Apostelgeschichte 7,55
Andachten
Als Stephanus aber voll heiligen Geistes war, sah er auf gen Himmel, und sah die Herrlichkeit Gottes, und Jesum stehen zur Rechten Gottes, und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen, und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen.
Während dem Stephanus auf Erden das offene Grab, ja der offene Höllenrachen entgegengähnt, sieht er in der Kraft des Glaubens schon den Himmel offen, ihn aufzunehmen in seine Friedenspforten, und statt der finsteren Gestalten seiner wütenden Feinde sieht er da droben eine andere, eine göttlich milde Friedensgestalt, sieht des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Den Jesum, den er wahrscheinlich auf Erden in seiner Knechtsgestalt gesehen, als den Menschensohn gekannt, den sieht er nun droben in verklärter Menschlichkeit zur Rechten Gottes stehen, als den alten wohlbekannten Freund und doch zugleich in neuer, nie gesehener, überirdischer Glorie, als den König des Himmels und Herrn der Herrlichkeit. Sonst ist vom Sitzen Christi zur Rechten Gottes die Rede, hier sieht ihn Stephanus zur Rechten Gottes stehen. Warum stehen? Weil er gleichsam aufgestanden ist zum Schutze seines Jüngers wider seine Feinde, aufgestanden zum Empfang des siegreich heimkehrenden Gottesstreiters; weil wir überhaupt die Ruhe des erhöhten Heilands im Himmel nach vollbrachtem Erlösungswerke wie die Ruhe des Vaters nach vollendetem. Schöpfungswerke und wie die Ruhe des Heiligen droben nach ausgekämpftem Erdenkampfe uns nicht als ein träges Ausruhen, nicht als ein untätiges Dasigen denken müssen, sondern als eine lebendige und wirksame Ruhe, als ein seliges, durch keine Erdenschranken gehemmtes Walten und Wirken. „Ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen.“ Auch heute noch öffnet sich je und je der Himmel über den Sterbebetten der Gläubigen, dass sie in lieblichen Träumen und seligen Gesichten einen Vorschmack der anderen Welt bekommen, zu der sie bald eingehen sollen, ja dass sie ihren Heiland zu sehen meinen, der voll Huld und Majestät sein strahlendes Antlitz zu ihnen herniederneigt. Aber auch ohne solche Entzückungen, auch mitten im alltäglichen Leben und im Kampf des Tagewerks können wir im Geiste den Himmel offen sehen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen, wenn wir im Glauben des Vaters gedenken, der dort über uns wacht, des Heilandes gedenken, der dort für uns bittet, der Heimat gedenken, die dort auf uns wartet. Und solch ein Glaube ist dann unser Sieg, der die Welt überwindet; auf solch einen Glaubensblick nach oben können wir dann allemal wieder getrost sprechen mitten unter den Anfechtungen von innen und außen: „Nichts, nichts kann mich verdammen, nichts macht mir hinfort Schmerz, die Höll' und ihre Flammen, sie ängsten nicht mein Herz; kein Urteil mich erschreckt, kein Unheil mich betrübt, weil mich mit Flügeln decket mein Heiland, der mich liebt.“ (Karl von Gerok)