Jakobus 5,10
Andachten
Nehmt, meine lieben Brüder, zum Exempel des Leidens und der Geduld die Propheten, die zu euch geredet haben in dem ;Namen des Herrn.
Das Leiden der Propheten war ein Leiden in einer und für eine Gemeinschaft. Solch ein Leiden ist ein Leiden höherer Natur, und erinnert gleich an das Leiden Christi. Tränen, die wir für Andere weinen, sind edlere, als die wir für uns selber weinen. Es sind dies Tränen der Liebe, und solch eine Liebe hat auch eine Geduld, die fest bleibt bis ans Ende. Darum uns hier die Propheten als Exempel des Leidens und der Geduld vorgestellt werden. Jene Gottesmänner wurden meistens in Zeiten bürgerlicher und geistiger Zerrüttung von Gott erweckt, und ihre Donnerworte fielen nieder auf die Sünde, reinigten aber auch den Boden, den die Sünde angegriffen hatte. Wenn wir dem Geistesstrom der Prophetenworte folgen, so ist es, als umziehe sich der Horizont und als sammelten sich lauter Wolkenlasten um uns, in denen Gottes Gerichte sich bergen. Diese Gerichte müssen sich entladen, und Trübsal und Angst auf ein widerspenstiges Volk bringen, das in entsetzlicher Gottentfremdung dahin lebt und den Fluch haben will, der ihm auch werden soll. Aber inmitten dieser Entladung der göttlichen Strafgerechtigkeit lässt sich doch ein stilles Seufzen nicht verkennen. Es steigt dies aus der Brust der Treuen im Lande, die, obwohl nur ein armes, geringes Volk, doch der Kern und der heilige Same sind, der das Leben des abgestoßenen Stammes der Eiche fortsetzt, die nur nach oben hin zerschlagen, aber nicht mit der Wurzel ist ausgerissen worden. Die Lippen der Propheten, nach den letzten Donnern des Gesetzes, werden milder, ihre tränenden Augen wenden von dem Ruin der Gegenwart sich weg, und schauen über Jahre und Jahrhunderte hinaus in eine Zukunft, wo die Berge mit süßem Wein triefen und die Hügel mit Milch fließen, und alle Bäche in Juda voll Wassers gehen werden, und eine Quelle vom Hause des Herrn herausbrechen und das Todestal wässern wird. Wer versteht die Propheten? Gewiss nur der, auf dessen Sündenhaupt die Blitze Gottes herniedergefallen sind, und in dessen gebrochenem Herzen die Gnade ihr ewiges Reich angebahnt hat, bis sie es herrlich vollende. (Friedrich Lobstein)