Apostelgeschichte 26,28
Andachten
Agrippas sprach zu Paulo: es fehlt nicht viel, du überredest mich, dass ich ein Christ würde.
Damals ist also das Reich Gottes dem König Agrippas nahe gewesen. Warum hat er’s denn nicht ergriffen? Es hat wenig gefehlt, so hätte ihn Paulus überredet, ein Christ zu werden: ei warum hat er sich denn nicht ganz überreden lassen? Was hat’s gehindert? Ohne Zweifel eitle Ehre, Wollust, Menschenfurcht, wovon die großen Herren eben sowohl als die geringen Leute angefallen werden, oder auch die Sorge, ein ungerechtes Einkommen zu verlieren. Wie ist’s ihm aber gegangen? Wenige Jahre hernach empörten sich seine Untertanen wider den Kaiser, dessen Untertan er selber war, und im Krieg, der deswegen entstand, verlor er Land und Leute, und starb hernach als ein Ungeachteter. Er verlor also bei dem Unglauben auch in Ansehung des Zeitlichen fast Alles, was ihm lieb war, und was ihm vom Glauben zurückgehalten hatte. Sein Urgroßvater war der große Herodes, dem die Geburt Christi durch die Weisen aus dem Morgenland kund gemacht wurde, der aber aus einem teuflischen Grimm Christum töten wollte, und bald hernach als ein Wüterich an einer fürchterlichen Krankheit starb. Der Bruder seines Großvaters verspottete Jesum, als Er von dem Pilatus zu ihm geschickt wurde, und wurde bald hernach von der Regierung abgesetzt. Sein Vater tötete den Apostel Jakobus aus Gefälligkeit gegen die Juden, und wurde bald hernach von einem Engel geschlagen, und von den Würmern gefressen. Ihm, dem jüngeren Agrippas, redete Paulus mit großer Kraft ans Herz; allein ob er schon gerührt, und beinahe überredet wurde, so wandte er sich doch wieder weg, entzog sich der Gnade, und ließ es bei dem günstigen Ausspruch bewenden: dieser Mann (Paulus) hätte können losgegeben werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte. Ist er nun in diesem Sinn gestorben, wie wird es ihn in der Ewigkeit reuen, wie wird er sich schämen, dass er nicht durch das Wenige, das noch fehlte, durchgebrochen, und sich Christo ganz ergeben hat! Ohne Zweifel geht es den meisten Christen, wie dem König Agrippus, dass es einmal oder etlichemal nicht viel fehlt, dass sie nicht überredet werden, sich zu bekehren, und wahre Christen zu werden: aber das Wenige, das noch fehlt, ist der Strick, worin sie gefangen bleiben, aber auch, weil es wenig ist, eine Ursache ihrer großen Beschämung am Tage Jesu Christi. Noch bei Leibesleben können sie das Wenige, woran sie noch hangen, verlieren; wenigstens werden sie im Tode dieses uns alles Übrige zurücklassen müssen. Der HErr mache mich und die Meinigen von Allem los und überzeuge uns auf allen Seiten so kräftig von demjenigen, was wir glauben sollen, dass in unsern Herzen kein Zweifel, kein Widerspruch, kein Widerstreben gegen die seligmachende Wahrheit übrig bleibe und wir uns Ihm ganz ergeben, ja ganz Sein Eigentum werden. Überredung ist freilich dazu nötig; denn die empfindlichsten Schrecken, die annehmlichsten Reizungen, die nur in Empfindungen bestehen, neigen allein die Seele nicht zu einem beständigen Anhangen an den HErrn. Wahrheit muss man daneben erkennen, von der Wahrheit muss man kräftig überzeugt werden; denn diese macht frei und fest, und erhält den Menschen bei abwechselnden Empfindungen in der Ergebenheit an den HErrn. (Magnus Friedrich Roos)
Agrippa aber sprach zu Paulo: Es fehlt nicht viel, du überredest mich, dass ich ein Christ würde.
Wie oft sind wir vielleicht dem Himmelreich nahe gewesen, es fehlte nicht viel, so wären wir hindurchgedrungen aus der Finsternis zum Licht, aus dem Unglauben zum Glauben, aus der Sünde zur Bekehrung, aus dem Unfrieden zum Frieden, aus der Welt zu Gott. Das Herz war gerührt, der Geist war erleuchtet, der Wille war erregt, die Stunde war günstig, die Gnadenstunde, welche hätte entscheiden können über unsere selige Ewigkeit es fehlte nicht viel. Und doch das wenige, was noch fehlte, mochten wir nicht dranstrecken; von einem Gut mochten wir uns nicht losreißen, eine Sünde konnten wir nicht lassen, eine Zerstreuung kam wieder, eine Versuchung, eine böse Stunde - und die Gnadenstunde war vorüber, und das Kleinod, das wir schon fast in Händen hatten, war wieder verscherzt, und wir waren wieder ferne vom Herrn. Ist das recht, ist das gut? kann damit der Herr, können wir selbst damit zufrieden sein? Nein, das ist schwach! Oder ist es nicht schwach, wenn man selbst gestehen muss: es fehlte nicht viel, aber das wenige, was noch fehlte, habe ich nicht können erschwingen, der letzte Schritt ist mir zu schwer gewesen? Ist es nicht schmählich für einen Christenmenschen von einer Zeit zur andern: ich möchte wohl, aber ich mag nicht? Ist es nicht eine Schande, so gleich einem Rohr, das vom Winde hin- und hergeweht wird, hin- und herzuschwanken zwischen gut und böse, zwischen Gott und Welt? Seele, nimm dich zusammen, lass es einmal Ernst werden; sei stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke! Es ist schwach, sich nur fast gewinnen zu lassen und nicht ganz. Aber noch mehr: es ist schlecht! Siehe, wer noch nie dem Reiche Gottes nahe gekommen, dem kann man‘s noch eher verzeihen, wenn er ferne bleibt. Wer noch nie etwas an sich erfahren von der Kraft des göttlichen Worts und von der Arbeit des heiligen Geistes, von dem kann man noch weniger fordern. Aber der Knecht, der des Herrn Willen weiß und tut ihn nicht, der muss doppelte Streiche leiden. Wer selbst bekennen muss: es fehlte nicht viel, ich sehe es ein, ich sollte folgen, und folgt doch nicht, wer im Geist angefangen hat und doch im Fleisch endet, der hat zweifache Schuld auf dem Gewissen. Alle die Gnadenstunden, alle die guten Rührungen, alle die frommen Gedanken und Vorsätze, die du schon gehabt, die werden einst gegen dich zeugen! „Sollt' ich jetzt noch, da mir schon deine Güt' erschienen, dich verlassen, Gottes Sohn, und der Sünde dienen? mit den Lüsten dieser Zeit wieder mich beflecken, und nicht mehr die Süßigkeit deiner Liebe schmecken?“ Nein, das wäre schlecht! O dass der Herr, der Durchbrecher aller Bande, bei Zeiten uns möchte anfassen und hinwegräumen, was noch fehlt, dass wir gewonnen werden, selige Gotteskinder werden in der Tat und Wahrheit, wirklich und nicht nur fast, ganz und nicht nur halb! (Karl von Gerok.)