Johannes 20,21
Andachten
“Friede sei mit euch!“
Frieden ist eigentlich erst da, wo die Harmonie eines Wesens sowohl mit seiner Idee, als seiner Umgebung vollkommen eingetreten ist. „Vor jedem steht ein Bild des, was er werden soll, und bis er's nicht erreicht, wird nicht sein Friede voll.“ Als Jesus nach seiner Auferstehung zu seinen Jüngern kam, war sein Friede voll, oder er war so voll von diesem neuen, dauernden Friedenszustand, dass von ihm nur Friede ausgehen konnte. - Das macht uns oft den Abendsegen aus, dass er ähnlich zu uns tritt und Frieden spendet. Was Jesus bringt, ist Harmonie mit unserer Bestimmung. Es ist, als ob er sagte: was dir heute gefehlt hat an der Erreichung deines Zieles - ich will es vergeben und dich in meine Gnade gehüllt hintragen ans Ziel. Wenn du nur rückhaltlos mit mir zusammenstimmst in Gericht und Gnade, dann decke ich den Zipfel meines Friedensmantels über dich. Dann kannst du ruhig schlafen und ruhig am nächsten Morgen zu neuer Arbeit erwachen. Ich bin dir nah, ich bin dein Friede, und du sollst das glauben und haben und dessen froh sein.
Auf solche, deine Zusage, Herr Jesu, will ich trauen. Es soll mir heute Abend ganz gewiss sein, dass du mich birgst in deinem Gezelt und dass ich unter dem Schatten deiner Flügel ganz in Frieden ruhen kann. Denn die mir zugekehrte Seite deiner Flügel trieft von Gnade, erquickend wie der Nachttau auf dem Rasen. Amen. (Samuel Keller)
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch!
Warum wiederholt er das Wort? Etwa damit sie recht fest glauben sollen? Bei ihm konnte man einer Aussage hinlänglich glauben. Nein. In jener Nacht vom grünen Donnerstag zum Karfreitage hatten sich die Jünger von ihm losgerissen. Petrus hatte ihn verleugnet, alle Jünger waren geflohen, aller Jünger Glaube war dahin gefallen wie im Herbst die Blätter, wenn der Sturm den Stamm schüttelt. Mit dem zweiten: „Friede sei mit euch“ nimmt er sie wieder an sich, bindet er sie wieder fest an sich, vergibt er ihnen ihre Sünden. Du, der du Christum verleugnetest, wo ihn Judas verriet, und wo ihm die Welt die Dornenkrone flocht, freue dich seiner Auferstehung in dir. Du, der du ihn in dir gekreuzigt hast mit Unglaube und Sünde, komm, sammle dich mit zu ihm. Fürchte dich nicht. Die Apostel sind in der nämlichen Verdammnis gewesen wie du. Es geht hier nicht einmal ein Wort des Zürnens oder Strafens über seine Lippen. Reichen Frieden gibt Christus ins Herz. Wie aber die warmen Quellen, die in den Tiefen eines Sees springen, das Wasser wärmen bis an die kalte Luft herauf, so wärmt jener Friede auch das ganze Leben bis hin an die Kinder der Welt. Auch diese müssen ihn den Jüngern des Herrn anmerken. Darum sagt er: Du Friedenskind, werde auch ein Friedensbote.
Herr Jesu Christe, wir treten mit diesem Morgen wieder an die Arbeit des Lebens und Berufes. Ach, lass sie uns nicht also treiben, dass das Herz darüber den Frieden verliere, den du auch uns täglich neu geben willst. Hilf uns vielmehr, selbst immer mehr deinen Frieden auszubreiten. Behüte uns vor Neid und Selbstsucht, Zorn und Bitterkeit, Unwahrheit und Unreinheit, dass um uns und in uns dein Friede sich zeige in seiner heiligen Segenskraft. Ja, mache unser Haus und Herz zu einer stillen Friedensstätte nach deiner Barmherzigkeit. Amen. (Friedrich Ahlfeld)
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Bedeutungsvoll zum zweiten Mal ruft Jesus den Jüngern zu: Friede sei mit euch! Er spricht sie damit los von allem, was auch sie in seinen Leidenstagen an ihm verschuldet hatten durch ihre Glaubensschwachheit und Leidensscheu, und weiht sie neu zu seinem Dienst, indem er hinzusetzt: Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Der Herr hat nun seine Sendung und sein Werk vollbracht; jetzt, ihr Knechte, fangt eure Arbeit an. Bisher seid ihr Jünger gewesen, die zu des Meisters Füßen saßen, hörend, lernend, empfangend; von nun an sollt ihr Apostel werden, Sendboten, die hinausgehen in die Welt, Andern zu lehren und das, was sie gehört, gesehen, gelernt, empfangen, weiter zu tragen durch Wort und Wandel. Denn wie der Herr nicht im Grabe blieb, sondern lebt, so soll auch sein Werk nicht tot und begraben, so soll auch sein Wort nicht verschollen und vergessen sein, sondern fortleben und fortwirken in den Seinen und durch die Seinen. Welch großen Lebensberuf eröffnet da der Herr seinen Jüngern. Auch uns will der Herr zu neuem Leben wecken, indem er in seiner Nachfolge unsern Lebensberuf uns anweist; auch in uns will er das Edelste und Beste wachrufen, was in uns schlummert, indem er das große Wort an uns richtet: Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Ohne rechten Beruf kein rechtes Leben. Trauriger gibt es nichts für den Menschen, als wenn er nicht weiß, wozu er in der Welt ist, wozu er seine Kräfte brauchen, seine Zeit anwenden soll. Am Morgen nicht wissen, wozu man eigentlich aufsteht, am Abend nicht sagen können, wofür man heut in der Welt war, gewiss das ist ein elendes Dasein, und ach, wie viele, hoch und niedrig, jung und alt, Mann und Frau schleppen solch im Dasein dahin, ohne wahren Lebensberuf und darum ohne wahre Lebensfreude, sich und andern zur unerträglichen Last! O dass diese Trägen, diese Unglücklichen etwas vernehmen möchten von dem großen Wort des Auferstandenen an seine Jünger: Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch! Seid ihr auch nicht zu Aposteln berufen oder zu Predigern des göttlichen Worts: in jedem Berufe kann der Christ dem Herrn dienen, wenn er ihn ausrichtet im Aufsehen auf den Herrn, wenn er seinen Herrn dabei im Auge und im Herzen hat. Und fürwahr, der geringste Beruf müsste uns wichtig, der schwerste Beruf müsste uns erträglich werden, wenn wir auf unsere Berufswege das Wort des Herrn mitnähmen im gläubigen, gehorsamen Herzen: Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Denket an das schwere Tagewerk, das eurem Herrn auferlegt war und beklaget euch nicht mehr über euer leichtes; denket an seinen Gehorsam gegen den Vater, an seine Liebe zu den Brüdern, an seine Geduld unter den Leiden und an seine Sanftmut gegen die Feinde, und lernet auch ihr Gehorsam und Liebe, Demut und Geduld. Denket an seine göttliche Sendung, ein Himmelreich zu gründen auf Erden, ein Reich Gottes, das da ist Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist, zu pflanzen mitten in dieser argen Welt, und freut euch, dass auch ihr gewürdigt seid, als seine Diener mit zu arbeiten an seinem Reich, als seine Handlanger Steine zu tragen zum Bau des Gottestempels auf Erden. (Karl von Gerok)