Psalm 16,8
Andachten
„Ich habe den HErrn allezeit vor Augen; denn Er ist mir zur Rechten, darum werde ich wohl bleiben“ („… steht Er mir zur Rechten, so werde ich fest bleiben“).
Dieser Spruch ist aus dem 16. Psalm genommen, in welchem David so redet, dass es der HErr, unser Heiland, auf Sich anwenden kann für die Zeit, da Er im Fleische war. Konnte man Ihn doch auch sagen hören: „Ich tue allezeit, was Meinem Vater wohlgefällig ist“ (Joh. 8, 29). Darum erfüllte sich's auch an Ihm am vollkommensten, dass der HErr, Sein Vater, Ihm zur Rechten war und Er wohl geblieben ist unter allen Finsternissen des Erdenlebens, bis es sich bei Ihm zur Verklärung beim Vater gestaltet hatte.
David spricht aber in dem Psalm auch so, als beziehe er's auf sich selbst. Er wagte es demnach zu sagen, er habe allezeit den HErrn vor Augen und fühle den HErrn zu seiner Rechten und hoffe, durch Ihn wohl zu bleiben. Zwar war zeitweise dem nicht so, dass er das von sich sagen konnte: „Ich habe den HErrn allezeit vor Augen.“ Doch hatte er im übrigen den frommen Sinn. Und nachdem er infolge eines schweren Falles mit Schaden klüger geworden war, mag es stetiger bei ihm recht gewesen sein, so dass er die Zuversicht wiedergewann und behielt, er werde wohl bleiben.
Von uns, die wir im Neuen Testament stehen, wird es vornehmlich gefordert, den HErrn allezeit vor Augen zu haben - allezeit, wenigstens insoweit, dass wir keine Ihm missfälligen, Ihn verleugnenden, Ihn hintansetzenden Seitenblicke tun. Solches ist uns leichter gemacht, da nun unser Blick zu Gott dem HErrn ein Blick auf Jesus geworden ist, unsern hocherhöhten Bruder, dessen Vorbild wir vor uns haben. Zu Ihm, dem „Anfänger und Vollender unsres Glaubens“, fühlen wir uns auch hingezogen, weil wir durch Ihn zu Gnaden angenommen sind und Frieden empfangen haben. Von Ihm wissen wir ferner, dass Er, wenn wir zu Ihm blicken, bei uns, uns zur Rechten sein will - wie denn auch zu Ihm all unsre Hoffnung auf Zeit und Ewigkeit steht. Wer sollte nicht Ihn gerne allezeit vor Augen haben?!
Und doch, wo sind sie, die es so tun, wie es gefordert ist? Die nicht immer wieder ihre Blicke seitwärts richten nach den Trebern dieser Welt, durch die sie sich in allerlei Sünden und Übertretungen des göttlichen Gebotes verlocken lassen?
Aber bedenken wir recht, dass die Verheißung, wohl zu bleiben - an welche David sich hält -, nur soweit sich an uns erfüllt, als wir den HErrn vor Augen haben oder wenigstens nicht von Ihm abseits blicken. Jeder Seitenblick, den wir durch Verlassen des HErrn tun, bringt Gefahr oder Züchtigung - eine um so schwerere Züchtigung, je mehr es von uns erwartet werden konnte, dass wir keine solchen bösen Seitenblicke mehr tun. Wer die Welt und deren Lust und Freude und Tand noch im Auge hat, der wird es schwer haben, wohl zu bleiben und wird es früher oder später erfahren, wieviel Schaden es ihm gebracht hat oder bringt.
Wollen wir darum den HErrn allein unser Gut, unsern Schatz, unsre Ehre und Freude, unsre Richtschnur sein lassen! Ach, wie wird's uns dann so wohl gehen, nicht nur in dieser Zeit, sondern auch in der Ewigkeit! (Christoph Blumhardt)
Denken wir uns den Spruch im Munde des Heilands, so kann er noch allerlei Gedanken in uns wecken.
Schon wenn Er sagt: „Ich habe den HErrn allezeit vor Augen“, erinnert's uns an die versuchungsvolle Lage, in der Er auch als ein ins Fleisch Gekommener stand, da Satan bemüht war, Ihm überall Schlingen zu legen. Rühmt Er's sodann, dass Gott der HErr Ihm zur Rechten stehe, so liegt darin ein Hinweis auf die vielen Trübsale, die über Ihn kamen und die Ihn stets zu vernichten schienen - wie Er denn, mehr als wir es wissen, Sein Leben in beständigem Kampf und Ringen mit Gott um Hilfe zugebracht hat. Wie wichtig ist es endlich, dass all Sein Hoffen - besonders für uns, um derentwillen Er sich so hingegeben hat - darauf stand, dass Er fest bleiben würde. Denn eben daran hing unsre Rettung, weil sonst alle geborenen Menschenkinder unter Satans Macht und Knechtschaft verkauft waren. Wichtig war es insbesondere, dass Er in Seiner schwersten Zeit, da Er am Kreuz hing, so stand, dass Er auch hätte ausrufen können: „Er ist Mir zur Rechten, darum werde ich wohl bleiben“ - „wenn ich auch sterbe“, musste Er hinzudenken. Dies aber war Ihm so gewiss, dass Er selbst einen der Schächer zu dem Paradies, das Er vor sich sah, einladen, ihm also auch das „Wohlbleiben“ verheißen konnte. Deswegen konnte Er auch im Psalm (V. 9f.) noch weiter sagen: „Auch Mein Leib wird sicher ruhen; denn Du wirst Meine Seele nicht im Tode lassen und nicht zugeben, dass Dein Heiliger verwese“ - Worte, welche die Apostel ausdrücklich auf den HErrn Jesus beziehen (Apg. 2,25ff.; 13, 35ff.). Wie viel aber hing für uns davon ab, dass Er fest und wohl blieb, die Kämpfe alle zum Siege hinausführte und sich zum ewigen Wohlbleiben beim Vater aus der Trübsal dieser Welt in Seine ursprüngliche Herrlichkeit emporschwang! Damit ist auch für uns das Wohlbleiben gesichert.
Wie wohl aber wird's uns einmal sein bei Ihm, unsrem hocherhöhten Heiland, in Seiner Herrlichkeit und Ruhe! (Christoph Blumhardt)
Dies ist die Weise, wie wir leben sollten. Wenn Gott allezeit vor unsren Augen ist, werden wir die edelste Gesellschaft, das heiligste Beispiel, den süßesten Trost und den mächtigsten Einfluss haben. Dies muss eine entschlossene Tat der Seele sein: „Ich habe gestellt,“, und muss aufrecht gehalten werden als etwas Festes und Beständiges. Immer ein Auge auf des Herrn Auge haben, und ein Ohr für des Herrn Stimme - dies ist die rechte Stellung für den Gottesfürchtigen. Sein Gott ist ihm nahe, erfüllt den Horizont seines Gesichtes, leitet den Weg seines Lebens und bildet den Gegenstand seiner Betrachtungen. Was für Eitelkeiten würden wir vermeiden, was für Sünden würden wir besiegen, was für Tugenden würden wir beweisen, was für Freuden würden wir empfinden, wenn wir in der Tat den Herrn uns allezeit vor Augen stellten! Warum nicht?
Dies ist die Weise, wie wir sicher sein können. Wenn der Herr immer in unsrer Seele ist, so kommen wir dahin, Sicherheit und Gewissheit zu fühlen, weil Er so nahe ist. Er ist zu unsrer Rechten, um uns zu führen und zu helfen; und deshalb werden wir nicht bewegt, weder durch Furcht noch durch Gewalt oder Betrug oder Wankelmut. Wenn Gott zur Rechten eines Mannes steht, so wird der Mann selber sicherlich fest stehen. Kommt heran denn, ihr Feinde der Wahrheit! Dringt auf mich ein, wie ein wütender Sturm, wenn ihr wollt. Gott hält mich aufrecht. Gott bleibt bei mir. Wen soll ich fürchten? (Charles Haddon Spurgeon)
Ich habe den Herrn allezeit vor Augen; denn er ist mir zur Rechten, darum werde ich wohl bleiben.
Wie kann man den Herrn allezeit vor Augen haben? Unsere Augen müssen ja auch so viel Anderes sehen und haben nicht immer Zeit, auf Ihn zu blicken. Allein ein Wanderer kann doch immer in einer guten Luft wandeln und während er geht, merken, ob Dünste aufsteigen und die Luft ihm schädlich wird. Ebenso ein Wanderer neben dem Herrn. Man fange nur einmal an, Jesu nachzufolgen, und es wird sich zeigen, dass man recht gut ihn allezeit vor Augen haben kann. Es gibt auch eine geistige Luft, aus der man dann nicht herauskommt, ohne es zu merken an dem Unbehagen, das sogleich die Seele ergreift. Die Zucht des Geistes bewahrt dann an Jesu Seite und lässt fühlen, auch wenn man nicht immer mit ihm redet, dass man doch bei ihm ist. Und das ist genug. Das Auge, das auf den Herrn sieht, ist nichts Anderes, als das Bedürfnis, bei ihm zu sein. Und dies Bedürfnis spricht sich klar genug aus, es bedarf sich keiner Anstrengung, es zu suchen. Ein Kind braucht nicht immer auf seinen Vater zu schauen, wenn es bei ihm ist; es fühlt recht gut, bei wem es ist; setzte man dies Kind aber plötzlich unter Bären und Wölfe, so finge es jämmerlich an zu schreien. Ein Kind Gottes schreit eben so, wenn es die Nähe des Herrn nicht mehr findet. David fühlt ein unendliches Weh, wenn er seinen Herrn nicht mehr bei sich hat; da kommt es ihm vor, als sei er zwischen Stieren und Löwen, die ihren Rachen wider ihn aufsperren (Ps. 22, 13. 14). Jesus aber ist auferstanden, damit er alle Tage bei uns sei bis an der Welt Ende. Seine Gnadennähe ist mehr als ein Sinnengefühl; sie stärkt unsre Rechte, bewahrt uns vor der vergänglichen Lust, lässt uns Meister werden über die Sünde, und wohl bleiben auf unsrer ganzen Pilgerreise. (Friedrich Lobstein)