1. Korinther 13,7
Andachten
Die Liebe glaubt alles.
Wirklich, alles glaubt sie? Haben wir nicht reichlich Grund zum Verdacht und zur bangen Sorge im Verkehr mit den Menschen? Wird nicht die Liebe, wenn sie alles glaubt, dem Spiel und Trug der Menschen ausgeliefert? Spricht nicht tausendmal die Erfahrung von Aufopferung, die vergeblich geschah, von Liebe, die umsonst sich mühte und schließlich, vielleicht erst nach heißem Kampf, zusammenbrach? An dem, was die Menschen sind und tun, entsteht die Furcht oft genug und Grund zum Zweifel bieten sie uns reichlich dar und sie haben das Vermögen, der Liebe hartnäckig zu widerstehen. Das hat Paulus noch viel reichlicher erfahren als wir, weil seine Liebe weit stärker war als die unsrige. Er bleibt aber dabei: aus der Liebe entsteht kein Zweifel, keine Ermüdung, kein Unterliegen. Ich freilich kann zweifeln, mich fürchten, erliegen und in Lieblosigkeit, die die Menschen verachtet, versinken; aber die Liebe kann dies nicht. Sie glaubt alles. Im Verkehr mit jedem Menschen, sei er, was er sei, vor jeder Lage, mögen Schuld und Elend so gewaltig sein, kann sie nur das Eine, nur glauben. Wie kommt denn die Liebe in mich hinein? Sie ist die Wirkung und Frucht der göttlichen Liebe und deshalb glaubt sie und hat eine gewisse und starke Zuversicht in sich, die keinen Bruch erträgt und keine Schranken kennt; denn sie hat Gott vor Augen und seine sieghafte Macht. Wollte ich nur mit dem rechnen, was mein Wohlwollen einem Menschen bieten kann, so müsste ich freilich auf den Erfolg meiner Liebe verzichten. Dürfte ich das aber noch Liebe heißen? Ist ein gottloser Verkehr mit den anderen Liebe? Solche Liebe, die sich auf das gründet, was ich in mir selber finde, bleibt verhüllte Eigensucht. Meine Liebe muss reicher sein als mein Besitz, wie könnte sie sonst dem anderen geben, was er braucht? Sie muss sehender sein als mein eigenes Auge, wie könnte sie ihm sonst helfen? Sie muss stärker sein als meine Kraft. Diese reicht nicht aus, um einen Menschen zu seinem Ziel emporzutragen. Das ist sie dadurch, dass sie mit Gottes Liebe einig ist. Weil ich bei der Arbeitsamkeit meiner Liebe Gott für mich habe, kann ich den Zweifel vertreiben, der an meiner Liebe nagt und sie lähmt, und kann im heißen Ringen, mit dem sich die Furcht der Liebe widersetzt, den Sieg gewinnen nach dem Wort des Johannes: die vollendete Liebe vertreibt die Furcht.
Glauben, Vater, kann ich für die Menschen nur, weil ich Dir glaube, und sie lieb haben kann ich nur, weil ich Deine Liebe kenne. Mit meiner müden, zagenden und zweifelnden Liebe flüchte ich mich zu Dir. Schütze, pflege und stärke das Pflänzchen, das Deine Hand in mich gepflanzt hat. Amen. (Adolf Schlatter)