1. Korinther 9,27
Andachten
Ich betäube meinen Leib und bezähme ihn, dass ich nicht den anderen predige und selbst verwerflich werde.
Die anderen wachsen uns ans Herz, wenn uns die Liebe Jesu treibt. Unablässig beschäftigen sie unsere Gedanken. Wir sorgen für die, leiden mit ihnen, arbeiten für sie, beten für sie. Das ist Christenrecht und Christenpflicht. Habe ich nicht auch für mich zu sorgen? O ja, sagt Paulus; das ist nicht Gottes Meinung, dass du anderen das Heil Gottes zeigst und es selbst verlierst, anderen Menschen Gottes Willen in die Seele legst und ihn selbst übertrittst und andere in die Gemeinde der Erlösten führst und selbst draußen bleibst. So entstände aus meiner Arbeit ein hässlicher Widerspruch. Ich kann die selbstlose Art der Liebe nicht dadurch herstellen, dass ich mich selbst zerstöre. Wie kann ich anderen helfen, wenn ich selbst hilflos bin? Um zu geben, brauche ich eigenen Besitz; um zu lehren, ist mir Erkenntnis unentbehrlich. Soll ich anderen das Wort Gottes sagen, muss es zuerst zu mir selber reden. Unser Verkehr miteinander bleibt nur dann in der Ordnung Gottes, wenn wir alle dabei gedeihen, der Lehrende und der Lernende, der Gebende und der Empfangende, der, der ein Amt hat, und die, für die er es hat. Das zeigte Paulus den Korinthern auch an der Unentgeltlichkeit seines Wirkens. Freilich war es die Liebe, die ihn zu diesem Verfahren trieb. Den bösen Verdacht trieb er dadurch weg, als zöge er seines Gewinns wegen von Stadt zu Stadt, und brachte in den Gemeinden die Arbeit zu Ehren, damit sich keiner an die Gemeinde hänge, um ihre Liebe zu missbrauchen. Was er aber für die anderen tat, das tat er zugleich für sich. Weil er keine Gaben annahm, kam er oft in peinliche Lagen und es gab manchen Tag, an dem er darben musste. Er will aber nicht, dass die Korinther ihn deshalb bedauern. Die harte Zucht, in die er seinen Leib nimmt, ist heilsam für ihn selbst. Dadurch blieb er der Freie, den kein leibliches Bedürfnis knechten und hemmen kann. So einigt er die Sorge für sich selbst mit dem, was er den anderen tut, auch jetzt, da er in besonderem Maß der Gebende ist, der keine Gegengabe begehrt.
Herr, Gott, unser aller Vater! Du hast die anderen neben mich gestellt, damit ich für sie lebe, und hast mir selbst dein Wort geschenkt, damit es mir Dich offenbare und mich ins Leben führe. Ich begehre Deine Gaben für die, die Du mit mir verbunden hast, und ich begehre sie für mich von Dir, der Du reich bist für uns alle. Behüte uns alle vor dem, was uns verdirbt. Amen. (Adolf Schlatter)
“dass ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde.“
Ärzte und Armenpfleger sollen im Lauf der Jahre durch den täglichen Anblick menschlichen Elends so abgestumpft werden, dass kaum noch etwas Mitleid erregt. Gefahren des Berufs! Ist aber der Beruf, ein Zeuge Jesu zu sein, nicht der allergefährlichste? Man hat ununterbrochen anderer Seelenheil im Auge und keine Zeit für sich selbst. Man gewöhnt sich, den anderen, den man bekehren möchte, zum Sündenbewusstsein zu bringen und erliegt da sehr leicht zwei Gefahren. Entweder überhebt man sich bei solcher Arbeit selbst und hat kein Interesse oder Verständnis für die eigene Sünde, oder man sieht im Nächsten nur den Gegenstand unserer Arbeit und tut ihm als Menschen und Bruder unrecht. Tüchtige Reichsgottesarbeiter sind bisweilen unausstehlich im Umgang; sie vertragen keinen Widerspruch; sie tun in der Unterhaltung und im brüderlichen Verkehr, als waren die anderen alle ihre Patienten aus der Sprechstunde. Berufsfehler, die sich wie Scheidewassertropfen ätzend und verletzend in den schönsten Glanz des Eifers um des Herrn Haus einfressen. Wer sollte sich nicht fürchten, solchen Gefahren zu erliegen? Wer sollte sich im Blick darauf nicht flüchten in die Arme dessen, der uns vor jedem Fehltritt bewahren möchte?
Herr Jesu, du kannst Mitleid haben mit deinen angefochtenen, gefährdeten Dienern. Nimm dich unser herzlich an und entsündige uns von diesen Schulden. Reinige. bewahre und segne uns! Amen. (Samuel Keller)