Lukas 10,23
Andachten
Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr seht.
Als der HErr Jesus auf Erden lebte, gab es Leute, welche sagten: wir sahen Ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte, hingegen sagte Er zu Seinen Jüngern: selig sind die Augen, die da sehen, das ihr seht. Was sahen sie aber? Ohne Zweifel war Er selbst derjenige, den ihre Augen so sahen, dass sie deswegen selig gepriesen wurden. Es kommt also nicht nur auf dasjenige an, was man sieht, sondern auch auf die Augen, mit denen man sieht. Die Person Jesu konnte missfallen und gefallen, je nachdem die Menschen geschaffen waren, die Ihn ansahen. Ohne Zweifel hat aus Seinem Angesicht das ganze Gesetz und das ganze Evangelium herausgeleuchtet. Alles was heilig, keusch, ernsthaft, freundlich, majestätisch, sanftmütig, demütig, aufrichtig heißen kann, war in Seiner Bildung wahrzunehmen. Er war das sichtbare Bild des unsichtbaren Gottes. Seine Gebärden, Sein Gang, Seine Stimme, Seine Kleidung, Seine Weise zu essen, zu trinken, zu schlafen, war voll Wohlanständigkeit. Wer Ihn gesehen, und Sein Bild in seinem Gemüt bewahrt hat, hat die beste Auslegung der Sittenlehre und der Verheißungen gehabt. Für Weltmenschen aber, die wollüstige Augen, freche Gebärden, flüchtige Bewegungen und einen hoffärtigen Putz gern sehen, ist Seine Gestalt zu fromm, zu ernsthaft, zu redlich, und Sein ganzer Aufzug zu schlecht gewesen. Sie sahen Ihn also: aber da war keine Gestalt, die ihnen gefallen hätte.
Griechen, die aufs Fest nach Jerusalem gekommen waren, sagten einmal zu dem Apostel Philippus: wir möchten gern Jesum sehen. Joh. 12,21. Dieser Wunsch könnte noch jetzt in vielen Herzen entstehen, kann aber nach derjenigen Weise nimmer erfüllt werden, nach welcher er in den Tagen Seines Fleisches erfüllt worden ist. Viele Christen würden, wenn sie Jesum in Seiner Niedrigkeit sähen, sich an Ihm ärgern, Seiner spotten, oder wenigstens sagen: Seine Gestalt gefällt uns nicht. Derjenige muss erleuchtet sein, dem die göttliche Heiligkeit gefallen kann, wenn sie sich in einem Bild offenbart. Übrigens heißen uns die Apostel Jesum ansehen, auf Ihn aufschauen, Ihn erkennen, die Herrlichkeit Gottes in Seinem Angesicht erkennen, und verweisen uns hiermit auf das Wort, worin Er uns vor die Augen gemalt ist.
Es heißt aber die Heilige Schrift alle Auserwählten auch hoffen, dass sie dereinst Jesum sehen werden, wie Er ist, 1 Joh. 3,2., dass sie Seine Herrlichkeit sehen werden, die freilich nicht außer Ihm, sondern in Ihm sein wird, Joh. 17,24., ja dass sie den dreieinigen Gott von Angesicht zu Angesicht sehen werden, 1 Kor. 13,12. Hiermit werden die Auserwählten auf die höchste Stufe der Seligkeit vertröstet; denn alles Gute ist so unermesslich in Gott dem Vater und Seinem Sohn Jesu Christo, dass das unmittelbare Sehen den Menschen aufs Höchste erquicken und beseligen wird. Man wird durch dieses Sehen so verwandelt werden, dass man Ihm gleich sein wird, 1 Joh. 3,2. Man wird da sein, wo Er ist, man wird bei Ihm sein, indem man Seine Herrlichkeit sehen wird, Joh. 17,24. Wenn man Ihn von Angesicht zu Angesicht sehen wird, so dass Er Sein aufgedecktes Angesicht gegen uns, und der Mensch sein Angesicht gegen Ihn richten wird, so wird solches etwas Vollkommenes im Gegensatz gegen das Stückwerk sein. (Magnus Friedrich Roos)
Und er wandte sich zu seinen Jüngern und sprach insonderheit: Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr seht. Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, das ihr seht, und haben es nicht gesehen; und hören, das ihr hört, und haben es nicht gehört.
Luk. 10, 23. 24.
Vor 1800 Jahren konnte man in Palästina den Sohn Gottes mit leiblichen Augen sehen, mit leiblichen Ohren hören, mit leiblichen Händen betasten; denn er war im Fleisch erschienen und wandelte als ein wahrhaftiger Mensch unter den Menschen. So sahen ihn seine Jünger; aber über diesem leiblichen Sehen preist sie der Heiland nicht selig. Es lebten zur Zeit Christi noch viele Menschen in Palästina, die den Heiland sahen, aber von diesem Sehen nicht den geringsten Nutzen oder Genuss hatten. Da gab es Pharisäer und Sadduzäer, Hohepriester und Schriftgelehrte und eine große Menge Volks, die alle den Sohn Gottes sahen; aber ein großer Teil sah ihn mit gleichgültigen, ein anderer mit feindseligen Augen an, und so hatten sie von diesem Anblick nicht das Leben, sondern größtenteils den Tod. Von diesen Augen konnte der Heiland nicht sagen: „selig sind sie, denn sie sehen mich.“ Wodurch unterschied sich denn der Blick der Apostel von dem Blick der andern? Antwort: Dadurch, dass die Jünger den Heiland zugleich mit Geistesaugen betrachteten. Der Anblick des Herrn Jesu, seine Worte, seine Werke, sein ganzes Betragen entzündete durch die Offenbarung des Vaters, die ihnen wiederfahren war, ihr Gemüt gegen ihn, so dass sie ihn nur mit der tiefsten Ehrfurcht und mit Liebe anschauen konnten. So sahen und erkannten sie nun auch in Jesu einen ganz andern Mann als die andern. Wo sich die andern ärgerten, da erkannten sie die Allmacht des Vaters; wo die andern murrten, da lobten sie; wo die andern lästerten, da beteten sie an; was den andern unerträglich war, das war ihnen lieblich; wo die andern davon liefen, da blieben sie und bekannten: wir können nicht von dir weichen, denn du hast Worte des ewigen Lebens„; kurz, sie erkannten in Jesu den Heiland, den Sohn Gottes, während die andern in ihm nichts als einen gewöhnlichen Propheten, oft ihren Feind, oft einen Schwärmer, sogar einen Besessenen sahen. Und darum wendete sich der Heiland zu seinen Jüngern und pries nur sie selig, weil sie die unaussprechliche Gnade hatten, den Trost Israels, den Sohn Gottes, das Ebenbild des Vaters, den Schönsten unter den Menschenkindern zu sehen, und zwar nicht nur mit leiblichen Augen, sondern mit den Augen des Geistes, d. h. an ihn zu glauben.
Mit Geistesaugen müssen wir den Heiland auch heute noch sehen, wenn wir Kinder des Lichts sein wollen. Manche denken: wenn ich zur Zeit des Heilands gelebt hätte, und hätte seinen Wandel und seine Wunder und seine Person gesehen, so wollte ich wohl ein rechter Nachfolger von ihm geworden sein; aber bei der Dunkelheit der gegenwärtigen Zeit wird es mir viel schwerer. Lieber Mensch, der du so denkst, vielleicht wärst du damals gar ein Feind des Heilands geworden und hättest dich gestoßen an seiner Niedrigkeit; denn eine jede Zeit hat ihre Ärgernisse und eigentümlichen Hindernisse des Glaubens. Das leibliche Sehen macht's eben nicht aus. Die Geistesaugen müssen uns aufgetan werden; die Finsternis, die Sündenfinsternis muss gehoben werden; der heilige Geist muss Jesum verklären im Herzen: das macht und stempelt den Menschen erst zu einem Nachfolger Jesu, und dies musste damals geschehen wie heute, und heute wie damals; es ist hierin gar kein Unterschied. Den Heiland müssen wir sehen, sonst sind wir keine Christen, sondern, wenn wir doch vom Christentum zu reden wissen, Heuchler, oder wir haben, wenn auch dies nicht der Fall ist, wenigstens doch kein seliges Herz. Denn die neutestamentliche Seligkeit beruht darauf, dass man Jesum sieht. (Ludwig Hofacker.)
Und Jesus wandte sich zu seinen Jüngern, und sprach insonderheit: Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr seht.
Auch die Engel hat gelüstet zu schauen, was die Jünger geschaut haben. Was haben denn ihre Augen geschaut? Den Mann, der nicht hatte, da er sein Haupt hinlegte, und in dem doch die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnete. Den Mann, auf den die Stimme Gottes herniederrief: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Den Mann, der uns in Allem gleich war, nur nicht in der Sünde, der aus seinem vollen Wesen heraussagen konnte: „Ich und der Vater, wir sind eins.“ Wenn es ein Mensch redete, wär' es ein Wort des wahnsinnigsten Hochmuts oder hochmütigsten Wahnsinns. Sie konnten sprechen: „Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, geprediget den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.“ Ja, sie hatten die Gnadenzeit der Menschheit erlebt. Jetzt trieb Aarons dürres Reis die rechte Blüte und Frucht. Jetzt war der Himmel offen, und die Engel Gottes stiegen auf und nieder. Es waren die Tage der geistlichen Neuschöpfung der Menschheit, wo Gott zum zweiten Male sprach: Es werde Licht. Jetzt war die Zeit, wo die Versöhnung gestiftet ward zwischen Mensch und Gott, wo der Held aus dem Stamme Juda den Feind überwand, und als barmherziger Samariter kam, um das unter die Mörder gefallene Menschengeschlecht zu retten.
Herr Jesu! Auch wir dürfen sehen, was zu sehen die alten Zeugen, Propheten und Könige sich sehnten. Und besonders ist es dein Tag, der Sonntag, an welchem du vor uns treten willst in all deiner Liebe, aber auch in all deiner Herrlichkeit. O gib uns auch heute offene Augen, dass wir dich erkennen als den barmherzigen Heiland, der uns nachgeht in der Wüste des Erdenlebens um uns zu erretten zu ewigem Leben. Lass heute das Wort deines Erbarmens tief in die Herzen der Deinen dringen, dass wir von ganzem Herzen dankbar werden für das, was unsre Augen schauen dürfen. Amen. (Friedrich Ahlfeld)