1. Petrus4,8
Andachten
Sei nun mäßig und nüchtern zum Gebet
Das Gebet ist das sicherste Mittel alles geistlichen Wachstums; aus dem Bekenntnis der Sünde wird die Demut immer neu geboren; der Glaube belebt sich in Ergreifung der Verheißungen Gottes; die Hoffnung wird freudiger im Vorgenuss ihres einstigen Besitzes, und im Anschauen dessen, den die Seele liebt, wird diese Liebe immer inniger und wächst mit der Erfahrung der Vergebung (Luk. 7,47).Je tiefer die Seele in das Geheimnis der ewigen Liebe hineinschaut, um so viel herrlicher, anbetungswürdiger wird ihr ihr Gott und Herr; sein Anschauen wird ihr liebe Lust, die Dinge der Welt erscheinen ihr mehr schal und wertlos, und ihr ganzes Verlangen geht dahin, mit ihrem Herrn völlig vereint zu sein. Darf es uns wundern, dass wir so wenig Christusähnlichkeit an uns haben, da wir so wenig beten, d.h. seine Gemeinschaft suchen, und es so oft zu vergessen scheinen, dass er alle seine Gaben an das gläubige Gebet knüpft? „Was ihr bitten werdet, das will ich tun.“, versichert er.
Damit wir ohne Unterlass beten können, wozu uns Gottes Wort immer wieder ermahnt, gilt es mäßig, nüchtern oder wachsam zu sein. Die List des Satans geht vor allem dahin, die Quelle des Gebets in uns zu verstopfen, und er weiß, dass das sicherste Mittel dazu eine gewisse Berauschung ist. Sobald wir die ernste Aufmerksamkeit auf uns selbst verlieren und durch irgend einen Genuss unter die Herrschaft sinnlicher oder natürlicher Neigungen geraten, sind wir machtlos in der Versuchung. Wir verlieren die Fähigkeit der Prüfung und sind unzugänglich für die Leitung des Heiligen Geistes. O, seien wir wohl auf unserer Hut! Lasst uns meiden jede Zerstreuung, die - unter dem Vorgeben größerer Freiheit - den Ernst des inneren Lebens unterbricht. Die Nüchternheit und der Trieb zum Gebet sei uns der Maßstab des Erlaubten und Unerlaubten. Wehe uns, wenn wir diese innere Richterstimme betäuben! (Hermann Heinrich Grafe)
Wie Petrus, nachdem er seinen Herrn verleugnet hatte, an das Wort desselben dachte: „Ehe denn der Hahn kräht, wirst du mich drei Mal verleugnen!“ so hat er auch, nachdem er sich bekehrt hatte, an das Wort des Herrn gedacht: „Wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder!“ Er ist wacker gewesen und hat seine Brüder gestärkt mündlich und schriftlich. Seine beiden Briefe sind recht eigentlich zur Stärkung der Brüder geschrieben. So denn auch das Wort 1 Petr. 4,8: „Seid mäßig und nüchtern zum Gebet.“ Für Christen, welche der Heiland beten gelehrt, und in deren Herzen Gott den Geist seines Sohnes gesandt hat, welcher schreit: Abba, lieber Vater! sollte es weiter keiner besonderen Ermahnung zum Gebet bedürfen. Wie es ganz unkindlich wäre, wenn ein Kind nicht zu seinem Vater redete, ihm nicht seines Herzens Freude und Leid offenbarte, ihn nicht um Unterweisung, Trost, Rat und Hilfe anspräche, ihm nicht für das empfangene Gute dankte und für die begangenen Fehler Abbitte täte: so unchristlich wäre es, wenn ein Christ nicht täglich seinem himmlischen Vater Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung opferte. Durch das Gebet wird man vor der Entfernung von Gott bewahrt, bleibt mit ihm in vertraulichem Umgang, lernt vor ihm wandeln und fromm sein, und wird stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. - Aber des Apostels Zuspruch: „Seid mäßig und nüchtern zum Gebet!“ ist nicht sowohl eine Ermahnung zum Gebet, als eine Ermahnung zu dem, was erforderlich ist, um recht beten zu können, nämlich zur Mäßigkeit und Nüchternheit; wie denn der Heiland eben dazu ermahnt, wenn er vor dem Gegenteil warnt: „Hütet euch, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen!“ und der Apostel Paulus, wenn er schreibt: „Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche wider die Seele streiten.“ Zum Gebet macht nichts unlustiger und untauglicher als ein Herz voll irdischer Sorgen und weltlicher Lüste, ein Kopf voll eitler Gedanken und unreiner Bilder, und ein Leib voll Speisen und Getränken. Die Regel für des Leibes Gesundheit: „Mein Kind, prüfe, was deinem Leibe gesund ist, und was ihm ungesund ist, das gib ihm nicht!“ nimm dir auch zur Regel für der Seele Gesundheit. Was ihr ungesund ist, das gib ihr nicht, dessen enthalte dich. Was etwa andere vertragen können, das kannst du nicht vertragen. Es gibt auch im Christentum verschiedene Lebensalter; Kinder, Jünglinge und Väter. Das nimm auch in Betracht bei der Prüfung dessen, was für deine Seele gesund oder ungesund ist. Alles, was dich so zerstreut, dass du deinen Gott hinterher im Gebet nicht wieder finden kannst; was dir den Geschmack am Worte Gottes verdirbt; was dich träge und lässig zum Guten macht; das ist dir ungesund, es habe Namen, welchen es wolle, es sei nun von leiblicher oder von geistlicher Art. Darum seid mäßig und nüchtern, beides leiblich und geistlich. Leiblich, weil Leib und Seele in diesem Leibesleben zu genau verbunden sind, als dass der Geist von dem unberührt bliebe, was den Leib beschwert; geistlich, weil Zerstreuungen, Sorgen und Leidenschaften den Geist verwirren und berauschen. Seid aber beides leiblich und geistlich nüchtern zum Gebet, um wachen und beten zu können, dass ihr nicht vom Wege des Lebens abweicht und euer Ziel aus den Augen verliert. Betet, dass Gott seine Hand nicht von euch abziehe, dass er das in euch angefangene Wert durch nichts in der Welt wolle rückgängig werden oder in Stillstand geraten lassen, sondern ihm einen guten Fortgang verleihe. Betet, dass er durch seinen Geist euch wachsen lasse in der Erkenntnis, und durch Erkenntnis alles des Guten, das ihr in Christo habt, euren Glauben vermehre, und die Liebe völlig werden lasse. Betet um christliche Weisheit und Besonnenheit im Glück; um Geduld und Vertrauen in Trübsal; um Kraft, sowohl den Reizungen als den Drohungen des Bösen zu widerstehen. Kurz, weil jeder Tag große entscheidende Ereignisse über euch herbeiführen, jeder Tag eurer Tage Ende bringen kann, so finde euch jeder Tag mäßig und nüchtern zum Gebet. (Carl Philipp Johann Spitta)
Seid mäßig und nüchtern im Gebet.
Jedes Übermaß schadet. Ob wir bemittelt oder unbemittelt sind, kommt hier nicht in Betracht, unsere Kindschaft nur gibt den Ausschlag. Unmäßigkeit verdirbt Leib und Seele. Im Essen und Trinken, im ehelichen Umgang, im Reden, in Kleidung und Wohnung, im häuslichen und gesellschaftlichen Leben muss jede Üppigkeit gemieden und ausgeschlossen werden. Auch in der Freude und in der Trauer gilt es mäßig zu sein. Jedes Übermaß schadet auch auf diesen Gebieten. Wer allzu fröhlich ist, wird leichtsinnig und oberflächlich und löscht mit sinnlicher Freude den Geist aus. Traurigkeit kann leicht in Trübsinn und Schwermut umschlagen und dazu führen, dass wir unsere Pflichten gegen Mitjünger vergessen. Sobald Christen in dumpfes, stumpfes Wesen sinken, ist ihre Traurigkeit übermäßig. Lass dich durch die Gnade zum richtigen Maß führen. Auch in der Arbeit und in der Erholung gilt es mäßig zu sein. Lass dich von deiner Arbeit nicht verschlingen, du könntest schließlich an Leib und Seele zugrunde gehn. Dasselbe gilt von der Erholung, von Ruhe und Schlaf, von Ausspannung und Untätigkeit; wer hierin des Guten zu viel tut, versündigt sich. Darum sei mäßig in allen Dingen! Zucht müssen Gottes Kinder üben. Der Fortschritt im Geistesleben hängt wesentlich vom Gehorsam ab. Wer gehorchen kann, der kann auch regieren; wer aber dem Geiste Gottes eitel Mühe macht, aus dem wird nichts Rechtes. Der Herr will nüchterne und auf die Verwirklichung Seines Wortes hoffende Christen haben. (Markus Hauser)
“So seid nun mäßig und nüchtern zum Gebet.“
Kann man denn auch unmäßig und unnüchtern im Gebet sein? Die Gefahr liegt auf den vom Gebet freien Zeiten, mögen das Augenblicke oder Stunden sein. (Ganze gebetslose Tage wird wohl kein Leser dieser Zeilen mehr kennen.) Wenn da ein hochfahrendes, übermütiges oder weltseliges Treiben, eine seelische Zuchtlosigkeit und Trunkenheit den Menschen gefangen nimmt, wird sich der zum Gebet abgerungene Augenblick auch nicht gleich mit den reinsten Gaben des Heiligen Geistes füllen. Darum ist die Mahnung: lebe so in allen Dingen, dass du allezeit beten könntest! Wer das Allezeit-Beten versäumt, wird bald in eine innere Verstimmung gegen das Beten überhaupt hineingeraten, so dass es ihm fremd und unmöglich wird zu beten. Dann kann leicht die Folge sein, dass er ohne Unterlass versäumen wird zu beten, bis er den Schlüssel zum Gebetstürlein seiner Seele verliert und ein gebetsloses Leben führt. Daher ist die Mahnung berechtigt, sich für sein Beten zu rüsten und nicht selbst allerlei Schutt vor dem Gebetskämmerlein aufzuhäufen. Steht aber das sonstige Leben mit dem Beten in geradem, gesundem Verhältnis, so wird uns das Beten das selbstverständlichste Ding sein, das wir ohne Unterlass treiben können.
Herr, lehre du mich bei meinem Leben und Treiben daran denken, dass ich ein Beter sein will. Erinnere mich draußen an das Geheimnis mit dir im Kämmerlein. Segne mein Gebet und gib mir den Geist des Gebetes. Amen. (Samuel Keller)
“Die Liebe deckt auch der Sünden Menge.“
Nicht meine Liebe, nicht meine Sünden, nicht vor Gott. Der Zusammenhang zeigt deutlich, dass Bruderliebe gemeint ist, die nicht Wohlgefallen daran hat, des Bruders Sünden aufzudecken, sondern zuzudecken. Wer noch meint, er müsse andere herabsetzen und als Unreine darstellen, damit dadurch seine Reinheit gehoben werde, der kann gar nicht anders als nach geheimen Flecken des anderen spüren. Ist der andere noch dazu ein Nebenbuhler um Gunst oder Ehre vor den Brüdern, oder neidet man ihm seine unbestreitbaren Vorzüge, oder hat er uns sehr weh getan, so freut sich der lieblose Christ, jenen geheimen Schmutz ans Licht zu ziehen - auch wenn die volle Sicherheit des Beweises noch fehlt. Oder man möchte durch solche Offenbarung seine unbrüderliche Stellung entschuldigen und begründen; man protzt mit dem scharfen Gewissen, das einem nicht gestatte, dergleichen zu dulden. Wie hebt sich davon das schlichte Wort ab: Die Liebe deckt auch der Sünden Menge! Wie wohl tut es uns, wenn jemand trotz unserer Mängel uns sehr liebt und überall verteidigt. Wie weh taten wir manchem durch rücksichtsloses Aufdecken seiner schmerzenden Stellen. Hast du in diesem Punkte nichts zu bereuen?
Herr, gehe nicht ins Gericht mit mir, wie ich es mit meinem Nächsten oft getan habe. Vergib mir jene Härte und lehre mich die Liebe, die zudecken kann. Ich brauche solche Liebe; zünde sie in meiner Seele an. Amen. (Samuel Keller)
Vor allen Dingen aber habt unter einander eine brünstige Liebe; denn die Liebe deckt auch der Sünden Menge.
„Die Liebe deckt auch der Sünden Menge“. In der römischen Kirche will man dieser Stelle den Sinn unterschieben, als ob die Liebe unsere Sünden vor Gott zudecke. Treffend bemerkt dagegen Luther: „Das Decken ist gemeint gegen den Nächsten, nicht gegen Gott. Die Sünde soll dir vor Gott niemand decken als der Glaube. Aber meines Nächsten Sünde deckt meine Liebe, und gleichwie Gott meine Sünde deckt mit seiner Liebe, wenn ich glaube, so soll ich meines Nächsten Sünde auch decken“.
„Die Liebe deckt auch der Sünden Menge“. Die Liebe hat einmal die Gnade, dass ihr die dunklen Punkte nicht schwärzer erscheinen, als sie sind, und dann ist sie voll Schonung, voll Milde. Wie man seine eigenen Fehler nicht geflissentlich jedermann vor Augen legt, und wie eine Familie, wenn irgend ein Glied etwas Unziemliches getan hat, durch Schweigen die üblen Folgen nach außen abzuhalten sucht, so handelt auch der Christ gegen seinen fehlenden Bruder. Der natürliche Mensch findet einen besonderen Genuss darin, die Schwächen und Gebrechen des Andern zu besprechen, zu vergrößern und noch ärger zu machen. Der Christ schweigt, so lange er nicht reden muss. Das ist freilich nicht so zu verstehen, als ob ihm alles recht sein müsse, und als ob man der Sünde gar nicht entgegentreten dürfe. Unrecht bleibt ihm Unrecht; aber daran stirbt seine Liebe nicht; denn die Liebe ist stark und kann auch das Schwerste tragen. Und wenn es ihm zukommt, zu reden und zu handeln, damit ein irrender Bruder, der in der Herzensverhärtung beharren will, wieder aufgeweckt und aufgerüttelt werde, so wird er es nicht unterlassen. Aber es wird sein Ernst von einer Liebe getragen sein, die auch da, wo sie wehe tun muss, zugleich beruhigt und erhebt. Und was vermag eine solche Liebe nicht! Die Liebe deckt der Sünden Menge. Sie hilft den Irrenden wieder zurecht und nimmt so die Sünde aus der Mitte, macht sie verschwinden. „Liebe“, sagt Luther „kann nicht hassen, noch jemand feind sein. So böse kann mans nicht machen, sie kann es alles ertragen; so viel mag nicht wider sie gesündigt werden, sie kann es alles decken; so hoch wird sie nicht erzürnt, sie kann es vergeben“.
Und mit diesem letzten Wort sind wir auf die höchste Probe der Liebe hingewiesen. Es sind im Verkehr mit den Brüdern nicht bloß Schwächen zu tragen, sondern man kann in seiner guten Absicht verkannt, man kann beleidigt, verlegt werden. Das tut im ersten Augenblick wehe, und denket man auch nicht an Wiedervergeltung, so findet man es doch natürlich, die Gemeinschaft abzubrechen. Aber die Liebe deckt der Sünden Menge; sie kämpft die sich regende Bitterkeit nieder; sie überwindet sich selbst und vergibt. Und das ist ihr schönster Sieg. Wenn es schön ist, wohlzutun, so ist es noch schöner, eine Beleidigung zu verzeihen. Das ist die größte Kunst der Liebe, die Kränkung zu fühlen und sie doch zugleich vergessen zu können, doch zugleich dem Beleidiger mit der Versöhnung im Auge entgegen zu kommen. Wer noch nicht vergeben hat, der hat auch noch nicht die höchste Gewalt und die höchste Seligkeit der Liebe empfunden. Und nichts knüpft die Liebe fester als die Vergebung. Die sich vergeben haben und sich vergeben wissen, die stehen mit einer reinen und keuschen Liebe einander gegenüber, als ob sie erst jetzt sich gefunden und erkannt hätten.
Vergesst nie, dass der Mensch selbst immer noch mehr wert ist als seine Sünde und seine Fehler. Vergebt einander; erst im Vergeben werden wir dem Herrn ähnlich, erst im Vergeben wird ganz der Frieden uns zu eigen, der aus seinem Herzen kommt. (Kunel)