1. Thessalonicher 5,21
Andachten
Prüft alles, und das Gute behaltet.
Das Wort Gottes ist ein Richter der Gedanken und Sinnen des Herzens (Hebr. 4,12.). Es ist die rechte Lehre (Ps. 93,5.); denn es ist das Wort der Wahrheit, und nichts denn Wahrheit (Ps. 119,33.160.). Dieses Wort sollen wir mit Sanftmut annehmen (Jak. 1,21.), nicht als Menschen Wort, sondern, wie es denn wahrhaftig ist, als Gottes Wort (1 Thess. 2,13.). Dieses Wort ist uns nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung und Züchtigung in der Gerechtigkeit. Aus diesem Worte lernen wir die Wahrheit zur Gottseligkeit auf Hoffnung des ewigen Lebens. Was Gott durch sein Wort zu uns redet, das sollen wir ohne Widerrede annehmen, glauben und befolgen; nichts davon und nichts dazu tun; es weder verkürzen noch verfälschen, sondern wie es geschrieben steht, ganz, lauter und rein bewahren. Dagegen aber was Menschen setzen und sagen, das sollen wir prüfen: ob es wahr, ob es ganz wahr, oder halb wahr, oder unwahr sei. Denn Menschen fehlen mannigfaltig. Irren ist menschlich. In der Menschen Gedanken, Sinne, Reden, Schriften und Bücher schleicht sich gar leicht die Weisheit ein, die nicht von oben herab kommt, sondern irdisch, menschlich und teuflisch ist. Als Petrus im besten menschlichen Wohlmeinen dem Herrn ernstlich zuredete, sein selbst zu schonen, sprach der Herr zu ihm: „Hebe dich, Satan, von mir! du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“ Wenn sich's aber so verhält, wäre es dann nicht am Besten für den Christen, dass er sich lediglich an Gottes Wort hielte, und alles, was Menschen setzen und sagen, schreiben und drucken, ungehört, unbeachtet und ungelesen ließe? Nicht so. Da würden wir viel Gutes und Nützliches, was der Geber aller guten Gabe uns durch Menschen zuwendet, verschmähen, und Gottes Gabe verachten. Unter den Christen zu Thessalonich hatten etliche die Gabe der Weissagung. Davon schrieb ihnen der Apostel 1 Thess. 5,20: „Die Weissagung verachtet nicht.“ Aber weil sich in solche Weissagungen leicht etwas Menschliches einmischen konnte, so stellte er ihnen sogleich 1 Thess. 5,21. eine Warnungstafel dabei mit den Worten: „Prüft alles und das Gute behaltet.“ Prüft alles an dem Prüfstein der Wahrheit, an dem Wort Gottes, und was diese Probe aushält, was der heilsamen Lehre nicht zuwider, sondern ihr gemäß ist, das ist etwas Gutes, das verachtet nicht, das werft nicht weg, sondern beachtet und behaltet es. So werden wir gewarnt, sowohl vor Verachtung, als vor ungebührlicher Hochachtung menschlicher Worte, Reden, Schriften und Bücher. Sollen wir einander dienen mit der Gabe, die wir empfangen haben, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes, so ist es auch der göttlichen Ordnung gemäß, dass wir, was uns von anderen Gutes in Rat, Lehre und Anweisung geboten wird, nicht verachten noch verschmähen. Aber weil wir wissen, dass viele falsche Geister ausgegangen sind in die Welt, die mit erdichteten Worten hantieren und in Gleißnerei Lügenredner sind; weil der Geist deutlich sagt, dass in den letzten Zeiten werden etliche von dem Glauben abtreten und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren der Teufel; oder schon darum, weil wir wissen, wie mannigfaltig wir alle fehlen: sollen wir ja menschliches Wort stets nach göttlichem Worte prüfen, und durch dieses geübte Sinne uns erwerben zum Unterschiede des Guten und Bösen. (Carl Johann Philipp Spitta)
So gewiss das Evangelium alles durchdringen und kein Lebensgebiet ihm verschlossen bleiben, so gewiss es mit dem Menschen dahin kommen soll, dass er in allen Lebenslagen und Verhältnissen vom Geiste Christi durchdrungen ist: so gewiss müssen wir es doch als ein grobes Unwesen bezeichnen, wenn das Wort des Evangeliums auf Gebiete gezogen wird, die diesen heiligenden Einfluss noch gar nicht erfahren haben. So gebrauchen viele Menschen, die sonst vom Worte Gottes wenig wissen, einzelne Aussprüche desselben, auch wo es sich um ganz triviale Gegenstände handelt. Dieser oder Jener wird ein starker Nimrod vor dem Herrn genannt; mit affektiertem Mitleid wendet man das Wort an: Sie wissen nicht, was sie tun. In gleicher Weise gebraucht man nicht selten Aussprüche der Schrift als Mottos von Büchern und Abhandlungen, die durchaus unchristlich und ungeistlich sind. Zu diesen gehört das Wort: „Prüft Alles und das Gute behaltet!“ Wir wollen hier vornämlich diejenigen warnen, die sonst das Wort Gottes nicht als eine Fundgrube des Witzes oder eine Schatzkammer für Mottos zu betrachten pflegen. Wir geben durch eine solche anscheinend unschuldige Benutzung der Schrift den Ungläubigen einen Anlass zu argem Missbrauch derselben. Blicken wir aber auf das hier besonders gemeinte Wort, so hat dasselbe ursprünglich keineswegs eine so allgemeine Bedeutung; der Apostel wendet es höchst gewichtig auf einen bestimmten Gegenstand an. Er redet von den in der ersten Gemeinde vorkommenden außerordentlichen Geistesgaben. Für diejenige unter ihnen, welche man die Gabe der Weissagung nannte und welche eine höhere Erhebung des Geistes und Herzens voraussetzte, scheinen die Thessalonicher nicht so sehr eingenommen gewesen zu sein, sondern vielmehr sie etwas argwöhnisch betrachtet zu haben. Sie bildeten darin das gerade Gegenstück zu den Korinthern. Dies tadelt der Apostel als nicht gehörig; sie sollten vielmehr alle diese außerordentlichen Tätigkeiten prüfen und sich das Gute d. h. das für ihr höheres Leben Ersprießliche daraus aneignen. So war aber keineswegs der Gegenstand des Glaubens unter ihre Wahl gestellt, sondern bloß die Weise seines Vortrags. Für jenen hatten die Lehrer den festen Maßstab in dem Worte Gottes, für diese bedurften sie jene besondere Fähigkeit, welche der Apostel I Kor. 12,10 nennt, die Gabe, Geister zu unterscheiden. Heut zu Tage wendet man aber jenes Wort Pauli gewöhnlich umgekehrt an und lässt ihn auch vom Glauben und Worte Gottes sagen: „Prüft Alles und das Gute behaltet.“ Danach musste es in ihm auch Nichtgutes geben und dem Menschen selbst die Entscheidung und Unterscheidung zustehen. Eine solche Stellung der Vernunft kennt aber die heilige Schrift nicht und kann sie auch, das bei leichtem Nachdenken sich ergibt, nicht kennen. Mit der Tätigkeit der Vernunft in Glaubenssachen verhält es sich nämlich so. Zum Sehen ist dreierlei erforderlich, das Auge, ein Gegenstand und das Licht. So ist's auch auf dem Gebiete des Glaubens; da ist das Auge die Vernunft. Wer nun meint, dass außer den göttlichen Gegenständen des Glaubens nur sie allein notwendig sei, der behauptet dasselbe, als wer da sagte: Ich kann sehen, wenn ich nur Augen habe und Gegenstände da sind. Den Letzteren würden wir leicht von seinem Irrtum überzeugen, wenn wir ihn Nachts in ein dunkles Zimmer führten. Man bedarf zum Glauben auch des Lichtes und dies ist die göttliche Offenbarung. Ein matter Schein desselben findet sich auch schon im Heidentum und im natürlichen Menschen, weil Gott sich einem unbezeugt gelassen hat. Die vollendete Offenbarung aber findet sich in dem, der sich selbst als das „Licht der Welt“ ankündigt. Hiernach ist klar, dass wer jenes Paulinische Wort auf die Schrift anwendete, dem gleicht, der, um sehen zu können, zuvor in die Sonne zu schauen und ihr Licht seiner Prüfung unterwerfen zu müssen glaubte. Er hüte sich hierbei, dass nicht an ihm in Erfüllung gehe: Röm. 1,22. „Da sie sich für weise halten, sind sie zu Narren worden.“ (Heinrich Matthias Sengelmann)