Philipper 2,3
Andachten
„durch Demut achte einer den andern höher, denn sich selbst.“
Ist es nicht sehr bezeichnend, dass in manchen Sprachen der Heiden die Missionare kein Wort für Demut finden konnten? Der Begriff, die Vorstellung davon fehlte; darum gab's auch kein Wort dafür. Ist es aber nicht ebenso bezeichnend, dass kein Vorwurf von der Welt gegen die Gläubigen so oft erhoben wird, als dass sie an geistlichem Hochmut leiden? Sollte das alles nur Missverständnis und Verwechslung mit dem berechtigten Hochgefühl der geretteten Christen sein? In einer Versammlung von mehreren hundert Reichsgottesarbeitern stritt man sich lange über ernste Fragen der Heiligung; plötzlich bat ein erfahrener Christ ums Wort und sagte nur: „Brüder, wenn ihr die Adresse eines wahrhaft demütigen und dabei tüchtigen Pfarrers, Missionars, Evangelisten oder Stadtmissionars kennt, so seid so gut und schreibt sie mir auf jenen Bogen, den ich auf den Tisch am Ausgang niedergelegt habe.“ Die Diskussion war zu Ende; jeder hatte nachzudenken bekommen, aber auf dem Bogen war später, wie ich mich überzeugte, keine einzige Adresse. Wo war der Demütige? Oder waren wir nicht demütig genug, einem andern dieses Lob zu spenden?
Herr, erbarme dich über uns! Wir leben doch alle von deiner Gnade; wir haben nichts, worauf wir uns was einbilden könnten. Ach, lass uns keine Demut heucheln, wenn wir sie nicht haben. Aber hilf uns, sie suchen. Amen. (Samuel Keller)
So wie wir wochenlang ein Fleckchen in unserem Garten vergeblich begießen werden, damit eine Pflanze darauf wachse, wenn noch gar keine Pflanze dasteht, so ermahnen wir auch vergeblich zum Wachsen in der Demut, wenn das Pflänzchen der Demut noch gar nicht steht in dem Garten unseres Herzens. Und wie wird also die Pflanze der Demut in unser Herz gepflanzt, meine geliebten Freunde? - Durch nichts anderes, als durch die Bekehrung, die Wiedergeburt, dadurch, dass wir Kinder Gottes werden. Ehe wir wiedergeboren sind, sind wir nicht demütig und können auch nicht demütig sein. Denn, wenn wir gerechtfertigt werden durch den Glauben an Christum, so tun wir zu gleicher Zeit Buße; wir erkennen uns als solche, die nichts Gutes getan haben und nichts Gutes tun können, und war etwas Gutes an uns vor unserer Bekehrung, wie sich davon mehr oder weniger bei einem jeden Menschen findet, so wissen wir nun, wir haben es nicht uns, sondern der Gnade Gottes zu verdanken. Ehe wir das erkannt haben, sind wir nicht demütig, wenn wir das aber einsehen, so wird uns früher oder später auch der Glaube an die Versöhnung geschenkt; der Glaube, dass Christus unsere Strafe getragen und für uns gestorben, dass wir selbst also nichts vor Gott zu bringen hatten, um dadurch gerechtfertigt zu werden, der macht es uns noch gewisser, dass in uns, d. h. in unserem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Die wahre Demut spricht sich daher in einem Wandel vor Gott und Menschen aus, dem die Überzeugung zu Grunde liegt: An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd; Was Christus mir gegeben, Das ist der Liebe wert!“ Amen. (Friedrich Emanuel Kleinschmidt)