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Johannes 12,27

Johannes 12,27

Andachten

Jetzt ist meine Seele erschüttert. Und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde.
(Grundtext.)
„Je mehr man die Menschen kennen lernt, desto mehr muss man sie verachten,“ so und ähnlich hört man oft sagen. Aber so sprechen nur die Pharisäer, die über der Erkenntnis der anderen Menschen die Erkenntnis des eigenen unliebenswürdigen Herzens versäumt haben. So viel ist freilich wahr, - wer die Menschen gründlich kennt, der ist vor Menschenvergötterung geschützt. Denn je genauer man sie ansieht, desto mehr findet man Selbstsucht, Schwäche, Unlauterkeit, unerwartete Untugend auch bei den Edelsten und Tugendhaftesten.

Grade umgekehrt ist es bei Jesu. Je schärfer und aufmerksamer wir seine innersten Herzensgedanken, seine tiefsten Seufzer, seine geheimsten Gefühls- und Willens-Regungen belauschen, (und, Ihm sei Preis, Er hat gesorgt, dass wir das können!) - umso lichter wird uns sein Bild, umso mehr entdecken wir, dass hier Alles heilig und hehr ist, umso mehr enthüllen sich uns hier Liebestiefen und Liebesabgründe, die wir besser anbeten als begreifen können.

Dies gilt auch insonderheit von der Stellung Jesu zu seiner Heiligen Passion. Er ist so barmherzig und holdselig gewesen, dass Er die Kämpfe und Ängste, die seine Seele bewegten, auch ausgesprochen hat. Er war nicht wie so mancher kalte Heros dieser Welt, der ängstlich besorgt ist, sich keine Blöße zu geben und keine Schwäche zu zeigen, und der sich dann innerlich verzehrt oder plötzlich in Verzweiflung zusammenbricht. Nein, Jesus war demütig genug, sein Grauen vor dem Leiden auszusprechen, uns zum starken Trost, auf dass wir in unseren Nöten wissen möchten: „Er versteht dich, Er ist nahe bei dir, Er kann Mitleiden mit dir haben und hilft dir“. Aber auch um seiner selbst willen spricht Er aus, was Ihn erschüttert, denn wer sich klar wird über seine Angst, Schwäche und Unklarheit, der ist schon auf dem Wege, davon erlöst zu werden.

Wer die Passionsgeschichte ohne Vorurteil liest, der muss sagen: „Ganz wie ein Mensch hat Jesus gefühlt, gekämpft, gelitten und überwunden, nur wie der reine, heilige Mensch, der überall Glauben gehalten und sich ohne Wanken, mit vollkommenem Gehorsam, dem Vater unterworfen hat, der überall, obgleich von der Menschheit mit Füßen getreten, die vollkommenste Liebe zur Menschheit bewahrt hat.“ (Ebr. 2,10.14; 4,6-8.) Dass Er durch Glauben und Gehorsam, durch fortwährendes Verzichten auf sich selbst, überwunden hat, das ist das Anbetungswürdige, das ist es, was deine und meine Seligkeit schafft, das ist es, was Ihn dir und mir zum Vorbild macht.

Höre nur, wie Er schon lange vor seinem Leiden, aus der Tiefe rufend, gleichsam nach Luft ringend, seufzt: „Wie bange ist mir, bis die Leidenstaufe vollendet werde!“ Und nun gar der Kampf in Gethsemane, wo Er, mit Blutschweiß bedeckt, auf seinem Angesicht im Staub liegt und einmal und wieder und zum dritten Mal beim Vater anfragt, ob es nicht möglich sei, dass der Kelch vorübergehe!

So nun auch hier. Eben hatte Jesus in hohem Tone jubiliert: „Jetzt ist die Stunde, dass des Menschen Sohn verklärt werde!“ (Joh. 12,23.) Die Griechen, die ihn sehnsuchtsvoll im Tempel suchten, erschienen ihm als Repräsentanten der heilsdurstigen Völkerwelt. Aber schnell schlägt seine Stimmung um; - denn auch Jesus kannte Stimmungen, Er ließ sie nur nie zu Verstimmungen werden! - schnell sank Er in tiefe Traurigkeit, als ihm vor die Seele trat, durch welche Schmerzensfluten Er noch hindurchschreiten müsse, ehe sein Licht den Nationen der Erde leuchten könne: „Jetzt ist meine Seele erschüttert! Und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde?“

Nicht wahr, hier, wie auch in Gethsemane, kam Jesus bis an die Grenze dessen, was dem Glauben erlaubt ist? Es will uns grauen, wenn wir denken, dass er diese Grenze überschritten: habe. Aber nein, es graut uns nicht, denn wir denken so nicht.

Nur zu früh haben wir erfahren, was für ein Ende alle diese Kämpfe genommen haben, ja die Meisten von uns sind wohl so gelehrt worden, als ob diese Anfechtungen selbstverständlich diesen Ausgang hätten nehmen müssen. Aber denke dir einmal, lieber Leser, einen Menschen, der einen heiligen Durst nach Gott, ein unendliches Verlangen nach Erlösung und Versöhnung in sich trüge, einen Menschen, der alle Weiten und Breiten der Erde durchforscht hätte, um einen Retter zu finden, und dem man sagen würde: „Höre, wir wollen dir von Einem erzählen, der wollte der Erlöser der Menschheit sein; ob er's aber gewesen ist, das sollst du selbst entscheiden“. Denke dir, wie man ihm das ganze Leben Jesu vor Augen gestellt hat, von der Krippe an, all' sein Reden, Lieben, Leiden, Wirken bis auf dieses Ereignis hier. Nun denke dir, in welche Spannung wird er kommen! Bis hierhin hat er durch jedes neue Wort, durch jeden neuen Bericht immer mehr die Überzeugung gewonnen: „Dieser ist's, dieser ist's allein, den muss ich haben, den suchte meine Seele und wusste es nicht!“ Und nun dies: „Meine Seele ist erschüttert! Was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde?“ Meinst du nicht, dass dieser Mensch - ich meine nicht die Millionen mitten in der Christenheit, die keine Träne darüber vergießen würden, wenn sich das ganze Evangelium von Jesu als ein Trug erwiesen hätte, - ich meine nicht die Unzähligen, die nur dürsten nach Gold, Genuss, Ehre und Lust dieser Erde, - nein, ich meine diesen Einen, der da dürstet nach Versöhnung, nach Einigung und Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott und der in Jesu den Versöhner und Mittler gefunden zu haben hoffte, - meinst du nicht, dass dieser Mensch bei diesem Bericht zusammenbrechen würde vor Angst und Entsetzen, und dass er endlich, wenn er wieder ein Wort finden könnte, zitternd und zagend fragen würde: „O, ich beschwöre euch, was hat Jesus weiter gesagt?“

Nun, was Er weiter gesagt hat, das wird uns zeigen, dass Er nicht im Glauben geschwankt, sondern nur dem tiefen Grauen seiner Natur Ausdruck gegeben hatte. Dass Er aber also hat klagen können, klagen, weinen, ringen müssen, um oben zu bleiben, - eben das soll dir Mut machen zu diesem Heiland, der da Fleisch ist von deinem Fleisch, und Bein von deinem Bein, und doch heilig und göttlich stark, dich mit seiner Allmachtshand aus allen Tiefen deines Jammers und deiner Sünde aufwärts zu führen, hin zu göttlicher Kindschaft und Ebenbildlichkeit, wenn du ihm nur willst - gehorsam sein.

Herr, lass dein bitter Leiden
Mich reizen für und für
Mit allem Ernst zu meiden
Die sündliche Begier;
Dass mir nie komme aus dem Sinn,
Wie viel es dich gekostet,
Dass ich erlöset bin. (Otto Funcke)

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