2. Korinther 6,1
Andachten
“dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfanget.“
An dieser Wendung kann man sich wieder erinnern, dass Gnade nicht bloße Verzeihung ist, wie manche wähnen. Verzeihung wäre doch nicht vergeblich empfangen, wenn der Sünder nachher wieder zurückfiele und aufs neue um eine Vergebung bitten müsste; die alte Schuld war und blieb vergeben. Nein, Paulus hält die Gnade Gottes hier für etwas Positives, die Zusammenfassung der Heilsgüter: Kraft zu neuem Leben, geistliche Einnahmen aus der Höhe, Gelegenheiten zum Gutestun, Gaben und Aufgaben, Erkenntnisse und Antriebe. Und das alles soll in die Sackgasse deines selbstsüchtigen Andächtigseins fließen und sich da aufstauen? Dann hättest du die Gnade Gottes vergeblich empfangen. Die geistlichen Gnadengaben des neuen Lebens, die wir empfingen, zum Segen für unsere Umgebung, ja für die Welt, sind da. Wir müssen sinnen und suchen, wie wir sie wirksam machen für andere; dann werden sie ihren schönsten Segen auch für uns offenbaren. Haben wir da nicht oft schon viel versäumt und vergeblich Gnadenstunden gehabt, die durch unsere Schuld dem Reich Gottes nichts eingebracht haben und uns den Stachel des Vorwurfs zurückließen: Vergeblicher Segen durch mein Versäumnis!
Ach ja, Herr, wir haben alle genug Unterlassungssünden hinter uns, die du uns aus Erbarmen vergeben wolltest. Aber dann bitten wir, öffne uns die Augen, dass wir die Unterlassungen vor uns sehen und nicht wieder in den alten Fehler fallen. Mach uns treu! Amen. (Samuel Keller)
Wir ermahnen aber euch, als Mithelfer, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht: Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört, und habe dir am Tage des Heils geholfen. Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.
Das Leben ist ernst, wenn wir bedenken, dass wir die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen, sondern als treue Haushalter zu unserer Seligkeit benutzen sollen, damit wir einmal nicht zu Schanden werden in seinem Gerichte. Jetzt ist die angenehme Zeit, die Zeit, darin die Gnade Gottes uns gepredigt und angeboten wird. Jetzt ist der Tag des Heils; noch leuchtet das Licht des Heils, die Sonne der Gerechtigkeit, über unserm Haupte. Es kommt aber eine Zeit, wo die ausgestreckten Gnadenhände Gottes sich zurückziehen und verschließen. Es kommt eine Nacht, wo das Licht des Heils nicht mehr leuchtet, wo die Sonne der Gnade für uns untergegangen ist in Ewigkeit. Darum lasst uns unser Leben darauf ansehen und also führen, dass wir nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangen.
Aber die angenehmste Zeit, der helle, lichte Tag des Heils ist doch die Passionszeit. Hier schließt sich, wie zu keiner andern Zeit, das Vaterherz unsers Gottes vor uns auf. Hier lesen wir in diesem seinem Vaterherzen jene Wunderliebe, von der unser Herr Jesus selbst gesagt hat: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Hier wird die Gnade und die Barmherzigkeit unsers Heilandes uns so klar wie nimmer vor die Augen gemalt. Er zittert und zagt für uns, er lässt sich für uns binden und gefangen nehmen, er lässt sich verhöhnen und verspotten, geißeln und kreuzigen, damit wir Frieden hätten und durch seine Wunden geheilt würden. Er stirbt für uns den schmerzlichen und schmählichen Kreuzestod, damit wir in ihm Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit haben sollen. Seine Geburt ist der schöne Sonnenaufgang, da das Licht in die Finsternis scheint und mit seinen Strahlen die Nacht vertreibt. Die Sonne der Gnade steigt höher und immer höher in den Jahren seines Lehramtes. Aber der hohe und helle Mittag ist seine Passion. Da leuchtet die Sonne seiner Liebe am hellsten und am wärmsten. Das ist die angenehme Zeit, da uns Gott angenehm gemacht hat in dem Geliebten, in welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung unserer Sünden. Das ist der Tag des Heils, der nach der Nacht der Sünde und des Todes für uns arme Sünder aufgegangen ist.
Eine solche angenehme Zeit, ein solcher Tag des Heils ist aber auch die Passionszeit jedes Kirchenjahres, wenn wir sie im Glauben feiern. Das Wort vom Kreuze klingt gerade in dieser Zeit am kräftigsten und eindringlichsten. Der Lebenshauch des heiligen Geistes wehet frisch und kräftig vom Marterhügel, um die toten Gebeine lebendig zu machen. Ströme des Lebens ergießen sich in dem Blute des Lammes vom Kreuze auf Golgatha nach allen Seiten, um die Wüste fruchtbar und blühend zu machen. Der heilige Geist klopft in diesen Tagen stärker als jemals an unser Herz. Die Liebe Gottes dringet und ziehet in dieser Zeit mächtiger als sonst. Das Blut Christi schreiet lauter und eindringlicher, als zu jeder andern Zeit: „Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört, und habe dir am Tage des Heils geholfen. Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils!“ Die Gnade Gottes wird uns in diesen Tagen mit vollen Händen dargeboten. Wehe uns, wenn wir sie vergeblich empfangen!
Das Leben sieht sich von Golgatha aus schön und lieblich, aber auch sehr ernst an. Gott sei Dank, dass wir unter dem Kreuze bekennen dürfen: Dein Kampf ist unser Sieg, Dein Tod ist unser Leben, In deinen Banden ist Die Freiheit uns gegeben, Dein Kreuz ist unser Trost, Die Wunden unser Heil, Dein Blut das Lösegeld, Der armen Sünder Teil. Aber je größer die Gnade, desto schwerer auch die Verantwortung. Denn welchem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen, und welchem viel befohlen ist, von dem wird man viel fordern. Das ist der heilige Weckruf der Passionszeit. Der Herr gebe, dass wir ihn mit aufmerksamen Ohren hören und in gläubigen Herzen bewahren! (Friedrich Ziethe.)
Wir ermahnen end aber als Mithelfer, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt.
Gnadenzeit, was ist das? Dem Worte nach eine Zeit, die von der göttlichen Gnade gegeben ist, in welcher man Gnade erlangen kann. Unsere Lebenszeit ist also unsere Gnadenzeit, denn so lange Einer hienieden lebt, so lange lebt er in der Gnadenzeit, so lange ein Atem in dir ist, so lange sind dir die Gnadenpforten offen, und obwohl manche Geister so gestellt sind, dass sie nicht hineinkommen können, so ist es doch wahr: die Gnadenpforten sind offen für einen Jeden, der im Fleische lebt, in dieser Hülle, die man Leib nennt, wohnt. Gott ist geoffenbart im Fleisch, das Wort ward Fleisch - dies geht ja Alle an, die auch im Fleische leben. Greife an deinen Arm und siehe, ob er von Fleisch ist, und schließe daraus: also geht mich der im Fleisch geoffenbarte, in einem menschlichen Leib in der Gestalt des sündlichen Fleisches geoffenbarte Gott sehr nahe an. Im Fleisch ist Christus erschienen, im Fleisch hat er auf Erden gewandelt, im Fleisch gelitten, im Fleisch den Sieg ausgeführt über Sünde, Tod und Teufel, indem er sie zu Schanden machte, im Fleisch eine ewige Erlösung erfunden, also geht dieser Christus Alle an, die mit ihm im Fleische leben, die ganze Menschheit, Alle, die er sich nicht schämt, seine Brüder zu heißen, und wer auf dieser Erde lebt, lebt in der Gnadenzeit. Wie er ja auch selber zu seinem Vater sagt: du hast mir Macht gegeben über alles Fleisch, auf dass ich das ewige Leben gebe Allen, die du mir gegeben hast, Joh. 17, 2. O großer tröstlicher Gedanke! ein Gedanke, der vieles Bittere versüßt, manches Dunkel aufhellt, ein Gedanke, der wert wäre, dass wir ihn immer im Herzen behielten. Meine armen durch den Teufel verführten Brüder, die armen Menschen in ihren mancherlei Lasten, Elend, Trübsalen leben in der Gnadenzeit, es ist Gnade für sie vorhanden, die Pforten sind offen auch dem verlorensten, dem elendesten, dem grauesten Sünder, es ist doch noch möglich, dass Gott ihm Buße schenkt zum Leben, ich darf doch bei keinem verzagen, ich darf doch Alles noch hoffen, Alles noch glauben, es ist noch Gnadenzeit! (Ludwig Hofacker)