Schlatter, Adolf - Der zweite Brief des Johannes

Einleitung zum 2. und 3. Johannesbrief

Die beiden kleinen Briefe zeigen uns den Apostel bei seiner seelsorgerlichen Arbeit im persönlichen Verkehr mit den Christen um ihn her. und bilden darum eine liebliche Ergänzung zum ersten Brief, der nicht von den besonderen Umständen und Personen sprach, welche damals für die Gemeinden wichtig waren, sondern das Evangelium in seiner Wurzel fasste und den Kern des göttlichen Worts hervorgehoben hat, wie er für alle Leute und Verhältnisse gültig ist.

Der zweite Johannesbrief

Den zweiten Brief hat die auserwählte Herrin mit ihren Kindern empfangen. Er wendet sich deutlich an einen größeren Kreis, entweder an eine von der Mutter geleitete Familie oder an die gesamte Gemeinde jenes Orts. Es ist nicht unmöglich, dass Johannes dieselbe einer Hausfrau verglichen hat, um ihr lebendig darzustellen, dass sie ein eng verbundenes Ganzes ist. Wie die Kinder die Art des Hauses an sich haben und in ihrem inwendigen Wesen vieles von der Mutter empfangen, so entsteht auch in jeder Kirche und Gemeinde eine gemeinsame Art, die für den inneren Gang ihrer Glieder wichtig ist und sie innerlich anregt und fördert, oder auch schwächt und verwirrt.

Sich selbst hat Johannes in beiden Briefen den Alten genannt. Mehr bedarf es nicht, damit sein Wort für sie das rechte Gewicht und Ansehen habe. Er steht als der Alte unter ihnen, der sie väterlich unterweisen und mahnen kann als der, welcher seines Alters wegen weiter zurücksieht als sie alle und mehr erlebt und erfahren hat als sie. Er hat ja das Größte und für die Kirche Wichtigste noch gesehen, hat Christus auf Erden gekannt und seither den ganzen Weg der Kirche, wie Gott sie geführt hat, miterlebt. Darin gleicht die Aufschrift der beiden kleinen Briefe derjenigen des ersten Briefs, wo uns Johannes daran erinnert, dass er uns das verkündigt, was er selbst gehört, gesehen und betrachtet hat, damit auch wir Gemeinschaft mit ihm haben in dem, was der Kirche vom Anfang her gegeben war.

In beiden Briefen sagt er denen, welche sie erhielten, zuerst, dass er sie in Wahrheit lieb habe. Damit bestätigt er ihnen ihren Christenstand und macht sie dankbar und freudig für das, was sie empfangen haben. Der Apostel Christi hat sie lieb und steht mit ihnen in jener inneren Gemeinschaft, die in der Wahrheit ihren festen Grund besitzt. Auf die Wahrheit zeigt er nicht bloß deswegen hin, damit sie an den Ernst und die Aufrichtigkeit seiner Liebe glauben, sondern er hat den tiefen, innerlichen Zusammenhang im Auge, welcher die Wahrheit und die Liebe zu einander gesellt. Über den Personen und ihren kleinen Anliegen steht ihm die Wahrheit, in der Gottes Wesen und Wille offenbar ist und Christi Amt und Gnade sich uns bezeugt. Sie leitet ihn bei seiner Liebe; um ihretwillen sind ihm die Leute teuer und wichtig; dass die Wahrheit bei ihnen sei und in ihnen regiere, darauf richtet er seinen ganzen Verkehr mit ihnen hin. Wo er die Wahrheit wiederfindet, wo sie Eingang gefunden hat, dahin fährt seine Liebe und dort stiftet sie die herzliche und feste Verbundenheit. Darum fügt er im zweiten Briefe alsbald bei: nicht bloß ich habe euch lieb, sondern alle, welche die Wahrheit erkannt haben. Seine Leser haben nicht bloß den Apostel gefunden, sondern den ganzen großen Kreis derer, die zur selben Erkenntnis Gottes und Christi gekommen sind. Ein großes Reich der Liebe schließt sie ein, das so weit als die Wahrheit reicht. Und darum fährt er nochmals fort: der Wahrheit wegen haben wir euch alle lieb. Sie macht, dass wir zusammengehören, macht, dass euer Wohl und Wehe auch uns erfasst, so dass wir euch gerne helfen und dienen; sie macht uns eins.

Dadurch ist ihnen der köstliche Wert der Wahrheit hell vors Auge gehalten; sie sehen in ihr das Band, das sie mit dem Apostel und der Kirche zusammenhält. Johannes fügt darum die Verheißung bei: sie bleibt bei uns und wird ewig bei uns sein. Gott gibt sie uns als unser wirkliches Eigentum zu unverlierbarem Besitz. Sie kehrt nicht nur zu einem kurzen Besuch bei uns ein, sondern macht sich für die Ewigkeit in unseren Herzen heimisch. Darum ist auch de Liebe und die Gemeinschaft, die sie zwischen uns stiftet, von unvergänglicher Art.

Auch im Segenswunsche nennt er die beiden großen Hauptstücke: Wahrheit und Liebe, V. 3, welche zusammen das Merkmal und die Art des rechtschaffenen Christenstandes sind. Die Gnade und die Barmherzigkeit und der Friede, die Gott für uns hat und uns bereitet, sind dadurch bei uns, dass Wahrheit und Liebe bei uns sind. In der Erleuchtung des Geistes um Empfang der Wahrheit und in der Reinigung des Herzens zur Liebe übt Gottes Gnade an uns ihr Werk und kommt der Friede, den Gott zwischen uns und ihm gestiftet hat, an uns zu seiner Frucht. Das ist die ungeteilte Gabe Gottes, des Vaters, und Christi, des Sohns des Vaters. Im Segenswunsch, den Paulus an den Anfang seiner Briefe setzt, heißt es: Von Gott, dem Vater, und von Christus, unserem Herrn. Beide Apostel erläutern uns, wie Gottes Gnade und Friede durch Christus zu uns kommen. Er bringt sie uns. weil er unser Herr ist, weil ihn Gott über uns gesetzt hat, und uns ihm untergeben hat als sein Reich und Eigentum. Darum empfangen wir Gottes Gnade und Friede durch das, was uns Christus tut. Jesu Herrschaft und königliches Regiment hat aber wiederum seinen Grund darin, dass er der Sohn des Vaters ist. Deswegen, weil Gott für Jesus in einem wunderbar großen und geheimnisvollen Sinn der Vater ist, und er ihm der Sohn, darum kommt die Gnade und der Friede uns von Gott und Christus in einer und derselben einträchtigen Wirkung und Gabe zu.

Als der hauptsächliche Anlass und Zweck des Briefes liegt es dem Apostel am Herzen, seine Leser vor der Verführung zu behüten. Ehe er aber mahnt und warnt, richtet er ihr Auge fest auf die eine große Hauptsache im Christenwandel hin, dass sie in der Wahrheit wandeln, sich durch sie bewegen und treiben lassen, so dass sie nicht nur ihr Wort, sondern auch ihre Tat regiert, und dass sie das alte Gebot bewahren, das ihnen die Liebe als ihr Geschäft und Ziel vorhält, und dass sie ihre Liebe rein und heilig halten, dadurch, dass dieselbe gegen Gottes Gebote gehorsam bleibt. All das haben wir auch im ersten Brief ausführlicher gelesen, als die feste, große Regel, die der ganzen Kirche gilt.

Johannes heißt sie auf die Liebe bedacht sein, weil viele Verführer in die Welt ausgegangen sind (V. 7). Wo sie Gehör und Geltung finden, wird die Liebe verdrängt durch den Stolz eines leeren Wissens, und durch den Zank eines fleischlichen Eifers und durch die Versündigungen am Heiligen, die das Gewissen beflecken und den Geist von Gott, dem Grund aller lebendigen Liebe, trennen.

Als das Merkmal der Verführer nennt Johannes wie im ersten Briefe dies, dass sie sich nicht zu Jesus bekennen, und auch hier zeigt er auf Jesu „Fleisch“ hin, auf seine echte, wahre menschliche Natürlichkeit, deren wir uns nicht schämen dürfen, zu der wir uns vielmehr bekennen sollen, weil durch sie Gottes Gnade, Geist und Leben zu uns kommt. Ein solcher bekennt sich nicht zu Jesus Christus, der da kommt im Fleisch (V. 7). Im ersten Brief sagte er: der gekommen ist im Fleisch (4,2). Dort sah er auf Jesu irdische Lebenszeit zurück; hier sieht er hinaus zu seiner neuen Gegenwart, und auch dann kommt er im Fleisch, freilich nicht mehr als der Sterblichkeit und Schwachheit unterworfen, sondern in Gottes Herrlichkeit und Macht gekleidet, und doch auch dann als der, der an unserer Art teil hat, Mensch war und bleibt wie wir und sich ernst und ganz in die Gemeinsamkeit des Wesens mit uns stellt.

Wem Jesu menschliche Art anstößig ist, wer eine Offenbarung Gottes wünscht und träumt, die nicht im Fleisch ihr Werkzeug haben darf, der will vollends dann, wenn das Himmelreich mit Macht anbricht und die Herrlichkeit Gottes sich offenbart, vom Fleische Christi nichts mehr wissen. Johannes dagegen richtet auch den hoffenden Blick der Gemeinde auf den Menschen Jesus hin, der nicht nur für eine kurze Frist und zum Schein uns gleich geworden ist, sondern in unserer Art die unzerstörbare, ewige Gestalt seines Sohnes hat. Er, der Mensch wie wir ist, und darum wie wir im Fleische sein Leben hat, er, kein anderer ist's, der uns in Gottes Macht verklären und die Welt mit Gottes Herrlichkeit erfüllen wird.

Wer sie vom Menschen Jesus, wie ihn die Jünger kannten, ablenkt und ihr Glauben und Hoffen auf einen anderen Grund hinsetzt, der zerstört, was Johannes erarbeitet hat. Er hat sich Mühe gegeben, sie mit Jesus bekannt zu machen und ihren Glauben fest an ihn zu heften; die Verführer dagegen verachten Jesu Amt und Werk. Darum mahnt Johannes: habt acht auf euch, dass ihr nicht verderbet, was wir erarbeitet haben (V. 8). Dadurch bringen sie nicht bloß den Apostel um die Freude, die er an seinen Kindern hat, wenn sie in der Wahrheit bleiben und durch sie erlöst und geheiligt sind, und machen nicht bloß seine Arbeit vergeblich und unfruchtbar, sondern sie bringen dadurch auch sich selbst in Gefahr und machen ihr eigenes Leben und Streben eitel und leer. Darum fährt er fort: sondern vollen Lohn gewinnt. Wenn sie das Wort des Apostels bewahren und durch dasselbe Jesus untergeben bleiben, dann verfließt ihr Leben nicht nutzlos und umsonst; dann ist es ein Dienst, der Gott getan ist und den er ihnen nach seiner reichen Gnade lohnt. Vollen Lohn möchte ihnen Johannes gönnen und verschaffen und sie davor beschirmen, dass sie sich denselben schmälern und verkürzen. Darum kämpft er gegen die finsteren, verführerischen Gedanken, dass sie ja keinen Eingang bei ihnen finden; denn an ihnen würde sich ihr Glaube und ihre Liebe schwächen und beflecken und es entginge ihnen, auch wenn sie sich nicht ganz von Jesus scheiden, doch der volle Lohn.

Johannes erinnert wieder wie im ersten Brief daran, dass, wer Jesus verliert, auch Gott verloren hat. Wer voranläuft und in der Lehre Christi nicht bleibt, hat Gott nicht (V. 9). Der Beruf und die Art des rechten Jüngers ist, dass er seinem Herrn nachfolgt. Des Herrn Sache ist's, voranzugehen; der Jünger dagegen geht ihm nach, folgt seiner Weisung, hält sich an sein Wort und macht des Meisters Weg zum seinigen. Die stolzen Geister gehen aber ihren eigenen Weg, laufen ohne seine Führung nach den Gedanken ihres eigenen Herzens voran, und sind stark und weise, um sich selbst zu führen und sich selbst zu Gott emporzuschwingen. So bleiben sie nicht in Christi Lehre, sondern geben diese gegen neue und fremde Worte her, und das trennt sie nicht nur von Christus, sondern zugleich von Gott. So hat es uns Johannes auch im ersten Brief gesagt.

Wer sich Gottes rühmt und zugleich Jesus schilt, Gott für sich haben will und sich zugleich Jesus widersetzt, den nehmet nicht ins Haus und heißt ihn nicht willkommen. Johannes verlangt Ernst und Wahrhaftigkeit in allen Stücken, auch in der Abwehr der verdorbenen Frömmigkeit und des verkehrten Evangeliums. Sie darf sich nicht nur in Worten äußern, sondern soll Tat werden, dadurch dass wir also Gemeinschaft mit seinen Boten und Verkündigern aufheben. Das will Johannes nicht nur deswegen, damit die Christenheit sich selber schütze und verhüte, dass sie unmerklich in diese finsteren Gedanken hineingerissen und in die unlautere Frömmigkeit hinübergezogen werde, sondern er will vor allem, dass sie nicht Anteil haben an den bösen Werken (V. 11). Wer jenen Boten einer falschen Frömmigkeit Liebe und Hilfe erweist, der fördert auch ihr Werk und unterstützt sie in ihrem Zweck. Wir dürfen aber nicht mithelfen bei irgend einem Werk, das Christus verdunkelt und seinem Werk und Wort entgegentritt.

Das ist kein hartes Wort. Hätte Johannes einen solchen Verführer in einer ähnlichen Lage getroffen wie z.B. der Samariter jenen Juden fand, so hätte er ihm in aller Bereitwilligkeit auch getan, was der Samariter dem Juden tat. Diese Verführer wollten aber nicht deswegen ins Haus genommen und willkommen geheißen sein, weil sie der Hilfe und Gabe bedürftig waren, sondern sie zogen von Haus zu Haus und von Gemeinde zu Gemeinde, um für ihre neuen Gedanken Jünger zu suchen und ihre besondere Frömmigkeit auszubreiten und ihr in den Gemeinden Geltung und Herrschaft zu verschaffen. Es war ein böses Werk, um deswillen sie an die Türe klopften; es wäre für den Apostel ein großer Schmerz gewesen, wenn die Leute, an die er schreibt, ihnen dieselbe geöffnet hätten.

Johannes braucht nicht von uns zu lernen, was Liebe ist, sondern wir lernen es von ihm. Seine Liebe hat aber ihre Art darin, dass sie in der Wahrheit lebt und handelt, und sie hat mit der Verleugnung derselben nichts gemein. Dem, der sich selbst und andere irre führt, erweist man nicht dadurch Liebe, dass man ihn hierbei unterstützt und so tut, als ob sein Irrweg unschädlich sei, sondern dadurch, dass ihm ernst und fest gezeigt wird, dass sein Wort böse ist, und ihn von denen, welche Christum kennen und ihm redlich dienen, gänzlich trennt. Das ist die Gemeinde nicht nur denen schuldig, welche der Verführung zugänglich sind und sich leicht durch sie blenden lassen, sondern auch den Verführern selbst.

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