Epheser 4,31
Andachten
Alle Bitterkeit und Lästerung sei ferne von euch. Seid untereinander freundlich und herzlich und vergebt Einer dem andern, gleichwie Gott euch vergeben hat in Christo.
Vergebt einer dem Andern. Und wie geschieht das? So zuerst, dass wir seine Fehler und Versehen absichtlich übersehen, schweigend darüber hinweggehen und sie zudecken mit der Liebe. Jeder hat ja seine Eigenheiten, besondere Härten in seiner Natur, und Jeder unter uns wird von einem Tag zum andern von diesen Eigenheiten des Nächsten verletzt und gehemmt. Wollten wir für sie jedes Mal Rechenschaft fordern, wollten wir für jedes heftige Wort um Verzeihung gebeten werden, so würde das gemeinsame Leben unmöglich, ja unerträglich werden. Wir kämen aus den Klagen nicht heraus, wollten wir alles auf die Goldwaage legen. Das ist vielmehr die rechte Christenkunst, dass wir nicht aus Schwäche, sondern in der Kraft der Liebe hier und dort die Augen schließen und absichtlich übersehen, was Einer etwa wider uns getan. Das ist das rechte Vergeben, ohne mit Worten das Geschehene zu berühren, das alte Vertrauen unverändert beweisen, und so reden und handeln, als wäre nichts geschehen, wie dort der Herr dem Jünger, als hätte er ihn nie erlebt, mit dem Wort entgegentrat: „Simon Johanna, hast du mich lieb? weide meine Schafe.“ Dahin aber kommen wir, wenn wir ein offenes Auge für das Gute an den Menschen haben. Dies Gute im Bösen suchen und sehen, das heißt vergeben. Nicht aus Schwäche, sondern in der göttlichen Liebe und Reinheit, die das Gute sucht und liebt, wo sie es findet; die, weil sie es selber im Bergen trägt, ein scharfes Auge dafür hat, auch im Schlechtesten noch. Nur wer selber innerlich rein und göttlich ist, nur der kann Milde üben gegen Andre. (Adolf Clemen)
Alle Bitterkeit, und Grimm, und Zorn, und Geschrei, und Lästerung sei ferne von euch, samt aller Bosheit.
Wie aus einem Schneeflocken, wenn er einmal im Rollen ist, eine Lawine wird, so kann aus einer bösen Regung, wenn man sie im Aufsteigen nicht bekämpft, eine ganze Welt von Ungerechtigkeit werden. Die Sünden, die hier genannt werden, kommen eine aus der andern hervor und werden immer gehässiger, je mehr man die vorige Regung duldet. Es ist schon eine offene Türe für den Feind, wenn er in einem Herzen ein Gefühl von Bitterkeit findet. Unter Bitterkeit verstehen wir ein verbissenes Gefühl von Ärger; es kann eine Feindschaft gegen eine Person, oder ein Widerwille gegen eine Pflicht sein, aber man lässt davon noch nichts merken. Hat jedoch die bittere Wurzel Grund gefunden, so wird daraus schon ein Grimm, d. h. ein Gefühl, das schon nach außen ausbricht. Der Grimm zeigt sich noch nicht in Worten, oder in Taten, aber doch schon auf dem Gesicht; ein grimmiges Herz hat schon etwas zu Leidenschaftliches, als dass es des Bösen in sich Meister wäre. Ein kochender Grimm wird aber bald ein auflodernder Zorn; der Vesuv ist nun am vollen Ausbrechen und die Sünde speit bereits Unheil über Unheil aus. Vielleicht war der Zorn zuerst nur ein Wort, in Gift und Galle getaucht; aber ein Wort ist dem Teufel nicht genug, er will, dass aus dem Zorn ein Geschrei herausfahre. Das sind die Zänkereien, die nun kommen, die Vorwürfe, die Scheltnamen, der Kot, mit dem man den Andern übergießt, den man verfluchen möchte. Das Geschrei des Zornigen geht aber noch weiter; es wird daraus Lästerung. Nichts macht blinder und ungerechter, als der Zorn; man geht dann von Haus zu Haus, schimpft über den Abwesenden los, lässt keinen guten Fleck an ihm und sucht Jedermann gegen ihn aufzuhetzen. Will man nicht solch ein Geschwader von Sünden auf sich laden, wie Paulus sie hier beschreibt, so trete man gleich anfangs der Schlange auf den Kopf; wenn der Wald brennt, kann man dem Funken nicht mehr nachlaufen. Woher kommen aber alle jene Giftäpfel, die Paulus uns genannt hat? Aus der Bosheit; auch diese tut ferne von euch, wo ihr euch über derselben ertappt. Die Bosheit ist das inwendige Grundverderben, das, was wir gewonnen haben durch unsern Fall. Auch in dem besten Sünder steckt eine Hölle des Bösen; ein Vulkan kann mit Blumen und Erdbeeren überdeckt sein, aber wer möchte an seinem Krater wohnen? Der Grund des Herzens muss ein anderer werden; dazu ist Christus da, und in der Bekehrung zu ihm wird dann auch der Grund anders. (Friedrich Lobstein)