Lukas 11,27
Andachten
“Und es begab sich, da Er solches redete, erhob ein Weib die Stimme, und sprach zu Ihm: Selig ist der Leib, der Dich getragen hat, und die Brüste, die Du gesogen hast. Er aber sprach: Ja, selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“
Es hegen manche mit einer großen Vorliebe die Vorstellung, es müsse für Maria etwas ganz besonders Erhebendes und Seliges gewesen sein, zu wissen, sie sei die Mutter des Herrn, weil sie voraussetzen, sie habe das herrliche Vorrecht genossen, in das Innerste seines Herzens hineinzublicken in einer Weise, wie wir‘s nie hoffen und erwarten können. Es ist ein gewisser Schein von Wahrheit in dieser Voraussetzung, aber ohne triftigen Grund. Es ist uns nicht bekannt, dass Maria mehr gewusst hätte als andre; was sie wusste, das bewegte sie in ihrem Herzen; aber aus allem, was wir im Neuen Testament lesen, scheint nicht im geringsten hervorzugehen, dass sie eine tiefere Glaubenserkenntnis besessen habe, als die übrigen Jünger Christi. Alles, was sie wusste, können wir ebenso gut erfahren. Wunderst du dich etwa darüber, dass du dies hörst? Hier ist eine Stelle, die es bezeugen kann: „Das Geheimnis des Herrn ist unter denen, die Ihn fürchten; und seinen Bund lässt Er sie wissen.“ Dabei denkt an des Meisters Worte: „Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich habe von meinem Vater gehört, habe ich euch kund getan.“ So seliglich enthüllt uns dieser göttliche Offenbarer aller Geheimnisse sein Herz, dass Er mit nichts zurückhält, was uns zum Segen dienen kann, und Er fügt noch die Versicherung hinzu: „Wenn es nicht so wäre, so wollte ich es euch sagen.“ Offenbart Er sich uns heute nicht auf eine Weise, wie Er sich der Welt nie offenbart? Gerade so ist‘s; und darum wollen wir nicht in Unwissenheit ausrufen: „Selig ist der Leib, der Dich getragen hat,“ sondern wir wollen mit klarem Bewusstsein Gott dafür danken, dass wir, die wir das Wort gehört haben und es bewahren in einem verständigen Herzen, vor allem eine ebenso innige Gemeinschaft mit dem Heiland haben, wie seine Mutter Maria, und dass wir zweitens ebenso genau vertraut sind mit den Geheimnissen seines Herzens, als es nur je möglich ist, es zu erreichen. Glückliche Seelen, die so bevorzugt sind! (Charles Haddon Spurgeon)
Nach dem Urteil der Frau, die hier spricht, war das mütterliche Glück Marias unbeschreiblich groß. Einen solchen Sohn zu haben, muss, meinte sie, Maria mit dem höchsten Stolz erfüllen. Bewundernd sah sie zu Jesus auf; wie groß ist er! Und der Glanz seiner Größe verklärt auch die, die ihm das Leben gab. Wäre Jesus wie wir, so hätte ihn diese begeisterte Bewunderung erfreut. Wenn das, was wir tun, die anderen entzückt und ihnen die Anerkennung abgewinnt, sehen wir darin einen Erfolg, der unserer Tüchtigkeit gebühre. Jesus macht es anders und stößt die ihm dargebrachte Bewunderung von sich weg, weil sie das, was er begehrte, verhinderte. Er verlangte nach Größerem als nach Bewunderung, nämlich nach Glauben, der sein Wort hört und bewahrt. Wer nach Verwunderung strebt, genießt seine Größe als das ihm bescherte Gut, und wenn es seine süßeste Freude ist, dass er seinen Ruhm seiner Mutter bringen kann, damit auch sie in seinem Glanz strahle, bleibt das, was er für sich selbst erwirbt, sein Ziel. Jesus hat aber nicht das gesucht, was ihn verklärt, sondern sich um uns bemüht, um die, denen er sein Wort gibt, damit sie es hören und bewahren. Ihnen ist damit etwas so Großes zuteil geworden, dass Jesus ihnen seine Seligpreisung gibt. Wenn ich bewundernd zu Jesus aufblicke, so nehme ich den Unterschied zwischen seiner Größe und dem Maß meines eigenen Lebens wahr, und dieser Anblick beschenkt mich mit wonnigen Empfindungen. Den Erhabenen zu kennen, das beugt mich nicht nur, sondern erhebt mich zugleich. Gibt mir aber eine solche Verehrung Jesu mehr als einen Anblick, der mich entzückt? Höre und bewahre Gottes Wort, sagt er mir. Damit hört er nicht auf, über mir als der hoch Erhabene zu stehen, aber er überbrückt durch sein zu mir gesprochenes Wort die Entfernung, die ihn von mir trennt, und beugt sich zu mir, dem Kleinen und Schwachen, herab, und gibt mir das, was ich bedarf, nicht nur Empfindungen, auch nicht nur Worte, die ihn feiern, sondern den Glauben, mit dem ich sein Wort so höre, dass ich es bewahre. Dadurch bringt er alles, was ich bin und tue, unter Gottes Willen und macht aus mir den Täter des göttlichen Worts.
Dein Ruhm soll mir glänzen, Herr Jesus Christus, und vor Deiner Hoheit beuge ich mich. Ich möchte dich aber so ehren, wie Du es haben willst, und so Dir danken, wie es Deiner Gnade entspricht. Ich danke Dir, indem ich Dein Wort empfange und bewahre, durch das Du mich dem Vater gehorsam machst. Amen. (Adolf Schlatter)
Und ein Weib erhob im Volk die Stimme, und sprach zu ihm: Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast. Er aber sprach: Ja, selig sind die, die Gottes Wort hören und bewahren.
Die Sprecherin hatte sich nicht vorgedrängt. Aus der Mitte der großen Menge kam ihr Ruf heraus. Selig pries sie die Mutter, die Christum geboren hatte. Und wenn sie die Mutter selig preist um ihres Sohnes willen, was hält sie dann vom Sohne? Sie muss ihn für den halten, der die Seligkeit geben kann, für den, der Leben und volle Genüge gibt. Aber sie hat den Mut noch nicht, sich selbst also zu Christo zu stellen. Sie legt diese Seligkeit nur der bei, die ihm am nächsten steht. Christus erkennt ihren Glauben an. Er lässt auch seiner Mutter die Krone, die ihr beigelegt ist. Mit Ja hebt er an. Aber dann bessert er an dem Wort, dann spricht er: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Jede Seele kann der Gnade teilhaftig werden, die seine Mutter nicht durch seine Geburt sondern durch ihren Glauben ererbt. Wenn der Glaube Christum empfangen hat, gebiert er die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt; die Gerechtigkeit aber gebiert das Leben. Der Glaube aber kommt aus dem Wort, aus der Predigt. Wo das Wort gehört wird mit sehnendem, suchendem Herzen, da weckt es Glauben. Doch das Hören ist nicht genug. Das Wort muss bewahrt werden, dein Herz soll nicht sein wie ein löcheriger Krug, aus dem das Wasser des Lebens gleich wieder heraus rinnt. Mit fleißigem Denken sollst du das Wort bewegen. Es soll dein tägliches Gebet sein, dass es in dir lebendig werde. Und so wird das Wort, das Fleisch ward, in dir immer lebendiger werden. Christus wird in dir täglich fester gepflanzt und gewurzelt.
Herr Jesu Christe! Wie mag dir hinein in die Anfechtungen jener Tage der Ruf des Weibes im Volke eine Freude gewesen sein. Du gingest dem Tode entgegen, und sahst Lebensspuren von dir ausgehen. Ach dass auch wir mit gläubigem Bekenntnis dich geleiteten auf deinem Leidenswege. Dass wir aber auch allezeit dein Wort bewahrten in unserm Herzen. Doch so bald ist es vergessen, was du in deiner Weisheit und Liebe uns offenbarst. O segne uns auch heute, dass wir dein Wort nicht bloß hören, sondern unser Tun und Lassen, Denken und Reden von ihm regieren lassen. Dann wird auch dieser Tag uns förderlich sein zum ewigen Heile. Amen. (Friedrich Ahlfeld)