Klagelieder 5,21
Andachten
„Bringe uns, HErr, wieder zu Dir, dass wir heim kommen! Erneuere unsre Tage, wie vor Alters!“
So schließt Jeremias seine Klaglieder. Diese verfasste er, als Jerusalem zerstört, die meisten Bewohner weggerafft, und die Wenigen, die überblieben, nach Babylon abgeführt waren. Mit Bezug auf die Letzteren betet er am Schlusse der Lieder: „Bringe uns, HErr, wieder zu Dir, dass wir heimkommen!“ Denn heimkommen, hieß zum HErrn kommen, weil das Land auch als das Heimatland Gottes galt, sofern Gott hier, besonders vom Tempel aus, seit Jahrhunderten sich kund gegeben hatte. Der Prophet aber bittet noch weiter: „Erneure unsre Tage, wie vor Alters!“ d. h. mache Deine Gnade wieder neu, und ganz so, wie früher, dass Du zu uns kommst und uns weisest und Dich bezeigest, wie vormals.
So betete Jeremia. Wir wissen aber, dass sein Gebet in so weit erhört wurde, als 70 Jahre nach der Zerstörung ein Teil des Volkes wieder zurück kam und Stadt und Tempel wieder herstellte. Ihre Tage wurden aber nicht erneuert, wie vor Alters, so zahlreich das Bolt wurde. Die erste Frische fehlte dem Volke, und es blieb eine Ungnade auf ihm lasten. Der HErr hielt sich ferne von ihm. Eine Zeitlang redeten noch Propheten, aber immer weniger; und etwa 140 Jahre später hörten sie ganz auf. Auch die Bezeigungen Gottes im Tempel waren so gut als verschwunden. Des Götzendienstes wohl enthielt sich das Volk; aber das streng eingehaltene Zeremonienwesen erschien mehr nur als äußerliche Form, ohne Mitbezeigung Gottes, wie vormals. Auch im größeren Gemeinwesen ging es fortan so natürlich und weltlich zu, wie überall. Kein Wunder, dass der Seufzer des Jeremia: „Erneure die Tage, wie vor Alters!“ im Volke verblieb; und einen Nachklang davon haben wir in der Sehnsucht eines Simeon und einer Hanna, und Anderer, die um die Zeit JEsu auf das Reich Gottes warteten. Blieb's nun auch mit dem Volke, wie es war, so kam doch zuletzt ein Neues, das weit über dem ging, was das Volk vor Alters gehabt hatte. In Christo, dem Menschgewordenen, war eine Herrlichkeit da, die, wie Haggai (2,7-10) weissagte, viel größer war, als die des ersten Tempels. War doch mit ihm der Gott mit uns gekommen. Wie schön waren da die Tage des Volks während Seines Wandels auf Erden! Und wie schön waren die Tage der Apostel, welche in der Fülle des Heiligen Geistes standen und über alle Völker die Herrlichkeit des Evangeliums ausbreiteten! So ist der Seufzer des Jeremia in viel höherem Sinne erhört worden, wenn sich das Neue gleich anders ansah, als das Frühere. Wir aber erwarten's im höchsten Sinne, zum HErrn gebracht zu werden und heimzukommen. Wir suchen, was droben ist, da „Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes,“ und haben die Weisung, „nach dem zu trachten, das droben ist, und nicht nach dem, das auf Erden ist.“ Da wäre es eine Sehnsucht, nicht nach dem, wie es vor Alters war, sondern nach dem, da „Gott Alles neu machen wird.“ Vergessen wir unsrer rechten Heimat nicht; und machen wir's nicht, wie viele Israeliten, die in der Fremde sich einbürgerten und festsetzten, und so zurückblieben. Versäumen wir's nicht, einzukommen zur ewigen Ruhe bei Gott. Durch Geduld und Glauben gelingt's uns.
Zusatz (Unsere Tage.)
Aber freilich, der Drang, das Reich Gottes zur Vollendung kommen zu sehen, heißt uns auch nach den Tagen des HErrn und der Apostel zurückblicken und fragen: Wie sind denn unsre Tage seitdem geworden? Haben wir's noch wie damals? Wandelt der HErr, zur Rechter Seines Vaters erhoben, so fühlbar noch in unsrer Mitte, wie Er's verheißen hat? Wo sind die Leuchter, unter denen Er einst wandelte und deren Sterne Er in Seiner Hand hielt, wie bei den sieben Gemeinen (Off. 1,20)? Unwillkürlich drängt sich auch uns der Seufzer des Jeremia auf: „Erneuere unsre Tage, wie vor Alters!“ Denn wir sehen den Fortgang des Reiches Gottes gehemmt, weil wir uns gar arm und schwach gestellt fühlen, da die Bezeigungen der Kräfte des Heiligen Geistes so geringe geworden sind und das persönliche Einwirken des HErrn so wenig verspürt wird. Äußere Ordnung mit viel Formen haben wir wohl manches Orte, wie Israel einst auch in seinen geringen Tagen, aber viel mehr nicht, so dass wir mit Wehmut, den Gefangenen in Babel gleich, seufzen müssen: „Ach, lass uns doch wieder eine Heimatlust fühlen, dass es uns nicht ist wie in einer Fremde, da Licht und Freude und fehlt, damit wir's merken, wie es vorwärts geht zur Erlösung der Kreatur! Lass uns wieder Dich haben. Erneuere Alles, wie vor Alters, da Alles im besten Gang war. Lass die Kraft des Heiligen Geistes wieder stärker wirken, zu Allem, wie es die Erlösung Deiner Kinder und aller Völker bedarf!“
Seufzen wir dann nur so! Wird uns der HErr erhören? Wagen wir's, zu glauben und zu hoffen. Mehr, als Jeremias bat, kam, als die Zeit erfüllet war. Mehr, als wir denken mögen, dürfen auch wir erwarten, nachdem wir's seit so vielen Jahrhunderten vermisst haben. Der Herr wird sich wieder kund tun. Wird doch das Höchste nicht ausbleiben, Er selbst, kommend in den Wolken des Himmels, in die rechte Heimat uns zu führen, die Lebenden und die Toten (1 Thess. 4,16.17). Dann werden wir uns nach keinem Alten zurücksehnen. Ach, wären wir so weit! (Christoph Blumhardt)