1. Petrus 2,22
Andachten
Ist auch kein Betrug in Seinem Munde erfunden.
Wie selten, und um so schöner wegen seiner Seltenheit, ist ein Geist ohne Falsch! Er ist einem kristallenen Körper gleich, durch welchen das Himmelslicht ein- und ausgeht; offen, redlich, gerecht, edel, aufrichtig, jede unredliche Handlung, jeden falschen Vorwand, jede kleinliche Bemäntelung verschmähend. Wo solche Charaktere zu finden sind, da sind sie wie goldene Äpfel in silbernen Schalen.
Ein Solcher, in der ganzen Lieblichkeit sündloser Vollkommenheit, war der Sohn Gottes! Der Mangel aller Falschheit in Ihm wurde nur noch auffallender durch den listigen, böswilligen Scharfsinn der Menschen und Teufel, der ihn umgab. Viele Beispiele dieser Gesinnung, während Seines Lehramtes übergehend, blicken wir nur auf die Kundgebung derselben beim Herannahen Seiner Todesstunde. Als Er in der Nacht Seiner Gefangennehmung der meuchelmörderischen Rotte gegenübersteht, fragt Er sie in sanftmütiger Majestät, Wen sucht ihr? Sie antworteten, Jesum von Nazareth. In vollkommener Offenheit entgegnet Er: Ich bin es! Bist du der Juden König? fragt Ihn Pilatus ein paar Stunden später. Eine ausweichende Antwort hätte Ihm viel Leiden und Schmach erspart, doch wieder jeden Anschein einer Täuschung von Sich weisend, spricht Er, Du sagst es!
Wie liebte Er dieselbe Gesinnung bei den Seinen! Siehe, sagt Er von Nathanael, ein rechter Israeliter, in welchem kein Falsch ist! Jener aufrichtige Mann hatte gewiss von Tag zu Tage unter dem Feigenbaum betend gekniet, dem Gesetze, das er lehrte, mit biederem und aufrichtigem Geiste nachsinnend, und auf den Herrn, den er liebte, harrend. Wie ehrt ihn der Heiland; und bestätigt die Lieblichkeit dieser Gesinnung durch diese Aussage! Nehmen wir noch ein Beispiel: als Er den Jüngern die erschreckende, traurige Mitteilung macht: „Einer unter euch wird mich verraten“, so beschuldigen sie einander nicht; Keiner sucht den Verdacht auf Judas zu wenden, Jeder misstraut nur seinem eigenen verräterischen Herzen, Herr, bin ich es?
Welch' ein ganz anderer Sinn ist es, der zumeist in der Welt herrscht! In der Schule dieser eitlen Welt gibt es so Vieles, was Klugheit genannt wird, aber eigentlich Betrug ist! Durch unredliche Mittel den Zweck zu erreichen, eine äußerliche, künstliche Klugheit, welche oft nur die Niederträchtigkeit und die Selbstsucht bemäntelt, da Einer den Andern im täglichen Verkehr durch schlaue Künste zu überbieten trachtet und seine Grundsätze dem zeitlichen Vorteil opfert. Nichts verunglimpft die Religion so sehr, als wenn sich irgend Etwas, was einer solchen Gesinnung ähnlich sieht, im Volk des Herrn, wenn sich solche Flecken auf den Briefen Christi finden lassen.
Ihr seid das Licht der Welt. Jene Welt ist eine scharfe Beobachterin. Mit großer Schärfe entdeckt sie Widersprüche, schwer vergisst sie dieselben. Man hat den wahren Christen einem Anagramm verglichen, man sollte ihn von jeder Richtung aus lesen können! Sei ganz Wirklichkeit, keine Täuschung. Gib kein falsches Metall als gangbare Münze aus. Lass das reinste Ehrgefühl und die vollkommenste Aufrichtigkeit alle deine Handlungen leiten; verachte jede Niedrigkeit; meide den unreinen Beweggrund, das versteckte Verfahren; strebe nach jener unwandelbaren Liebe zur Wahrheit, welche es verabscheuen würde, sich zu niederen Zugeständnissen an die Lüge und unwürdigen Zweideutigkeiten herabzulassen; unterwirf dein Leben dem heiligenden und veredelnden Einflusse des Evangeliums. Mache seine goldene Regel zur täglichen Richtschnur deines Wandels: Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen. (John Ross MacDuff)