Elend anzeigen und uns, zu bitten, und Gott, zu erbarmen, emsig bewegen. Denn wer anhebet zu bitten: Unser Vater, der Du bist in dem Himmel, und tut das mit Herzensgrund, de bekennt, dass er einen Vater hat, und desselben im Himmel; erkennt sich im Elend und verlassen auf Erden. Daraus denn folgen muss ein herzliches Sehnen, gleichwie einem Kind, das aus seines Vaters Land unter fremden Leuten im Elend und Jammer lebt, als spräche es: Ach, Vater, der Du bist im Himmel, ich, dein elend Kind, auf Erden im Elend, weit von Dir, in aller Gefährlichkeit, in Jammer und Not, unter den Teufeln und größten Feinden, und mancherlei Gefährlichkeiten, komme zu Dir. (Martin Luther)
Christus sah es als notwendig an, seinen Jüngern zu zeigen, was das allgemeine Anliegen ihrer Gebete sein soll und auf welche Art sie beten sollen. Nicht dass wir daran gebunden wären, nur diese anzuwenden, oder immer nur diese; aber es ist ohne Zweifel gut, diese zu beten. Dieses Gebet sagt mit wenigen Worten viel aus; und es wird ebenso gerne benutzt wie es mit Verständnis genutzt wird, und das ohne sinnlos wiederholt zu werden. Es sind sechs Anliegen; die ersten drei beziehen sich ausdrücklich auf Gott und seine Ehre, die letzten drei auf unsere eigenen Belange, sowohl zeitliche als auch geistliche.
Dieses Gebet lehrt uns zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit zu trachten und alles Andere wird uns zufallen. Nach den Dingen von Gottes Herrlichkeit, Königtum und Wille bitten wir um die Unterstützung, die wir brauchen und um Trost für das momentane Leben. Jedes Wort beinhaltet eine Lektion darin.
Wir bitten um Brot; dies lehrt uns Mäßigkeit und Enthaltsamkeit; und wir bitten nur um Brot; nicht um das, was wir nicht brauchen. Wir bitten um unser Brot; dies lehrt uns Ehrlichkeit und Fleiß: wir bitten weder um das Brot der anderen noch um Brot des Betruges (Sprüche 31,27), sondern um ehrlich erworbenes Brot. Wir bitten um unser tägliches Brot, was uns lehrt, dass wir immer von der göttlichen Versorgung abhängen. Wir bitten Gott, es uns zu geben; nicht, es uns zu verkaufen oder es uns auszuleihen, sondern es uns zu geben. Die mächtigsten Menschen müssen für die Gnade Gottes wegen des täglichen Brot dankbar sein. Wir beten, gib es uns. Dies lehrt uns, Erbarmen mit den Armen zu haben. Auch, dass wir mit unseren Familien beten sollten. Wir beten, dass Gott es uns heute geben möge; was uns lehrt, die Bedürfnisse unserer Seelen gegenüber Gott zu erneuern, so wie er unsere Leiber erneuern möchte. Wenn der Tag kommt, müssen wir zu unserem himmlischen Vater beten und der Meinung sein, dass wir ebenso einen Tag lang ohne Essen auskommen könnten, so wie man ohne Gebet auskommt. Wir werden gelehrt, die Sünde zu hassen und uns davor zu fürchten, wohingegen wir auf die Gnade hoffen, uns selbst misstrauen, auf die Voraussicht und Gnade Gottes vertrauen, um uns davor zu bewahren, vorbereitet zu sein, der Versuchung zu widerstehen, und niemandem zur Versuchung zu werden. Hierin liegt ein Versprechen, wenn Du vergibst, wird Dein himmlischer Vater Dir auch vergeben. Wir müssen vergeben, so wie wir hoffen, dass uns vergeben worden ist. Diejenigen, die sich wünschen, Gnade bei Gott zu finden, müssen ihren Geschwistern gegenüber Erbarmen zeigen. Christus kam als der große Friedensstifter, nicht nur um uns mit Gott sondern uns untereinander zu versöhnen. (Matthew Henry)
Dein Name werde geheiligt.
Kann ich noch weiter fahren und zu dieser Bitte noch andere hinzufügen? Spricht sie nicht alles aus, was ich begehre? Wenn ich Gott nennen kann und dies so, dass er mir als der Heilige erkennbar ist, so ist mir seine Erkenntnis gegeben. Damit bin ich in das Licht versetzt, das mein ganzes Leben bestrahlt. wenn ich diese Bitte bei allem, was ich tue, festhalte, ist meine Person, mein Wollen und mein Wirken geheiligt. Nun ist alles Gott untertan und meine ganze Arbeit, was immer sie sei, zum Gottesdienst gemacht. Aber Jesus fährt weiter und sammelt unser Verlangen nicht nur in diese eine Bitte. Denn der Name Gottes, der von uns geheiligt werden soll, soll für uns einen reichen, hellen Inhalt haben und nicht der Name eines unbekannten Gottes für uns bleiben. Ein unbekannter Gott wäre ein unwirksamer Gott. Was Gott an uns tut, das gibt ihm seinen Namen. An seinem Willen wird er uns offenbar und darnach, dass Gottes Werk an uns geschehe, soll ich verlangen und darum bitten. Je deutlicher sein Werk ihn offenbart und je reicher es uns begnadet, um so mehr leuchtet sein Name in herrlicher Heiligkeit. Er wird herrschen, indem er alles, was seinem Willen widersteht, beiseite tut und uns den Reichtum seiner allmächtigen Gnade zeigt. So macht er uns seinen Namen deutlich und zeigt uns seine Heiligkeit.
Nicht nur die Himmlischen wird er mit sich und miteinander vereinen, so dass bei ihnen nichts als sein Wille geschieht. Das tut er auch unserer armen erde und dann ist die dunkle Nacht unserer Unwissenheit, die uns Gottes Namen verhüllt, vergangen und alle Entheiligung, die sich gegen Ihn auflehnt, verschwunden. Gott schafft sich aber seine Anbeter nicht erst in der künftigen Welt; Jesus hat ihn uns, seiner Schar, geoffenbart. An uns handelt Gott als der, der uns das Leben gibt und was zum Leben gehört, als der, der uns die Schulden verzeiht, auch die, die die Unzulänglichkeit unseres Dienstes auf uns legt, als der, der uns schonend führt und uns nicht über unser Vermögen belastet und die Klagen des Verklägers, des Feindes seiner Gnade, zunichte macht. Nun hat sein Name seinen reichen Inhalt bekommen. Unser Vater ist der König, der in allem herrscht, der Vollender, der alles verklärt, unser Ernährer, Versöhner und Erlöser. Geheiligt sei sein Name.
Was ist der Mensch, Herr, heiliger Gott, dass Du ihn heimsuchst? Was bin ich, dass Du mir Deinen Namen in die Seele legst und Deine Werke sichtbar machst? Wir Menschenkinder können nur staunen, nur danken und anbeten. Du windest das Band um unsere Seele, das sie mit eigenem Glauben und eigener Liebe mit Dir vereint. Geheiligt werde Dein Name. Amen. (Adolf Schlatter)
“Darum sollt ihr also beten: Unser Vater in dem Himmel.“
Dies Gebet fängt damit an, womit jedes wahre Gebet anfangen muss, mit dem Geist der Kindschaft: „Unser Vater.“ Es ist kein Gebet wohlgefällig vor Gott, wenn wir nicht sagen können: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ Dieser kindliche Geist erfasst schnell die Größe des Vaters „in dem Himmel,“ und erhebt sich zu demütiger Anbetung: „Geheiligt werde Dein Name.“ Das Kind, das lispelt: „Abba, lieber Vater,“ wird zum gewaltigen Cherub, der da ruft: „Heilig, heilig, heilig!“ Es ist nur ein einziger Schritt von der entzückten Gottesanbetung zu dem feurigen Geist der bekehrenden Liebe, welcher stets unfehlbar aus der kindlichen Liebe und der ehrfurchtsvollen Anbetung hervorwächst! „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel.“ Darauf folgt der herzliche Ausdruck der Abhängigkeit von Gott und des Vertrauens auf Ihn: „Gib uns heute unser tägliches Brot.“ Werden wir weiter vom Heiligen Geist erleuchtet, so entdecken wir, dass wir nicht allein abhängig sind, sondern auch sündhaft; darum flehen wir um Gnade: „Vergib uns unsre Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Und wenn wir Vergebung empfangen haben, wenn uns die Gerechtigkeit Christi zugerechnet ist, wenn wir wissen, dass wir angenehm gemacht sind in dem Geliebten, dann bitten wir demütig um heilige Bewahrung: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Ein Mensch, dem in Wahrheit Vergebung zuteil geworden ist, lässt sich‘s angelegen sein, dass er nicht abermals sündige; der Besitz der Rechtfertigung führt zu einem ernstlichen Verlangen nach Heiligung. „Vergib uns unsre Schulden,“ das ist Rechtfertigung; „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel,“ das ist Heiligung, Förderung im Guten, wie Bewahrung vor dem Bösen. Als Endergebnis von dem allen folgt eine herrliche siegreiche Lobpreisung: „Dein ist das Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Wir freuen uns, dass unser König regiert in dem Reich der Vorsehung, und dass Er herrschen wird in Gnade von einem Meer bis an das andere, und vom Wasser bis an der Welt Ende, und seine Herrschaft wird kein Ende haben. So führt dieses kurze Vorbild des Gebets unsre Seele hinauf zur Gemeinschaft mit unserem königlichen Herrn. Herr, lehre uns beten! (Charles Haddon Spurgeon)
Vater unser, der Du bist in dem Himmel!
Schreib' es uns aufs Neue in die Herzen: seht, welch' eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder heißen sollen, und schenkt uns den Geist der Kindschaft, der da ruft: Abba, lieber Vater! Lass uns alle Tage froher und reicher werden im Besitz Deines Namens! Lass es uns in Freuden jauchzen und in Tränen rufen, lehr es die Kindlein stammeln und die Alten nicht vergessen, lass es der Witwen Trost und der Waisen Zuflucht, der Sünder Bußgebet und der Frommen Lobgesang, unser Bekenntnis im Leben und unseren Notruf im Leiden, unseren letzten Seufzer im Sterben und unser Jubellied sein, mit dem wir drüben erwachen: „Vater unser, Der Du bist in dem Himmel!“ (Karl Gerok.)
Alles darf ich Dir bekennen,
Darf im Sohn Dich Vater nennen,
Und Du blickst, wie Väter pflegen,
Mir voll Lieb' und Huld entgegen;
Hörst, was ich von Dir begehre,
Trocknest meines Jammers Zähre,
Gibst mir noch vor meinem Flehen
Über Bitten und Verstehen!
Amen.
Darum sollt ihr also beten: Unser Vater in dem Himmel.
'Vater unser, der du bist im Himmel„, so rufe ich aus, und Alles, was der Vatername Süßes und Tröstliches hat auf Erden, das lege ich in dieses Wort, und weiß, der Vater selbst hat mir durch seinen Sohn das Recht dazu gegeben. Einst, als auch der Sohn des Vaters Namen noch nicht gelehrt hatte, da rief ich: „Unendlicher, zu dem ich bete, ohne einen Namen für dich zu haben!“ Meine Seele zerfloss vor seiner Unendlichkeit, und ich rief: „Du König aller Könige und Herr aller Herren!“ Aber meine Seele zitterte, wenn sie an den Zepter der Gerechtigkeit dachte, den dieser König führt. Jetzt nenne ich ihn Vater, und des Herzens innerste Sehnsucht ruht aus in diesem Namen. Aber darf ich ihn auch Vater nennen, bin ich denn sein Kind! Es ist wahr, ich bin Geist von seinem Geist, und ich fühle das Wehen seines Odems in meiner Brust, und mein Herz schlägt hoch bei dem Gedanken; aber bin ich sein Kind, warum bin ich ihm nicht ähnlich? Gott ist Licht; bin ich, sein Kind, Licht? durch und durch licht und rein? O, mein Vater ist Licht, ich aber, sein Kind, bin Finsternis. O, ich trage den Ankläger in meiner Brust, der mir sagt: „Wohl bist du sein Kind, aber du bist sein verlorenes Kind!“ Und wie der verlorne Sohn im Gleichnis flehe ich und schlage an meine Brust und rufe: „Vater, ich bin nicht wert, dein Sohn zu heißen!“ O, es ist unbegreiflich, wie die Menschen so gedanken- und zweifellos zum Himmel rufen können: „Mein Vater!“ Der Mensch hat Gott noch nicht erkannt, der Mensch hat sich noch nicht erkannt, der den Vaternamen Gottes noch niemals mit Zweifel ausgesprochen hat, mit heiligem Zweifel, ob er ihn auch auf die Lippen nehmen darf. „Wie viele Christum angenommen haben“, so steht geschrieben, denen hat er die Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden.“ Der Evangelist spricht nicht vom Vaternamen Gottes als von etwas, das sich von selbst versteht; erst durch Christum erhalten wir die Macht, seine Kinder zu werden. So wird er denn auch erst in Christo unser Vater, und so kann denn schon gleich dieses crste Wort des Gebetes von keinem andern recht gebetet werden, als von einem wiedergeborenen Christen. Außer der Gemeinschaft mit Christo kann der Mensch den Vaternamen Gottes nur mit zweifelndem Herzen gebrauchen. Hat Christus nicht den Schuldbrief zerrissen, der wider mich zeugt, hat Christus nicht im Glauben den Geist der Kindschaft mir gegeben, kann ich mich nicht einhüllen in sein Verdienst, bin ich nicht geliebt im Sohn der Liebe, so habe ich auch keine Zuversicht, Gott meinen Vater nennen zu dürfen. Aber selig ist der Mensch, der im Glauben mit dem Apostel sagen kann: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum!“ Ja, wer das glaubt, der darf nicht mehr mit Zittern und Zagen, der kann mit fröhlicher Zuversicht beten: „Unser Vater im Himmel!“
Und so betet ihr es denn, ihr seligen Kinder Gottes, Tag für Tag, und mit jedem Tage betet ihr es mit tieferer Rührung. Ist dem aber also, so lasst mich noch eine Frage tun. Geht es euch denn wohl auch so, dass, wenn ihr getrost ruft: „Vater unser im Himmel“, und alle Lasten dabei von eurem Herzen fallen, sich euch dann auch die vielen Millionen unsterbliche Seelen vor Augen stellen, die diesen teuren Vaternamen noch nicht kennen? Ach, denke ich daran, so ist es mir, als ob ich ebenso viel geistige Waisen auf Erden wüsste, und es wird mir das Vaterunser selbst mit seinem ersten Ausruf ein großer Missionsruf, der allen Christen, die in diesem seligen Glauben vor Gott treten dürfen, zuruft: Ihr Kinder, die ihr einen Vater im Himmel habt, wollt ihr denn eurer verwaisten Brüder nicht gedenken? (August Tholuck)
Dein Name werde geheiligt.
Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, sie verkündigen seinen Namen in allen Landen. Die Sonne, das Heer der Sterne, die Erde selbst strahlt von der verborgenen Herrlichkeit Gottes wieder und rühmt seine große Güte. Und die Menschen gehen unter dem Himmel hin auf der Erde, die Gottes Hand so schön geschmückt hat, und sie sehen die leuchtenden Spuren nicht, die Gottes Hand so schön geschmückt hat, und sie hören den lauten Lobgesang nicht, der aus allen Gebieten der Schöpfung zu dem großen Schöpfer aufsteigt. - Der Sohn Gottes kommt vom Himmel hernieder; er geht für die Verlorenen in den Tod; er stiftet eine ewige, ganz vollkommene Erlösung für alle, für alle Menschen auf Erden; er sendet seine Boten mit dem Evangelio des Friedens hinaus in die friedlose, unruhige, unselige Welt. Und die Menschen gehen auf der Erde hin, die der Sohn Gottes betreten, auf der er gelitten, auf der er im Grabe geruhet hat, auf der er über Tod und Hölle gesiegt hat: sie gehen hin und sehen nichts von der Herrlichkeit des Sohnes Gottes; sie gehen hin und hören den Ruf des Herrn nicht, der im Evangelio gewaltiger, als die Stimme des Himmels und der Erde, erschallt und durch alle Lande dringt. Ist es da nicht nötig, den Vater zu bitten, dass er seinen Namen verherrlichen wolle, damit die Schläfer erwachen aus ihrem Todesschlafe?
Und wenn es mit denen, die den Namen Gottes kennen, an denen und in denen er verklärt ist, die des Herrn Herrlichkeit geschaut haben, dahin kommt, dass der Heiland mit dem Licht seiner Gnade wieder aus ihrem Leben weicht, weichen muss, weil sie von ihm gewichen sind, dann bleibt nichts anderes übrig, als tiefe, grauenvolle Finsternis. Wenn das Wort des Lebens nicht mehr in unsern Herzen, nicht mehr auf unsern Lippen ist, dann bleibt nichts übrig als der Tod, der ewige Tod. Wenn die Kräfte der Heiligung, die vom Herrn ausgehen, keine Stätte mehr finden, dann wird das tiefe Verderben des Menschenherzens in seiner ganzen Größe hervorbrechen müssen. So ist's geschehen bei vielen in unserer Zeit; und all das endlose Klagen und Murren und das ganze unaussprechliche Elend unserer Zeit hat diesen Grund. Soll es so bleiben? Und wenn es nicht so bleiben soll, und wenn der Abgrund des Verderbens uns nicht samt unsern Kindern verschlingen soll, so müssen wir wieder beten lernen, mit aller Inbrunst der Seele beten lernen: Vater, dein Name werde geheiligt! Vater, verkläre deinen Namen!
Die Zeit ist ernst, sehr ernst. Es ist nichts zu fürchten für das Reich Jesu Christi, die Pforten der Hölle werden es nicht überwältigen. Aber das ist zu fürchten, dass viele die seligen Güter dieses Reiches im Unglauben verlieren und Kinder der Finsternis werden, statt Kinder des Lichts, wozu sie berufen sind. Das ist zu fürchten, dass wir selbst lau und träge werden möchten im Dienste des Herrn, und dass er uns einst nicht als die Seinen anerkennen möchte. Und wer das fürchtet, der erhebe seine Hände betend gen Himmel und rufe im Namen Jesu: Vater, dein Name werde geheiligt! Vater, verkläre deinen Namen! Amen. (Ranke)
Darum sollt ihr also beten: Unser Vater in dem Himmel.
Vater, das ist das süßeste Wort, das wir vor Gott bringen können. Hinter ihm steht Jesus Christus, in welchem wir Gottes Kinder geworden sind. So ist „Vater“ ein Wort des Glaubens im vollsten Sinne. Es enthält eine Welt und einen Himmel voll Freude und Seligkeit. Dem Hungernden ist dieser Name Brot, dem Durstenden ein Labetrank, dem Kranken ein Balsam, dem Ratlosen ein Stern, dem Verzagten eine unüberwindliche Hilfe, dem armen Sünder ist er Gnade, dem Sterbenden das ewige Leben. Unser ist ein Wort der Liebe. Die wahre Liebe kann nicht anders, sie muss in der Mehrzahl reden. Sie fühlt sich ja mit dem Bruder aufs Innigste verbunden. Siehe dich ein Wenig um, wen du da Alle mit hineinschließt. Nimm mit vor das Angesicht des Herrn deine Familie, deine Gemeinde, dein Volk mit seinem Könige, deine ganze Kirche, die ganze Christenheit. Binde mit hinein alle angefochtenen Herzen, alle Armen, Witwen, Waisen, Kranken und Sterbenden.
Der du bist im Himmel ist ein Wort der Hoffnung. Wenn du sorgst um das tägliche Brot und Gesundheit, dann wohnt Gott im Himmel, und alle Elemente sind seine Knechte und Mägde. Wenn dir bange ist um die künftigen Zeiten, dann wohnt er im Himmel, in der Stätte des heiligen Regiments. Wenn sich dein Gewissen ängstet, dann siehe empor auf jene Berge um Zion. Dort droben thront dein Vater und dein Heiland.
Nun lieber Vater in dem Himmel, schenke uns die selige Kindesfreude an deinem Herzen. Baue die brüderliche Liebe. Lass uns heute und alle Tage, wo wir dies dein Gebet beten, unsere Glaubensgemeinschaft mit allen Erlösten fühlen. Stärke uns auch in der Zuversicht, dass deine Barmherzigkeit über uns waltet allewege. Das Alles wollest du uns geben um Jesu Christi, deines lieben Sohnes willen, in dem du unser lieber Vater bist. Amen. (Friedrich Ahlfeld)
Darum sollt ihr also beten: Unser Vater in dem Himmel. Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel. Unser täglich Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schulden, wie wir unsern Schuldigern vergeben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.
Das heilige Vater Unser tritt alle Tage als ein ernster Friedensbote in allen Streit und Zwiespalt des Lebens; vornehmlich aber an diesem Tage, am Tage des Herrn. Du sollst den Feiertag heiligen. Wodurch aber wird er wohl schlimmer entheiligt, als durch Unfrieden oder Lieblosigkeit? Darum hebt der Herr die fünfte Bitte des Vater Unsers noch besonders hervor. So oft wir diese Bitte aussprechen, muss aller Groll und Hader aus dem Herzen weichen, müssen die Wände sich wieder vereinigen in Friede und Vergebung. Wer dagegen sich wehrt, dem wird die fünfte Bitte zum Gericht. Wie kannst du zu Gott wohlgefällig beten mit einem unversöhnten Herzen? Wie kannst du erhörlich bitten: Herr, hab' Geduld mit mir, wenn du deinem Bruder gegenüber auf deinem Recht bestehst: Bezahle, was du mir schuldig bist. Vergebung empfangen im Glauben, Vergebung spenden in der Liebe das ist das ganze Christentum. Sind wir noch Christen? - Wir sollen Gott über Alles fürchten, lieben und vertrauen. Aber rechne zusammen alle Worte und Gedanken Eines Tages, ist das Gottesfurcht? rechne zusammen alles Sorgen und Grämen und alles Seufzen, wenn's uns nicht nach Wunsch geht, ist das Gottvertrauen? Er hat uns das Vater Unser gegeben und hat uns beten gelehrt: „Dein Wille geschehe.“ Aber gehen wir denn nun hin und tun wir, was Gott von uns will? „Unser täglich Brot gib uns heute.“ Aber gehen wir denn nun hin und sind zufrieden mit dem, was Gott von uns will? O Herr, habe Geduld mit uns. Vergib uns unsre Schuld. Gehe nicht ins Gericht mit uns. Sprich es auch in unser Gewissen: Dir ist vergeben; ich spreche dich los und frei; geh hin in Frieden. Und durch dein Erbarmen mach auch uns barmherzig. Amen. (Adolf Clemen)